Black-Lives-Matter-Protest in England: Fahndung nach Denkmalstürmern
Im britischen Bristol haben Demonstranten die Statue eines Sklavenhändlers ins Hafenbecken gestürzt. Für die Innenministerin ist das Vandalismus.
Die Luftblasen beim Denkmalsturz am Sonntag waren nicht nur deshalb symbolisch für die Kampagne „I Can’t Breathe“, die an die Ermordung von George Floyd durch einen US-Polizisten in Minneapolis erinnert. Sie erinnerten auch an das berüchtigte Zong-Massaker aus dem Jahre 1781, als die Crew des englischen Handelsschiffes „Zong“ im Atlantik 130 afrikanische Sklaven über Bord ins Wasser warf, damit die englischen Besitzer des Schiffes – sie hatten es samt menschlicher Fracht von Holländern gekauft, als es schon auf See war – Versicherungsgelder für „verlorene Fracht“ ausbezahlt bekommen konnten. Das Bekanntwerden dieses Massenmords setzte die britischen Kampagnen zur Abschaffung der Sklaverei in Gang.
Im westenglischen Bristol, um 1730 die wichtigste Hafenstadt des britischen Sklavenhandels, blickt Colston seit Sonntag nicht mehr über „seine“ Stadt. Die Gestalt des „tugendhaften Mannes“ liegt nun tief im Schlamm des Hafenbeckens. Demonstrant*innen hatte eine Schlinge um den metallenen Hals gelegt, die Statue umgekippt und unter großem Jubel zum Hafenbecken gerollt. Jemand kniete auf Colsons Hals, dann wurde das Denkmal versenkt, während viele Fäuste, weiße wie schwarze, sich zum Sieg nach oben streckten.
Bristols Bürgermeister Marvin Rees – Großbritanniens erster direkt gewählter schwarzer Bürgermeister, sein Vater stammt aus Jamaika – bezeichnete den Denkmalsturz auf BBC als „ikonischen Moment“ für die Stadt. „Ich kann nicht so tun, als ob ich einen ernsten Verlust wegen der Statue fühlen würde, oder als sei ihre Anwesenheit im Zentrum Bristols, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, etwas anderes gewesen als eine persönliche Beleidigung“, so der Bürgermeister weiter.
Seit über 20 Jahren quälte sich Bristol mit der Statue. Mal sollte sie ins Museum, mal sollte sie mit einer Tafel versehen werden, die den Mann kontextualisiert. Am Ende geschah nichts. Bis zu diesem Sonntag.
Colston hatte seinen Reichtum nach seinem Tod der Stadt Bristol überlassen. Viel wurde damit aufgebaut. Erst als Black-Lives-Matter-Proteste auch Bristol erreichten, wo 16 Prozent aller gut 500.000 Einwohner*innen einen BAME-Hintergrund haben (Black Asian Minority Ethnic), wurde das Schicksal der Statue besiegelt. Nicht einmal die Polizei griff ein. Das hätte zu einer unnötigen Eskalation geführt, hieß es von dem Polizeichef der Stadt.
Im ganzen Land wurde am Wochenende gegen Rassismus protestiert. Gründe gibt es viele: Die Anzahl Schwarzer in den Strafanstalten von England und Wales beträgt laut einem Bericht des schwarzen Labour-Abgeordneten David Lammy 12 Prozent, ihr Bevölkerungsanteil 3 Prozent. Neue Daten von der Gesundheitsbehörde Englands zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, bei schwarzen Männern viermal höher ist als bei weißen. Für schwarze Menschen in Großbritannien ist es doppelt so wahrscheinlich, unter Polizeigewalt zu sterben, als für andere.
Obwohl Mundschutzmasken und Handschuhe ausgeteilt wurden, hielt sich die Mehrzahl der Protestierenden nicht an Abstandsregeln. Einige begründeten ihre Anwesenheit trotz der Pandemie damit, dass Rassismus auch eine Pandemie darstelle. In London, wo am Samstag und am Sonntag mehrere Zehntausend, meist jugendliche Menschen vor der US-Botschaft und vor dem Parlament demonstrierten, kam es am Ende zur Konfrontation mit der Polizei. Mehrere Polizeibeamt*innen wurden verletzt, etwa ein Dutzend Personen wurde festgenommen, größtenteils wegen Sachbeschädigung. So versuchten einige, Gedenkfahnen am Weltkriegsdenkmal „Cenotaph“ herunterzureißen, während einem Denkmal von Winston Churchill das Wort „Rassist“ beigefügt wurde.
Von „Krawall untergraben“
Die Proteste seien von „Krawall untergraben“ worden, behauptete daher Premierminister Boris Johnson. Im Parlament hatte er letzte Woche noch bestätigt, dass schwarze Leben wichtig seien. Sein ehemaliger Finanzminister Sajid Javid ließ wissen, seiner Ansicht nach könne Johnson mehr für Gleichberechtigung tun.
Das mit der Statue in Bristol unterstütze er nicht, so Sajid Javid. Innenministerin Priti Patel bezeichnete das Entfernen der Statue als schändlich und als inakzeptablen Vandalismus. Nach den Verantwortlichen wird jetzt gefahndet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen