Brandanschläge in Berlin-Neukölln: Flammen gegen Engagierte
Erneut werden in Neukölln Autos angezündet, mutmaßlich von Neonazis. Eines der Fahrzeuge brennt direkt neben dem Wohnhaus des Opfers.
Als Ferat Kocak in der Nacht zu Donnerstag gegen drei Uhr aus dem Schlaf hochschreckt, weiß er gleich, dass etwas nicht stimmt: „Es war viel zu hell für diese Uhrzeit, so ein rötliches, flackerndes Licht“, sagt der Neuköllner Linken-Politiker. Als er zum Fenster rennt, sieht er sofort, was los ist: Sein neben dem Haus geparktes Auto brennt lichterloh, das Feuer ist bereits auf den Carport übergegangen, die Flammen schießen an der Wand des Einfamilienhauses in die Höhe. „Ich habe meine Eltern geweckt, wir sind nach draußen gerannt und ich habe versucht, die Flammen mit einem Feuerlöscher vom Haus fernzuhalten“, sagt Kocak. Die Feuerwehr habe den Brand schließlich gelöscht, die Polizei habe ihm gleich vor Ort gesagt, dass es schlimm hätte ausgehen können: Nicht nur hätten die Flammen auf das Haus übergreifen können, auch befinde sich in der Wand direkt neben dem Feuer eine Gasleitung.
Es ist nicht der einzige Brandanschlag in dieser Nacht in Neukölln: Etwa 20 Minuten früher hatten Anwohner bereits in der Karl-Elsasser-Straße Alarm geschlagen, denn auch dort brannte ein Pkw lichterloh. Sein Besitzer: Der Rudower Buchhändler Heinz J. Ostermann, Inhaber der Buchhandlung Leporello. Auf diese gab es bereits während der letzten Welle rechter Anschläge in Neukölln im Dezember 2016 einen Anschlag, einen Monat später traf es Ostermanns Auto. Nun ist auch sein neues, aus Spenden finanziertes Fahrzeug komplett zerstört, genau so wie das von Ferat Kocak.
Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Dass Neonazis für die Taten verantwortlich sind, scheint mehr als wahrscheinlich. Ostermann geriet in ihren Fokus, nachdem seine Buchhandlung der Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus beigetreten war. Kocak ist nicht nur Mitglied im Bezirksvorstand der Linken, sondern auch im Bündnis Neukölln, dass sich seit Jahren gegen Rechte im Bezirk einsetzt. Einschüchtern lassen will er sich auf keinen Fall. „Meine Angst ist heute sehr schnell in Wut umgeschlagen“, sagt er am Donnerstag, „ich finde: Jetzt erst recht.“
Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verurteilte die Taten am Donnerstag. Die Neuköllner Linkspartei übte in einer Mitteilung auch Kritik an der Polizei: Es sei ein Skandal, dass diese nach wie vor keine Ermittlungsergebnisse vorweisen könne und sich Neonazis offenbar weiterhin sicher genug fühlten, immer neue Anschläge zu begehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen