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Boris Johnson und der BrexitGrandios gescheitert

Boris Johnson will nicht Premierminister werden. Er ist ein skrupelloser Improvisator mit mehr politischem Gespür als manche seiner Kollegen.

Träumt er schon von seiner Wiedergeburt als Olive? Boris Johnson Foto: reuters

Noch nie hat Boris Johnson eine politische Schlacht geführt und verloren. Indem der Wortführer der EU-Austrittskampagne in Großbritannien jetzt darauf verzichtet, sich um den Vorsitz der Konservativen und damit um das Amt des Premierministers zu bewerben, beweist er mehr politisches Gespür als manche Kollegen.

Um seine Wirkung auf andere ging es Boris Johnson immer. Begonnen hat der heute 52-Jährige seine Karriere nicht als Politiker, sondern als Journalist: Chefredakteur der Schülerzeitung am Eliteinternat Eton, Leiter einer Satirezeitung an der Universität Oxford, Nachwuchsjournalist der Times im Alter von 23 Jahren, dann EU-Korrespondent des Daily Telegraph und schließlich Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins Spectator.

Er erwarb sich den Ruf eines genialen und skrupellosen Improvisators, der blitzartig in letzter Minute aus dem selbstangerichteten Chaos ein überzeugendes Produkt macht, aber sich dabei nicht nur Freunde schafft.

Diese Qualitäten zeichneten Johnson auch als konservativen Londoner Bürgermeister aus – 2008 und erneut 2012 von den sonst eher links gesinnten Hauptstädtern gewählt. Er stand für ein libertäres und kosmopolitisches London, das der weiten Welt und dem großen Geld offensteht, mit allen positiven und negativen Folgen.

Sein Sprachwitz, seine clownesken Auftritte und sein sorgfältig gepflegtes Image von Spontaneität machten ihn zum Publikumsliebling: ein Individualist, der eine bitter nötige Prise Anarchie in die Politik einführte. Als seine zweite Amtszeit im Mai 2016 endete, hatte er sich längst als kommender Premierminister ins Gespräche gebracht – und nahm anhand der EU den Kampf mit seinem einstigen Schulfreund und Rivalen David Cameron auf, um ihn zu beerben.

Den Kampf hat Johnson gewonnen, aber das Erbe hat er verloren. Im EU-Wahlkampf hat er Federn gelassen. Wenn er seriös auftreten wollte, wirkte er blass. Präzision in der Sprache ging ihm ab. Als Sprungbrett für Höheres erwies sich das Referendum als Fehler. Schon vor Jahren sagte Johnson, wahrscheinlicher als sein Aufstieg zum Premierminister sei seine Reinkarnation als Olive. Soweit das biologisch möglich ist, hat er recht behalten.

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20 Kommentare

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  • ...der Brexit wird NICHT kommen. Warum also sollte Brexit-Johnson Premierminister werden?

    • @Der Alleswisser:

      Der Brexit ist bereits Fakt. Ebenso Fakt ist aber auch, dass das britische Parlament mehrheitlich gegen den Brexit ist und in dieser Zusammensetzung wohl so schnell auch keinen Austrittsantrag stellen wird. Die Briten haben gegen ihre Regierung abgestimmt und merken jetzt allmählich, dass es tatsächlich ja dabei um Europa ging. Das ist einigermaßen beknackt, verwundert aber gar nicht, wenn man mal bedenkt, wie Europawahlen auch hier in Deutschland so hingerotzt werden. Da sieht man dann das Konterfei von Angela Merkel auf den CDU-Plakaten, obwohl die tatsächlich gar nicht zur Wahl steht. Europa fällt mächtig auf die Fresse, weil es früher oder später über seine konstitutionelle Unbestimmtheit stolpern musste.

      • @Rainer B.:

        Der Brexit muss von der britischen Regierung bei der EU beantragt werden. Sonst wird er nicht wirksam. Cameron wird diesen Antrag nicht einreichen. Diesen Antrag wird auch die neue britische Regierung bei der EU eben nicht einreichen. Alles bleibt, wie es ist. Boris Johnson weiß das. Deshalb möchte er nicht mehr Premierminister werden. Dieses Amt bekommt jetzt Theresa May. Sie wird abwarten bis alle das Referendum vergessen haben. Den Austrittsbrief wird sie eben nicht nach Brüsssel schicken.

