Brexit-Krise in der Labour-Partei: Es rumort gegen Corbyns Kurs
Anhänger eines zweiten Referendums fühlen sich vom Oppositionschef im Stich gelassen. Der bastelt lieber an seinem eigenen Brexit.
Als das britische Unterhaus am 29. Januar über Änderungsanträge zum Austrittsabkommen abstimmte, fehlte jedoch ein Antrag auf eine sogenannte „People’s Vote“, jener Forderung der Nachfolger des Remain-Lagers, den Brexit mittels einer zweiten Volksabstimmung rückgängig zu machen. Steckt die Kampagne, die noch im Herbst Hunderttausende auf die Straße brachte, in der Krise?
Barney Scholes, Koordinator von „People’s Vote“, behauptet, dies wäre Absicht gewesen. „Wir stellten uns hinter Änderungsanträge, die einen ungeordneten Brexit verhindern konnten, als Grundvoraussetzung für ein zweites Referendum“, sagt er zur taz. Allerdings kam auch der wichtigste dieser Anträge nicht durch. Und klar wurde, dass es im Unterhaus keine Mehrheit für ein zweites Referendum gibt.
Die Labour-Führung unter Jeremy Corbyn weigert sich weiterhin, auf die Forderung nach einem zweiten Referendum einzugehen, obwohl die Partei beim letzten Parteitag diese Option mit forderte. Berichten zufolge erwägen mehrere Labour-Abgeordnete nun, die Fraktion zu verlassen.
Hindernis für ein zweites Referendum
„Corbyn ist das größte Hindernis für das zweite Referendum“, sagt Shakira Martin der taz. Bisher habe sie sich nicht getraut, das zu sagen. „Junge Menschen wie ich, die sich von Corbyn inspirieren ließen und zweimal für ihn stimmten, verstehen nicht, wieso es besser sein soll, die EU zu verlassen. Corbyn hat darin versagt, dem Volk die Stimme zurückzugeben“, schimpft sie.
Stattdessen richtete sich Corbyn am Mittwoch in einen Brief an Premierministerin Theresa May und stellte erstmals eine Zustimmung zu Mays Brexit-Deal in Aussicht. Er stellte konkrete Forderungen: eine umfassende Zollunion, Angleichung an den Binnenmarkt, Anpassung an EU-Richtlinien, fortdauernde Teilnahme an EU-Programmen. Einen solchen Brexit werde Labour im Parlament unterstützen, hieß es.
Die Labour-Hinterbänklerin Angela Smith ist eine der rund 90 Befürworter*Innen der „People’s Vote“ innerhalb der Labour-Fraktion. Gegenüber der taz äußert sie sich enttäuscht darüber, dass Corbyn an May schrieb, ohne vorher zu versuchen, ein Übereinkommen mit der eigenen Partei zu erzielen. In der Vorwoche hatte Corbyn sie im Parlament mehrfach kalt stehenlassen, als sie ihm eine Frage zum „People’s Vote“ stellen wollte.
„Harte Linke sind privilegierte Weiße“
Sollte Corbyns Vorschlag nichts bringen, bleibe keine andere Option als ein zweites Referendum, behauptet sie. „Das ist seine moralische und politische Verantwortung“, betont Smith. „Es ist im Grunde egal, was am Ende beschlossen wird, ob Mays oder Corbyns Deal: Das Volk sollte das letzte Wort haben.“
Für die in Deutschland aufgewachsene liberaldemokratische Abgeordnete Wera Hobhouse ist die „People’s Vote“ ebenfalls der einzige Weg „aus dem derzeitigen Schlamassel“, wie sie der taz sagt. „Es ist Zeit, dass Corbyn sich für ein zweites Referendum ausspricht. Für mich gilt jetzt, wie nach dem Referendum 2016, dass ich nicht aufgeben werde.“
Corbyns Beliebtheit in der Öffentlichkeit liegt derzeit auf dem niedrigsten Stand seit je – das negative Urteil über ihn überwiegt das positive mit 45 Punkten. NUS-Chefin Shakira Martin glaubt, der Labour-Chef müsse dringend auf die Basis hören, um seine Stellung zu retten. „Die harten Linken sind eine Gruppe weißer Menschen aus der privilegierten Mittelklasse. Leuten wie mir, deren Leben auf der Kippe steht, ist es egal, wer an der Macht ist, wir wollen nur eine Verbesserung unserer Lebensumstände.“
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