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Blockade der A100Fiese, feine Nadelstiche

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Der Protest der „letzten Generation“ zeigt Wirkung – er erhält mehr und mehr Aufmerksamkeit. Doch nun braucht es mehr als Blockaden: Inhalte.

Ersatzpolizisten im Einsatz bei der Autobahnblockade am Montag Foto: dpa

S eit rund zwei Wochen beginnt der Tag in Berlin meist mit der Nachricht, dass Ak­ti­vis­t*in­nen „erneut Autobahnen blockiert“ haben. Und nicht nur in der Hauptstadt verleiht die selbst ernannte „letzte Generation“ ihrer Forderung nach einem Bundesgesetz gegen Lebensmittelverschwendung auf diese Weise Nachdruck, sondern auch in anderen deutschen Städten.

Normalerweise ist die Phrase, dass etwas „wieder passiert“, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Bedeutung von Ereignissen abflaut – sie sind ja nicht mehr neu und erhalten deshalb weniger öffentliche Aufmerksamkeit. In diesem Fall ist es umgekehrt: Der höchst effiziente Protest einiger weniger Menschen zeigt Wirkung, in mehrfacher Hinsicht.

Das liegt nicht nur daran, dass das Engagement der Ak­ti­vis­t*in­nen nicht nachlässt und sie ihre Aktionen im morgendlichen Berufsverkehr fast schon stoisch wiederholen. Vielmehr fachen einige direkt Betroffene mit martialischen Auftritten der Selbstjustiz die Debatte an: Mehrere in den sozialen Medien verbreitete Videos zeigen wütende Autofahrer, die auf die auf der Straße sitzenden Ak­ti­vis­t*in­nen mit Gewalt losgehen, ohne dass die Polizei einschreitet. Die Aktion – das ist die Botschaft der Filme – hat einen Nerv der deutschen Gesellschaft getroffen: Wer die „freie Fahrt für freie Bürger“ einschränkt, muss sich auf einiges gefasst machen.

Auf diese Weise entwickelt dieser Protest seine eigene Geschichte. Sie leidet allerdings darunter, dass sie sich immer mehr von ihrem Anlass löst. Denn die Autofahrer werden mutmaßlich ja nicht handgreiflich, weil sie für die Verschwendung von Lebensmitteln sind. Wenn sich demnächst Tier­schüt­ze­r*in­nen oder Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen auf der A 100 festkleben: Weiß man dann noch, aus welchem Grund? Zudem stellt sich die Frage, wie die nächste Eskalationsstufe nach Protest und rabiater Gegenwehr aussehen kann und sollte.

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Risikoreicher Einsatz

Das allein entzieht dem Protest nicht die Legitimation; der persönliche, risikoreiche Einsatz der Akt­vis­t*in­nen ist bewundernswert. Es zeigt sich jedoch, dass punktuelle Aktionen wie die Blockade der Autobahnen immer nur ein Element einer auf Medien angewiesenen Überzeugungsarbeit sein können. Wenn am Ende der Eindruck der blinden Erpressung überwiegt, sei es durch die Formulierung der Forderungen, sei es durch Gewalt oder der Gefährdung der eigenen Gesundheit, steht das Ego der Ak­ti­vis­t*in­nen im Vordergrund, und nicht das „wir“ einer besseren Gesellschaft.

Denn am Ende geht es um die Frage, ob ein Protest nicht nur Aufmerksamkeit erzeugt, sondern auch etwas bewirkt im Sinne der ursprünglichen Intention.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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5 Kommentare

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  • Diese Nadelstiche zeugen eher von Sadismus und fehlender Empathie als von Verantwortung oder Gestaltungswillen. Was können denn die Autofahrer tun? Die werden blockiert, haben aber gar keine Möglichkeit die Forderungen irgendwie zu erfüllen. Und reden will von den Aktivisten offenbar auch niemand. Es ist so sinnlos. Am Ende dreht einer mal durch und dann ist das Gejammer groß.

  • Ich hoffe, dass die Polizei über ihre Gesichtserkennungsspezialisten die angreifenden Täter sucht und bestraft. Wer Demonstranten körperlich angeht, begeht Körperverletzung.

  • Nicht in meinem Namen!!



    Das ist eine fragwürdige Aktion die uns Landwirten überhaupt nicht weiter hilft. Öko oder auch konventionell, unser Veränderungsprozess läuft gut im Dialog und nicht auf der Autobahn mit leeren Phrasen! Also bitte weg mit der Ähre aus Euren Logo - blockiert bitte nicht unsere Veränderung!

  • Mir sind die Plakate Essen retten Leben retten auch etwas zu dürftig. Wenn es um Inhalte geht braucht es dazu schon mal ne DIN4 Seite um Stellung zu nehmen. Und sein Leben der Gefahr auf einer Autobahnauffahrt auszusetzen reichlich idiotisch.



    Warum demonstrieren Sie nicht vor den Supermarkt ketten?

  • Dem "ihr sorgt für die Bilder, wir für die Story", möchte ich nicht ganz folgen.



    Da viele Wähler eine ganz andere Perspektive auf diese Bilder haben, werden sich diese Proteste langfristig negativ auf die erklärten Ziele auswirken. Vielen wird eher die massive Nötigung im Gedächtnis bleiben.