Borussia Dortmund gewinnt nicht mehr: Mit Erbsensuppe gegen die BVB-Krise
Es war einmal ein wohlhabender Fußballverein, der wollte Bayern München jagen. Doch der BVB steckt in der Krise. Was ist da los?
Manche Menschen aus dem Dortmunder Süden rufen schon bei der lokalen Zeitung an, wenn die Äste von Bäumen auf dem Nachbargrundstück in ihre Hecke ragen. Wenn der Nachbar, in diesem Fall war es der ehemalige, dann auch noch ein prominenter Fußballer ist, werden den Sorgen 80 Zeilen gegönnt.
Pierre-Emerick Aubameyang, einer der besten Fußballer von Borussia Dortmund und ein extravaganter dazu, ließ die Äste sofort stutzen, nachdem er von der Bedrohung der Hecken erfahren hatte. Christel K., eine ältere Frau, war ihre Sorge los und sagte, dass Herr Aubameyang ja ohnehin immer ein angenehmer Nachbar gewesen sei.
Wenn sich alle Probleme von Herrn Aubameyang und seinem Arbeitgeber so einfach lösen ließen, wären sie bei Borussia Dortmund glücklich.
Schlimmer als jede Niederlage: das 4:4 gegen Schalke
Der hoch gelobte Verein steckt in einer ausgewachsenen Krise. Von wegen Bayern-Verfolger: Die Mannschaft gewann nur eines ihrer vergangenen zehn Spiele in den verschiedenen Wettbewerben, und das war gegen den 1. FC Magdeburg, einen Klub aus der 3. Liga. Schlimmer als jede Niederlage war jedoch das Unentschieden gegen den ewigen Konkurrenten FC Schalke 04.
Dortmunder und Schalker wünschen sich, dass die Hecken des jeweils anderen vertrocknen. Wer das Schwarz-Gelb der Borussia trägt, muss das Königsblau der Schalker aus Gelsenkirchen verabscheuen – und umgekehrt. Das geht schon seit Generationen so.
BVB-Geschäftsführer Watzke
Am vergangenen Samstag schienen die Dortmunder auf dem Weg aus der Krise auf Wolke sieben. Sie führten zur Halbzeitpause mit 4:0 gegen Schalke. Dann brachen sie ein. Schalke schaffte noch ein 4:4.
Am nächsten Tag treffen sich die Mitglieder der Borussia in einer der Westfalenhallen. Es gibt Erbsensuppe, den Kassenbericht und Ehrungen. Vor allem aber sind die Mitglieder gespannt auf die Rede von Hans-Joachim Watzke, dem Geschäftsführer des einzigen deutschen Fußballunternehmens, das an der Börse notiert ist. „Ich habe mich gestern Abend genauso beschissen gefühlt wie ihr alle“, beginnt Watzke seine Rede. Damit hat er die Menge schon eingefangen.
Zu den Versammlungen der Mitglieder und am Folgetag der Aktionäre gehören Watzkes Sticheleien gegen Schalke wie die Erbsensuppe mit Wursteinlage. Das Spiel gibt nichts her, um den Nachbarn zu kitzeln, der auch in der Tabelle vor den Dortmundern steht. Also werden „die letzten zehn Jahre“ betrachtet, in denen der Ballspielverein Borussia (BVB) „100 Punkte mehr“ geholt habe und zweimal Meister geworden sei. Wenn die Schalker das in den nächsten zehn Jahren schafften, würde er „nach Rheda fahren und gratulieren“. In Rheda-Wiedenbrück wohnt Clemens Tönnies, mächtiger Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04.
Vom Pleiteverein zur 400-Millionen-Euro-AG
Hans-Joachim Watzke, 58 Jahre alt, CDU-Mitglied aus dem Sauerland, wurde Geschäftsführer bei der Borussia Dortmund Kommanditgesellschaft auf Aktien, als diese kurz vor der Pleite stand. „Wir lagen im Vorzimmer der Pathologie“, sagt er über das Frühjahr 2005, als Gläubiger auf viel Geld verzichteten, um die Insolvenz zu vermeiden, bei der sie leer ausgegangen wären.
Am Montag treffen sich die Aktionäre eines kerngesunden Unternehmens, das mehr als 400 Millionen Euro Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr machte. Der BVB ist die Nummer zwei in Deutschland, nach Bayern München. Aber die Verlustängste sind groß und berechtigt. Die Champions League ist der Schlüssel, um die Position zu behaupten. In der europäischen Eliteliga wird viel Geld verdient, sie lockt Sponsoren an und die guten Spieler. Doch wenn im Frühjahr die K.-o.-Phase beginnt, wird der BVB dort fehlen, auch weil er gegen die vielleicht gerade mal zweitklassige Mannschaft von Apoel Nikosia nur zwei Unentschieden schaffte. Es sind die bislang einzigen beiden Punkte. Gegen die richtig guten Mannschaften verloren die Dortmunder jeweils. „Das ist schlicht und ergreifend nicht zu ertragen“, brüllt Watzke in das Mikrofon.
