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Bremen lehnt Bremerhavens Haushalt abFinanzielle Fantasie wird nicht belohnt

Erstmals hat das Land Bremen den Haushalt der Stadt Bremerhaven nicht genehmigt: Die hatte einfach Geld vom Land eingeplant, das es nicht gibt.

Auf Blumen verzichten Bremerhavens OB Melf Grantz (SPD) und Kämmerer Torsten Neuhoff (CDU) bald. Das Geld reicht trotzdem nicht Foto: Magistratspressestelle/Rebecca Rademacher

Bremen taz | Es steht ernst, sehr ernst um Bremerhaven: Selbst die Löhne der Stadtbeschäftigten ab September seien in Gefahr. Bremerhaven – zahlungsunfähig? Der, der dieses Schreckensbild so am Mittwoch formuliert, ist kein geringerer als Kämmerer Torsten Neuhoff (CDU), Zweiter Bürgermeister der verschuldeten Stadt am Meer. Das Land Bremen möge helfen, so sein Appell.

Das würde Bremen dann wohl. Denn ganz so weit, wie Neuhoff es hier beschreit, kann es in Deutschland gar nicht kommen: Öffentliche Gebietskörperschaften können nicht insolvent gehen, am Ende haftet das Land. Wahr ist aber: Dramatisch und historisch einzigartig ist die Situation für Bremerhaven durchaus. Erstmals seit Existenz des Zwei-Städte-Staats hat das Land Bremen am Dienstag den Bremerhavener Haushalt abgelehnt – wohlgemerkt den für das laufende Jahr 2025.

Eine konkrete Folge ist erst einmal, dass Bremerhaven weiterhin keinen gültigen Haushalt für dieses Jahr hat – und damit wie bei einer Haushaltssperre keine neuen Projekte starten darf. Ernste Gespräche zwischen Stadt und Land finden aktuell statt, um irgendwie zu einer Lösung zu kommen.

Erst Ende Juni, kurz vor der Sommerpause, hatte die 118.000-Einwohner-Stadt ihren kommunalen Haushalt verabschiedet. Klar war schon da: Aufgehen tut dieser Haushalt nur dank Rechenspielen mit ungedeckten Schecks.

Insgesamt fehlen 95 Millionen Euro

42,8 Millionen Euro hatte sich die Regierungskoalition aus CDU, SPD und FDP zusätzlich in den Haushalt geschrieben, als Einnahmen vom Land Bremen – dieses Geld brauche man einfach noch, so die Argumentation. Abgesprochen aber war das nicht.

Auch sonst hält der Bremer Senat den Haushalt von Bremerhaven nicht für zustimmungsfähig: Die Ausgaben wurden demnach zu gering eingeschätzt. So rechnet Bremerhaven damit, am Ende 16 Millionen Euro weniger auszugeben, als die einzelnen Ausgabeposten es vermuten lassen – einfach weil nicht alle Projekte umgesetzt werden können. Diese sogenannte „Globale Minderausgabe“ kennt fast jede Haushaltsplanung.

Bremerhaven hat sie aber unrealistisch hoch eingeschätzt – ähnlich wie 2024. Im vergangenen Jahr schrammte die Stadt Bremerhaven weit am Ziel vorbei und brauchte in der Folge die letzten vorhandenen Rücklagen auf, um seinen Haushalt noch ausgleichen zu können.

Noch gewaltiger ist die Lücke im Sozialhaushalt: Die Stadt geht davon aus, dieses Jahr 230 Millionen Euro dafür zu brauchen – 36 Millionen Euro weniger als 2024. Woher die Einsparung bei dieser Pflicht-Aufgabe der Stadt kommen soll, wird nicht klar. Insgesamt, so rechnet das Land Bremen vor, fehlen dem Haushalt Bremerhaven damit 95 Millionen Euro; fast ein Zehntel der Gesamtsumme.

Auf eine Anfrage der taz reagiert der Magistrat am Donnerstag bis zum Redaktionsschluss nicht; von den drei Regierungsfraktionen antwortet nur die CDU. Die sieht das Problem vor allem in einer ungerechten Verteilung von Mitteln: Schließlich habe die arme Stadt naturgemäß ganz andere Kosten.

