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Boom der RüstungsindustrieBerlin rüstet auf

Die Rüstungsindustrie expandiert in Berlin. Start-ups arbeiten fürs Militär und bald gibt es auch eine Munitionsfabrik. Kritische Stimmen sind kaum zu hören.

Produkt mit nur einem einzigen Zweck: Palettenweise Artilleriemunition und eine Panzerhaubitze der Bundeswehr bei einer Übung Foto: Björn Trotzki/imago

Berlin taz | Mitten in Berlin, gleich neben dem Volkspark Humboldthain, liegt ein abgeschottetes Werksgelände: Ein hoher Zaun mit Stacheldraht umgibt das Areal, an vielen Stellen sind Videokameras montiert. Hier, in den Fabrikhallen des Autozulieferers Pierburg, stellt die Rüstungsfirma Rheinmetall künftig Munitionsbestandteile her.

Bereits seit Juli trägt der Standort einen neuen Namen, aus der Pierburg GmbH – die auch schon zu Rheinmetall gehörte – wurde die Rheinmetall Waffen Munitions GmbH. Nun wird schrittweise die Produktion umgestellt, die Firma muss in den kommenden Monaten noch letzte Aufträge der Automobilbranche erfüllen. Parallel werden jedoch bereits neue Maschinen installiert und die Vorprodukte fürs Militär gefertigt.

Park, Spielplatz, Freibad – und gleich nebenan die Munitionsfa­brik: Am Pierburg-Gelände entlang Hussiten- und Scheringstraße in Gesundbrunnen wird sichtbar, dass die „Zeitenwende“ schon längst Berlin erreicht hat. Die Stadt wird kriegstüchtig. Und fast niemand hat etwas dagegen.

Besonders deutlich zeigt sich das in Berlin im Technologiesektor. Viele Firmen, die früher etwa zivile Anwendungen im Bereich künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Drohnentechnologie oder etwa Robotik entwickelt haben, schwenken derzeit auf den militärischen Sektor um. „Dual Use“ heißt diese Doppelnutzung. Laut der Wirtschaftsförderungsagentur Berlin Partner hat sich die Zahl der Dual-Use-Unternehmen in Berlin in den vergangenen Monaten verdoppelt: von 50 auf 100.

Goldgräberstimmung in Wirtschaft und Politik

Angesichts von Milliardeninvestitionen in die Aufrüstung herrscht in der Branche Goldgräberstimmung. Und die Landespolitik freut sich. „Berlin hat ein riesiges Potenzial“, sagte Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung von Berlin Partner. Man müsse offen sein: „Die Hauptstadt darf angesichts der Sicherheitslage nicht so tun, als hätte man mit der Herausforderung nichts zu tun.“

Auch laut Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner, ergeben sich durch den Dual-Use-Bereich „mittel- bis langfristig Wachstumsmöglichkeiten für die Berliner Wirtschaft“. Dadurch sei möglich, „Sicherheit für Unternehmen und die Bevölkerung zu schaffen“, sagte Franzke am Dienstag zur taz.

Die Umstellung macht unsere Bemühungen für eine zukunftsorientierte Industrie kaputt

Damiano Valgolio, Linke

Das sieht Damiano Valgolio anders. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kritisiert die Herstellung von Rüstungsgütern als „süßes Gift“ für die Unternehmen. „Sie können für ein paar Jahre lukrative Aufträge abgreifen“, sagte er am Dienstag zur taz. Langfristig sichere das aber keine Arbeitsplätze.

Angesichts des Booms der Rüstungsbranche befürchtet Valgolio zudem eine Rückabwicklung von klimafreundlicher Technologie zugunsten des Militärs. „Die Umstellung auf Rüstungsproduktion macht unsere langfristigen Bemühungen für eine Transformation hin zu einer zukunftsorientierten Industrie kaputt“, sagte der Abgeordnete. Er lehne die Aufrüstung deshalb nicht nur aus moralischen Gründen ab. „Ich halte das auch industriepolitisch für den falschen Weg“, so Valgolio.

Mit Dual Use hat die Fabrik nichts zu tun

Doch genau diesen Weg geht Rheinmetall in Gesundbrunnen. Auch mit Dual Use hat die Fabrik nichts zu tun. Die hier gefertigten Geschosshülsen für Artilleriemunition erfüllen nur einen einzigen Zweck: den Einsatz in der konventionellen Kriegsführung.

Weichen muss dafür die Produktion von Lkw-Teilen. Dass das in Anbetracht der Krise in der Automobilindustrie ein wenig zukunftsfähiges Geschäftsfeld ist, war auch den Verantwortlichen in der Zivilsparte von Rheinmetall klar. Deshalb sollte die Fabrik in die Wasserstofftechnologie einsteigen, wie noch im Februar 2024 angekündigt worden war.

Doch im Rüstungssektor lockte offenbar der noch größere Profit, Rheinmetall änderte seine Pläne ein weiteres Mal. Das Pierburg-Werk wird also weiterhin zuliefern, nur eben nicht mehr für die Fahrzeugproduktion. Die künftigen Vorprodukte aus Berlin können dann in der neuen Munitionsfabrik von Rheinmetall in der Lüneburger Heide weiterverarbeitet werden, die diesen Mittwoch unter anderem von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, Finanzminister Lars Klingbeil (beide SPD) sowie Nato-Generalsekretär Mark Rutte eröffnet wird.

Durch den Schritt sollen alle rund 350 Beschäftigten in dem Berliner Werk bleiben können, Entlassungen soll es keine geben. Für den Betriebsrat ist das nach Jahren der Unsicherheit ein Grund zur Euphorie: „Die Umstellung unseres Werks auf die Produktion von Rüstungsgütern ist ein in die Zukunft gerichtetes positives Zeichen“, verkündete Betriebsratsvorsitzender Bernd Benninghaus im Juni. „Die Transformation läuft bei uns anders als gedacht, ist aber alternativlos.“

Offenbar sehen das nicht alle in der Belegschaft so. Es gebe „Einzelfälle von Kollegen“, die ein Problem damit hätten, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten, räumte Benninghaus ein. Auch der Linken-Abgeordnete Damiano Valgolio, der Mitglied der IG Metall ist, sprach am Dienstag von Widerständen unter den Beschäftigten und innerhalb der Gewerkschaft. „Die Kollegen wissen, dass die Umstellung nur eine sehr kurzfristige Sicherung ist.“

Dennoch könne er die Erleichterung beim Betriebsrat verstehen, betonte Valgolio: „Für jeden Kollegen steht an erster Stelle, Arbeit zu erhalten.“ Die Entscheidung über die strategische Ausrichtung der Produktion sei eine Frage der Industriepolitik und Wirtschaftsförderung und müsse auf höherer Ebene entschieden werden.

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