        • @Der Alleswisser:

          Der Austrittsantrag ist reine Formsache. Eine Hängepartie kann sich die britische Wirtschaft und auch die EU nicht leisten. Das Parlament muss auf das Referendum reagieren, sonst werden die großen Banken und Firmen sehr bald ihren Sitz von der Insel auf den Kontinent verlagern, wenn sie im europäischen Raum noch mitspielen wollen. Ohne geregelte Austrittsverhandlungen wird sich absehbar keine britische Regierung mehr lange halten können.

          • @Rainer B.:

            ...wenn der britische Antrag auf Austritt reine Formsache ist - warum hat ihn dann Cameron nicht bereits am Freitag (24.6.) erklärt? Warum trat Cameron dann nicht sofort zurück? Warum trat Boris Johnson nicht sofort an, sonderm ließ Gove den Vortritt?

            • @Der Alleswisser:

              Weil sie alle ja gar nicht im Traum mit diesem Ergebnis gerechnet haben und auch nie darüber nachgedacht haben, wie ein Großbritannien nach dem Brexit überhaupt noch funktionieren soll.

              • @Rainer B.:

                Vielleicht funktioniert ein Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr. Vielleicht gibt es dann nur noch die vier selbständigen Teilstaaten: Nord-Irland, Schottland, Wales, England. Eine britische Zentralregierung, eine Queen ist dann vielleicht gar nicht mehr nötig. Weil dies inzwischen auch das Brexit-Lager sieht, ist genau das Brexit-Lager gar nicht mehr so scharf darauf, seinen Sieg rechtlich umzusetzen. Wäre es anders, hätte sich Boris Johnson als Nachfoger von Cameron beworben.

        • @Der Alleswisser:

          In Deutschland würde so eine Einschläferungsstrategie sicherlich funktionieren.

           

          In GB existiert aber eine Jahrhunderte alte Demokratie und auch ein völlig anderes Verständnis, was das Verhältnis Wähler vs. Parlamentarier betrifft. Jeder Abgeordnete, der sich dem Ergebnis dieses Referendums entgegenstellt, bräuchte bei der nächsten Wahl erst gar nicht mehr anzutreten. Sogar die (vermutlich neue) Premierministerin Theresa May hat unmissverständlich klargemacht, dass sie den Brexit durchziehen wird, obwohl sie auf der Seite der Prexitgegner gestanden hat.

          • @Urmel:

            auch GB hat ein Establishment, das vor allem sein eigenes Süppchen kocht, z.B. ein Referendum ausruft. Die Hälfte der Briten ist gegen den Brexit, aktuell wohl mehr als die Hälfte. Also hätten die Brexit-Gegner bei der nächsten Parlamentwahl sehr gute Chancen. Theresa May kann jetzt nur Premierministetrin, wenn sie dem Brexit-Lager nach dem Mund redet. Wenn sie dann Premierministerin ist, dann wird sie zum Brexit schlicht schweigen - und keinesfalls einen britischen Austrittsbrief nach Brüssel schreiben.

  • Da Cameron seinen Job ja nicht zu Ende bringen wird und die Konsequenz seines Volksbegehrens seinem Nachfolger überlassen will ist der Job des PM so vergiftet wie er nur sein kann. Das sich zu diesen Bedingungen überhaupt Deppen finden, die kandidieren, ist mir unverständlich.

    Da ist Lassen weiser als Tun.

  • Leider gibt es solche Gestalten häufiger in der Politik. Meistens in der Oposition, da man dort nie "liefern" muss. Wenn wir uns die Führer der Oposition in Deutschland von AFD bis Linke & Grüne so anschauen ...

  • "...für ein so leicht verführbares Volk..."

     

    Angesichts der Jahrhunderte währenden Schlafmützigkeit deutscher Wähler empfinde diese Bezeichnung der britischen Bürger als reichlich anmaßend. Übrigens: Dieser Tiefschlaf dauert bis heute an......

    • @Urmel:

      Zustimmung :-)....

       

      Ist ja auch immer einfach und dient auch dem Aufwerten, wenn man ständig auf andere zeigen kann.

       

      Dabei haben wir in D unhaltbare Zustände was Armut und Klassen/Stände angeht!

       

      Die meißten Menschen sind halt leicht zu täuschen. Zumal, wenn der Gegenüber auch noch permanent lügt und ein guter Rethoriker ist.