Weil die Steuereinnahmen geringer sind, fordert Thorsten Raschen, Fraktionsvorsitzender der CDU im Stadtrat, einen Steuerkraftausgleich vom Land. Den gibt es bereits, kontert das Land Bremen: 50 Prozent der Mindereinnahmen würden vom Land ausgeglichen. „Richtig wären 100 Prozent“, findet Raschen. Auch aus den Einnahmen des Überseehafengebiets, das die Stadt Bremen in Bremerhaven betreibt, würde Raschen gern mehr Geld sehen. Zusammen ergäben diese Forderungen jene 42 Millionen Euro, die die Stadt vom Land einfordert. „Anders geht es gar nicht“, sagt Raschen.

Stadt spart – aber auch an den richtigen Stellen?

Die Liste, die Bremerhavens Sparbemühungen beweisen sollte, ging im Juni sehr ins Detail. Verzeichnet waren große Brocken wie die Einsparung von 3,2 Millionen Euro bei Inobhutnahmen von Kindern und 1,5 Millionen Euro durch die seltenere Reinigung von Verwaltungsgebäuden und Schulen. Aber auch kleine Posten fanden Erwähnung: Die Kündigung von 18 Zeitschriftenabos (3.000 Euro) oder der Verzicht auf Blumenschalen bei Geburtstagen und Ehejubiläen (35.400 Euro).

„Kein Schnickschnack!“ sollte das wohl signalisieren, und auch: Jetzt gibt es wirklich nichts mehr zu holen. „Aus diesem Haushalt lassen sich keine 50 Millionen Euro mehr herauspressen“, befindet Raschen.

Nicht alle in Bremerhaven halten das so. Die Grünen im Stadtrat sehen die Verantwortung „allein bei der Koalition aus SPD, CDU und FDP“, so der Fraktionsvorsitzende Claudius Kaminiarz. Schließlich habe das Land die Stadt erst vor fünf Jahren entschuldet. „Seitdem habe die Koalition die öffentlichen Ausgaben „in immer neue Höhen getrieben“.

Konkret kritisiert er den Personalaufwuchs der vergangenen zehn Jahre: Um 25 Prozent sei der städtische Personalbestand seit 2015 gewachsen. Vor allem im Ordnungsamt habe es exorbitant viele Einstellungen gegeben, auch das Amt für Kommunale Arbeitsmarktpolitik, das es so nur in Bremerhaven gibt, sei die Kosten von 2 Millionen Euro jährlich nicht wert. „Das kann man sich eben nicht leisten, wenn kein Geld da ist“, so Kaminiarz.

Die Grünen in Bremerhaven befürchten, der ungedeckte Haushalt könnte weitere Konsequenzen für Bremerhavens Eigenständigkeit haben: Das Land könne die Stadt unter Finanzaufsicht oder einen Sparkommissar stellen.

Zu solchen Schritten hält sich die Finanzbehörde des Landes Bremen bedeckt. Klar ist: Bei der Ablehnung durch das Land geht es nicht um eine reine Prinzipienfrage – und auch um weit mehr Geld, als die gut 42 Millionen Euro, die Bremerhaven vom Land zusätzlich fordert.

Denn wenn Bremerhaven sich über Gebühr verschuldet, stehen für das ganze Bundesland die Sanierungshilfen des Bundes in Frage: 400 Millionen Euro bekommt der Zwei-Städte-Staat jährlich, ausgezahlt wird dieses Geld aber nur, wenn Bremen als Ganzes sich an die Schuldenbremse hält.

Unabhängig davon wären 42 Millionen aber auch so nicht einfach aus dem Haushalt abzuknapsen. Nicht nur, weil der Landeshaushalt für dieses Jahr schon verabschiedet ist, sondern auch, weil der insgesamt sehr eng ist: Auch Bremen musste beim Sparen schmerzhafte Schritte gehen und hat dafür etwa eine 41. Arbeitsstunde für Be­am­t*in­nen eingeführt.

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