Trainer Peter Bosz und der Spielerrat hören in den ersten Reihen zu. Sie müssen in der Bundesliga mindestens Vierter werden, um auch in der kommenden Saison wieder in der Champions League spielen zu dürfen. Derzeit sind sie Fünfter, in der aktuellen Verfassung ist es wahrscheinlich, dass der BVB bis zur Winterpause noch weiter abrutscht. Auch das ist für Watzke nicht zu ertragen. Dem Trainer empfiehlt er während der Versammlung, „alles auf den Prüfstand zu stellen, um wieder in die Spur zu kommen“. Sonst wird er seinen Job verlieren. Das sagt Watzke zwar nicht. Aber so läuft das im Fußball.
Der Platz als Sanierer des Klubs ist Watzke in der Vereinsgeschichte sicher. Er wird auch immer derjenige bleiben, der Jürgen Klopp verpflichtete. Nach zwei Fehlgriffen holte Watzke zusammen mit Sportdirektor Michael Zorc 2008 den Trainer, der für sechs seiner sieben Jahre in Dortmund Erfolg haben sollte. Er war der Entertainer, der an der Seitenlinie nach Toren ausflippte und Schiedsrichtern mit fletschenden Zähnen gegenüberstand. Er polarisierte. Die Dortmunder Fans huldigten ihm, viele tun es heute noch. Auch Watzke.
Von Klopp über Tuchel zu Bosz
Als Klopp ging, kam Thomas Tuchel. Watzke wusste, dass er es nun mit einem ganz anderen Menschen zu tun bekommen würde. Er dachte wohl, dass er ihn sich zurechtbiegen könnte, aber das war eine grobe Fehleinschätzung. Tuchel wurde nach der vergangenen Saison entlassen, obwohl er mit dem BVB den Pokal gewann und zwei Jahre ohne Heimniederlage in der Bundesliga blieb.
Die Trennung war schmutzig, sie setzte Watzke zu in einer Phase, die ohnehin enorm belastend für ihn, Tuchel und die Mannschaft war. Denn im April, bei der Abfahrt zu einem Spiel in der Champions League, zündete ein Attentäter drei Bomben. Er wollte möglichst viele Insassen des Mannschaftsbusses töten, um dann bei sinkenden Aktienkursen Gewinn zu machen. Der perverse Plan scheiterte, aber es gab Verletzte und traumatisierte Spieler.
„Ich habe mich bei Experten für posttraumatische Erfahrungen erkundigt“, sagt Watzke bei der Aktionärsversammlung, „sie sagten mir, dass die Folgen nach sechs, sieben Monaten am schlimmsten sein könnten.“
Der Anschlag ist eine Erklärung für die sportliche Krise. Es gibt sicher noch weitere. Bei der Suche rückt im Fußball stets der Trainer in den Blickpunkt. So ist es auch dieses Mal bei Borussia Dortmund. Peter Bosz, 54 Jahre alter Niederländer, kam als Nachfolger von Tuchel. Er brachte eine Idee mit, die attraktiven Fußball versprach, wenn auch mit erhöhtem Risiko in der Abwehr. Zu Beginn ging alles gut. Dortmund schoss viele Tore, kassierte keine, war Tabellenführer. Die Fans sangen: „Deutscher Meister wird nur der BVB!“ Es war noch früh in der Saison, aber trotzdem mehr als eine Spinnerei.
Dann wurden die Gegner stärker, die Borussia verlor. Sogar die beiden Aufsteiger in der Bundesliga feierten Siege gegen den BVB. Auffällig ist, dass die Dortmunder zuletzt in der ersten Halbzeit stets deutlich besser spielten als in der zweiten. Die Zuschauer und Reporter machen auch körperliche Defizite der Spieler dafür verantwortlich. Schon im Sommer, nach dem Trainingslager in der Schweiz, wunderten sich manche über die geringe Belastung der Spieler im Training. Der Trainer stellte es als einen Plan dar, er streitet bis heute körperliche Defizite ab. Es sei „das Vertrauen“, das verloren gehe, wenn der Gegner ein Tor schieße.
Aubameyang kann am Samstag seine Hecke schneiden
Einer der wenigen Spieler, die regelmäßig überzeugten, war Mario Götze. Er schoss Deutschland 2014 mit einem Tor zur Weltmeisterschaft, kehrte 2016 von den Bayern zu seinem Ausbildungsverein zurück. Alles sollte besser werden, aber dann fiel er lange aus. Jetzt, als er wieder auf einem guten Weg war und gegen Schalke nach langer Zeit sogar mal wieder ein Tor schoss, zwingt ihn eine Verletzung zum Pausieren bis Jahresende.
Auch Herr Aubameyang wird am Samstag fehlen, wenn Borussia Dortmund bei Bayer Leverkusen antritt. Er flog gegen Schalke vom Platz.
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