       

      Seid Jahrhunderten haben wir Herrschaft! Thematisiert wird das aber in den großen Medien nicht! Gute Beiträge findet man eh nur auf Blogs wie Flassbeck, Häring u.a.

       

      Im übrigen werden Nachrichten, die dann auch noch Alle übernehmen von Medienkonzernen vorgegeben. Gleichschaltung hatten wir auch in der DDR. Die Deutschen lassen sich nicht nur ausbeuten, sondern auch verblöden.

       

      Ich halte vieles, gerade im Netz für gefakt um die Gesellschaft bewusst zu beeinflussen!

       

      Und warum soll das Referndum nun ein Fehler sein? Kennt der Autor des Aritkels die Zukunft? Oder schreibt er nur das was Medienkonzerne vorgeben?

  • Angesichts von 17 Millionen Flüchtlingen, die nach einschlägigen Medienberichten an der Küste stehen und versuchen, die britischen Klippen zu erklimmen, bekommt selbst ein Boris Johnson mal kalte Füße.

  • Zur Olive het er sich schon erfolgreich zu Lebzeiten gemacht.

  • Seriosität ist keine Bildungs- sondern eine Charakterfrage. Und gute Politik für ein so leicht verführbares Volk zu machen verlangt die Einsicht, dass es sich nicht um einen Spielplatz für kleine böse Jungs handelt sondern um eine Verantwortung für die Zukunft eines Landes und seiner jungen Bürger.

     

    Offenbar wurde ihm diese Einsicht nun doch noch zuteil, wenn auch im Verbund mit den Medien für Vieles zu spät...

  • Ich weiß nicht, ob es kontinentales Geltungsbedürfnis oder einfach Naivität bei unseren Medien ist, aber Boris Johnsions Abgang hat NICHTS mit den europäischen Problemen zu tun, die er mit seinem Einsatz in der Brexit-Kampagne hervorgerufen hat, sondern ist - wie wohl die Brexit-Kampagne auch - nur das Resultat eines Tory-internen Machtkampfes:

     

    Heute Mittag hat sein bisheriger Mitstreiter und Flügelmann, Justizminister Michael Gove, ihm die Gefolgschaft gekündigt und seinen eigenen Hut in den Ring geworfen, begleitet von mehreren wichtigen Leuten aus dem "Camp Johnson" und der klaren Aussage, dass man leider leider Boris einfach nicht für fähig halte, den Job zu machen und deshalb selsbt einspringen müsse - also Politikersprech für "Ich kann es vielleicht selbst werden, dann brauche ich den doch nicht mehr."

     

    Johnson stand also auf einmal ohne einige seiner wichtigsten Berater und Unterstützer da und konnte sich auf die Infrastruktur, die ihn zum Premierminister machen sollte, nicht mehr verlassen. Also zog er zurück. Man könnte auch sagen, dass die Herren hinter der Bühne den großen Haken rausgeholt und den nützlichen Pausenclown aus dem Rampenlicht gezerrt haben. Aber mit Angst vor der eigenen Courage hat das ganze erkennbar reichlich wenig zu tun.

  • Sorry - liegt's am Namen oder was¿!!

     

    Eine weitere ugly Olive aus der

    Very very british snobby-Kiste!

     

    "Aus anderer Leute Leder ist gut Riemen schneiden! & Reicher Leut Kinder haben klebitschte Händ!"

    kurz - Wenig Änderung seit dem Mittelalter!

    (Damen-Variante by Erich Kästner -

    "Und wenn es Mode würde - sich die Nägel blau zu hauen - sie würden's tun

    Die Klassefraun!)

    Im ernst - dafür ist Lord Brummel -

    Nicht gestorben!

    kurz - "…beweist er mehr politisches Gespür als manche Kollegen.…"

    Das - wie ähnlich schon zuvor -

    Wird Ihr peinliches Geheimnis bleiben!

  • Wer will auch schon ein Volk regieren, das jeden Schwachsinn mitmacht, ohne dazu gezwungen zu werden? Sowas macht doch echt keinen Spaß.

  • Johnson ist auch die übliche britische konservative neoliberale Politik. Die Stadt London ist durch ihn keinen Zentimeter besser geworden. Er hat große Parolen zur Hand, aber wirkliche Leistungen sucht man bei ihm vergeblich. Und selbst jetzt könnte das geschickt sein, nicht als Premierminister anzutreten und jemand anderem das Chaos in die Hand zu drücken. Das könnte der nächste Schachzug dieses begabten Menschen sein.