Brandkatastrophe in der Türkei: Kritik an Staatsversagen verboten

In der Türkei gab es bei Brandbeginn kein einsatzfähiges Löschflugzeug, nur große menschliche Solidarität. Kritik an der Regierung wird untersagt.

Ein Motorradfahrer und sein Sozius fahren durch einen verbrannten Wald nahe der türkischen Stadt Bodrum

Auf der Fahrt durch zerstörte Wälder ist dieses Motorrad nahe der türkischen Stadt Bodrum Foto: Emre Tazegul / AP Emre Tazegul AP AP

Ömer E. (aus Sicherheitsgründen anonymisiert) lässt seine Handykamera durch eine große Halle in Bodrum, einem der Brandhotspots der letzten zehn Tage, kreisen. Er zeigt Berge von Wasserflaschen, Lebensmittelkisten, aber auch von neuen Schaufeln und neuen Feuerlöschern, die dort zu Hunderten gestapelt sind. Diese Halle ist das von einer Privatinitiative errichtete Krisenzentrum in der Urlaubsmetropole Bodrum.

Dort werden Spenden gesammelt, die den Opfern der Brandkatastrophe zugutekommen sollen, aber auch Material wird bereitgestellt für freiwillige Helfer, die sich an der Bekämpfung der letzten Brandherde in der Region beteiligen wollen. Hunderte vor allem junge Leute haben sich hier in den letzten Tagen engagiert und die oft hoffnungslos überforderte Feuerwehr unterstützt.

Ohne all die freiwilligen Helfer, sagt Nihat G., der in Bodrum in der Kommunalpolitik engagiert ist, wäre die Katastrophe noch weit schlimmer ausgefallen. „Wir haben die Lücken gefüllt, die die Regierung bei der Brandbekämpfung gelassen hat.“ Nicht nur in Bodrum, auch in Marmaris und den Dörfern im Hinterland von Antalya waren beim Kampf gegen die Flammen vor allem die Bevölkerung von vor Ort aktiv und Helfer, die aus allen Teilen des Landes angereist sind. Nur so konnten etliche Dörfer noch vor der völligen Vernichtung gerettet werden – und nur weil zivile Helfer mithalfen, Schneisen rund um Dörfer zu schlagen, konnte an vielen Stellen verhindert werden, dass die Brände auf die Häuser übergriffen.

Gelöscht werden konnten die meisten Großbrände an der türkischen Mittelmeer- und Ägäis­küste aber erst, als nach apokalyptischen zehn Tagen endlich Löschflugzeuge aus dem Ausland eintrafen. „Uns haben sechs Löschflugzeuge aus der Ukraine und Spanien gerettet“, berichtet am Telefon Selçuk M. aus Bozburun, einem Fischerdorf südwestlich von Marmaris, dem anderen Brandhotspot neben Bodrum.

Nur noch eine graue Mondlandschaft

Die Urwälder in den zerklüfteten Bergen zwischen Marmaris und Datca sind in den zehn Tagen, die der Staat die Leute vor Ort alleine gelassen hat, weitgehend abgebrannt. „Du traust deinen Augen nicht“, erzählt Selçuk, „wenn du die seit zwei Tagen wieder geöffnete Straße nach Marmaris entlangfährst. Wo vorher grüne Wälder prunkten, ist jetzt nur noch eine graue Mondlandschaft, in der die verkohlten Bäume wie Mahnmale einer vergangenen Zeit stehen.“

Am Sonntagnachmittag brannten zwar an einigen Stellen weiter die Wälder, doch die größten Brände im Raum Antalya, Marmaris und Bodrum sind mittlerweile unter Kontrolle. Oft aber auch, „weil es nichts mehr gibt, was noch brennen könnte“, wie Selçuk M. sagt. In Antalya hat am Samstag ein heftiger Regen geholfen, die letzten Brandherde zu löschen. So weit ist es in Marmaris und Bodrum noch nicht.

Doch nach 12 Tagen verheerender Brände sind nun endlich insgesamt 16 Löschflugzeuge, etliche Helikopter und besser koordinierte Bodenkräfte im Einsatz. Sie kämpfen gegen die immer wieder neu aufflammenden Brände. Das schlimmste sei wohl überstanden, meint Nihat G. aus Bodrum. Doch die Menschen, die nun auf den Trümmern ihrer Existenz sitzen, sind unendlich wütend über die mangelnde Hilfe aus Ankara.

„Wo waren unsere Löschflugzeuge?“, war die häufigste Frage in den betroffenen Gebieten. Die Türkei hatte bei Amtsantritt der Regierung des jetzigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan 2002 noch 16 intakte Löschflugzeuge. Die verrotteten, weil die Betreiber der Luftflotte angeblich der oppositionellen Partei CHP nahestehen.

Als die Katastrophe vor knapp zwei Wochen begann, besaß die Türkei deshalb kein einziges einsatzfähiges Löschflugzeug. Statt auf die Fragen eine Antwort zu geben, wurden die Kritiker mundtot gemacht. Die staatliche Medienaufsicht verbot Fernsehsendern vielerorts zu filmen, angeblich um keine „Panik zu verbreiten“. Zu Brandbeginn gab es den Hashtag „Help Turkey“, über den zivile Unterstützung im In- und Ausland mobilisiert wurde.

Gegen die Initiatoren wird jetzt wegen „Verunglimpfung der Türkei“ ermittelt – weil die Türkei „ein starkes Land ist und keine Hilfe braucht“, wie ein Regierungssprecher sagte. Doch die Brände werden auch in der politischen Landschaft ihre Spuren hinterlassen. Erdoğans Umfragewerte, schon länger unter Druck, sind nach einem völlig missratenen Auftritt in Marmaris vor einigen Tagen noch einmal abgesackt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.