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Blockaden im Fall Oury Jalloh„Immer neue Tiefpunkte“

Sachsen-Anhalt hatte Gutachter beauftragt, Ermittlungsfehler im Fall Oury Jalloh aufzuarbeiten. Doch die Verantwortlichen reden nicht.

Proteste vor dem Landgericht Magdeburg beim Prozess gegen einen der verantwortlichen Polizisten 2012 Foto: Christian Schroedter/imago

Berlin taz | 2017 kommt der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann nach zwölf Jahren Ermittlungen zu dem Schluss, dass der Sierra Leoner Oury Jalloh 2005 in einer Gewahrsamzelle von Dessauer Polizeibeamten angezündet worden sei. Kurz darauf wird ihm der Fall entzogen und an Heike Geyer von der Staatsanwaltschaft Halle übergeben. Sie sieht die Dinge „anders“, sagt sie, und macht einen Schlussstrich unter die Ermittlungen. Wie war das möglich?

Dazu hätten zwei externe Sachverständige im Auftrag des Parlaments von Sachsen-Anhalt mehr herausfinden müssen. Doch daraus wird nun ebenfalls nichts. Denn die insgesamt sieben Justizbeamten, die in dem Fall von den externen Gutachtern befragt werden sollten, weigern sich: Sie wollen nicht reden.

Kurz zuvor hatte der Bund der Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt die schon vor zwei Jahren vereinbarte externe Untersuchung als „eklatanten Eingriff in die grundgesetzlich geschützte richterliche Unabhängigkeit“ bezeichnet.

Sie sind nicht die einzigen, die die Arbeit der externen Sachverständigen zu verhindern versuchten. Das Justizministerium in Magdeburg hatte in der vergangenen Woche eine unbeaufsichtigte, vertrauliche Befragung der StaatsanwältInnen durch die Gutachter als verfassungswidrig abgelehnt. Zulässig sei sie nur innerhalb von Sitzungen des Rechtsausschusses.

Rückendeckung für Justizministerin aus der CDU

Linke, SPD und Grüne warfen dem Justizministerium daraufhin vor, die Aufklärung des Falles zu behindern. Am Mittwoch hatten die Obleute des Rechtsausschusses dann vereinbart, die Befragung nicht unter vier Augen, sondern im Rechtsausschuss durchzuführen. Da wollen die sieben Richter und Staatsanwälte, von denen inzwischen fünf im Ruhestand sind, aber auch nicht mitmachen.

„Wir prüfen derzeit Wege, inwieweit auch pensionierte Beamte verpflichtet werden können, an einer Sitzung des Rechtsausschusses teilzunehmen“, sagte ein Sprecher des Ministeriums der Deutschen Presse-Agentur.

Justizministerin Keding war in Folge der Ablehnung Anfang der Woche in die Kritik geraten, auch von den Koalitionspartnern SPD und Grüne. Keding hatte daraufhin versichert, sich für die Aufklärung einzusetzen.

Es ist ein absolut unwürdiger Umgang, der immer neue Tiefpunkte erreicht

Linken-Abgeordnete Henriette Quade

Unterstützung bekamen die Richter und Staatsanwälte hingegen aus der CDU-Fraktion. Ihr Mitglied Jens Kolze griff einen der externen Gutachter, den früheren Rechtsexperten der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, an. „Wir werden uns nicht daran beteiligen, Richter und Staatsanwälte aus Sachsen-Anhalt durch Befragungen im Ausschuss in eine Situation zu bringen, in der sie sich in ihrer richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt sehen“, sagte Kolze.

Für die Linke im Landtag von Magdeburg ist dies ein Zeichen der „institutionellen und individuellen Verweigerungshaltung der Justiz“, und des „mangelnden Aufklärungswillens gepaart mit fadenscheinigen Ausreden und Vorwänden“, die den Umgang mit dem Fall Oury Jalloh seit 15 Jahren kennzeichnet.

„Es ist ein absolut unwürdiger Umgang, der immer neue Tiefpunkte erreicht“, sagte die Linken-Abgeordnete Henriette Quade. Insbesondere die SPD und die Grünen müssten sich fragen und fragen lassen, ob sie dies so hinnehmen wollen. „Wer zwar empört ist, aber nichts ändert, trägt Mitverantwortung dafür, dass Aufklärung und Aufarbeitung nach wie vor ausbleiben“, so Quade.

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5 Kommentare

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  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Es ist ein absolut unwürdiger Umgang, der immer neue Tiefpunkte erreicht“, sagte die Linken-Abgeordnete Henriette Quade. Insbesondere die SPD und die Grünen müssten sich fragen und fragen lassen, ob sie dies so hinnehmen wollen. „Wer zwar empört ist, aber nichts ändert, trägt Mitverantwortung dafür, dass Aufklärung und Aufarbeitung nach wie vor ausbleiben“, so Quade."

    GENAU SO IST DAS!!!

  • Man sollte auch prüfen, ob sowas wie Beugehaft möglich ist.



    Nicht nur in diesem Fall, sondern generell bei Staatsbediensteten, die Aufklärung verhindern und Aussagen verweigern.

  • Danke für die hartnäckige Bearbeitung zur Aufklärung des verfassungsschädigenden Verhaltens der Polizei und Justiz in unserem Lande.



    Die Damen und Herren Beamten sind der Verfassung verpflichtet. Sollten Sie keine Aussagen machen wollen, sollten ihre Pensionsbezüge entsprechend gekürzt werden. Schließlich sind das keine Rentenzahlungen, sondern Steuergelder !



    Es kann und darf nicht sein, dass sich unsere Gesellschaft hier von ein paar (ehem.) Staatsdienern an der Nase herumführen läßt. Schließlich waren und sind die Damen und Herren im Auftrag unser aller beschäftigt und bezahlt gewesen.



    Scheinbar gibt es hier etwas zu verbergen. Andernfalls bestünde kein Grund über die Sachverhalte auszusagen, den es geht um Rechtssicherheit in unserem Lande. Die Betroffenen haben einen Eid auf die Verfassung gelobt und sind gerade dabei diesen zu brechen?!

    • @Sonnenhaus:

      Nöööö - sie sehen nur als erstes ihre verfassungsmäßige Geschützheit und ihr Recht vor unbequemen Nachfragen.



      Es ist schon eigenartig: als Richter im Dienst unterliegen sie ja immer der Möglichkeit der Kontrolle ihrer Entscheidungen durch ein übergeordnetes Gericht... Obwohl das ja wohl auch nicht immer greift, wie auch der Fall von Gustl Mollath beweist ... Ist schon bedenklich, dass man sich einfach verweigern darf. Da sollte dringend Abhilfe geschaffen werden.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Niemand hat vor, eine Mauer des Schweigens zu bauen!"