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Bildungszeit für WeiterbildungEs braucht mehr als Youtube

Gastkommentar von Bernd Käpplinger

Bei der Weiterbildung setzt Deutschland bisher nur auf Quantität. Um etwas zu bewirken, müssen die Angebote intensiver und besser zugänglich sein.

Weiterbildung vom Sofa aus? – Eine echte Bildungskarenz sieht anders aus Foto: Marc John/imago

S eit Januar liegt auf Bundesebene ein Entwurf für eine Bildungszeit für Weiterbildung vor. Beschäftigte sollen durch individuellen Antrag die Chance bekommen, sich bis zu 12 Monate in Vollzeit oder bis 24 Monate in Teilzeit weiterbilden zu können. Dazu braucht es eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Der Arbeitgeber muss das Gehalt während der Weiterbildung nicht weiterbezahlen, sondern die Beschäftigten erhalten rund zwei Drittel ihres Gehalts vom Staat. Die Kursgebühren werden bei Geringverdienenden mindestens zur Hälfte oder sogar ganz vom Staat übernommen.

Der Entwurf aus dem Arbeitsministerium ist erkennbar inspiriert von der Bildungskarenz in Österreich. Dort wird seit zwei Dekaden praktiziert, was in Deutschland als vermeintliche Illusion abgetan wird. Was aber besagen Evaluationen im Alpenland? Die Zahl der Nut­ze­nden ist über die Jahre hinweg angestiegen und lag 2018 bei 15.000 Menschen von rund 4,3 Millionen Beschäftigten.

Die Bildungskarenz wird als kleine, aber feine Maßnahme charakterisiert. Bezogen auf die Teilnehmenden pro Jahr ist sie von geringer Bedeutung, doch das mit der Bildungskarenz verbundene Zeitvolumen ist beträchtlich und Einkommenssteigerungen (rund 10 Prozent bei der Hälfte der Teilnehmenden) und berufliche Veränderungen sind in Analysen zu beobachten. Die Karenz wird überproportional von Aka­de­mi­ke­r*in­nen genutzt, wenngleich 59 Prozent aller Nutzenden keinen akademischen Abschluss haben.

In Deutschland dagegen fixierte man sich, europäischen Zielsetzungen gemäß, auf die Teilnahmequote. Rund 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung sollten demnach jährlich eine Weiterbildung besuchen. Egal, ob es sich um eine zweistündige Schulung oder eine lange Umschulung handelt. Es ist gut zu wissen, wie breit die Bevölkerung an Weiterbildung teilnimmt oder nicht, aber die Teilnahmequote allein ist wenig aussagekräftig.

Bild: Anja Schaal
Bernd Käpplinger

ist Professor für Weiterbildung an der Uni Gießen. Er befasst sich mit Weiterbildungsteilnahme, -politik und Bildungsberatung.

Weniger Menschen freiwillig ausbilden

Es wäre also angebracht, mit einer intensiven Bildungszeit quasi eine Zeitenwende einzuläuten: Nicht mehr primär auf Quantität zu achten, um viele Menschen in kurze Weiterbildungen zu bringen (2020 dauerte eine Weiterbildung im Schnitt nur 34 Stunden), sondern um weniger Menschen mit Bedarf und freiwillig intensiv weiterzubilden.

Angesichts der großen Transformationen in Wirtschaft, Wissenschaft und Ökologie braucht es einen Qualitätssprung zu mehr Klasse. Hier stellen sich auch Gerechtigkeitsfragen: Um mehr Benachteiligte zu erreichen, muss analysiert werden, wer bisher Weiterbildungen nutzt – und wie ein besserer Zugang für alle erreicht werden kann.

Die Bildungszeit soll private oder betriebliche Weiterbildung nicht überflüssig machen. Sie soll sie ergänzen in dem Sinne, dass sich für große Weiterbildungen im Alltagsstress kaum Zeit genommen wird. Bildungszeitgesetze der Länder sehen „nur“ Freistellungen von oft fünf Tagen vor. Das kann Impulse bringen, aber in fünf Tagen werden sich keine riesigen Wissens- und Kompetenzsprünge ereignen. Youtube-Videos sind schön für alltägliches Lernen en passant, aber Olym­pia­sie­ge­r*in wird damit niemand.

In den letzten Dekaden stagnieren die öffentlichen Weiterbildungsausgaben und inflationsbereinigt sinken sie, trotz aller Sonntagsreden. In Deutschland geben Bund und Länder geschätzt rund fünfmal mehr für Hochschulbildung, für frühkindliche Bildung viermal mehr und für Berufsbildung im Dualen System doppelt so viel aus wie für Weiterbildung.

Frühe Investitionen sind sicherlich wichtig, aber diese extreme Schieflage ist unangemessen in einer alternden Gesellschaft, in der seit mehr als zehn Jahren schon weniger Menschen unter 20 Jahren leben als Menschen über 67 Jahre. Der geschätzte Bedarf von 334 Millionen für die Bildungszeit im Jahr 2026 sind keine Peanuts, aber ein Beitrag zur Normalisierung der Relationen im Sinne des lebenslangen Lernens.

Der Gesetzentwurf muss kritisch befragt werden: Werden alle Beschäftigten angesprochen? Was ist mit Selbstständigen und Beschäftigten in kleinen Betrieben? Führt mehr Zeit wirklich zu mehr Qualität? Ist eine Zertifizierung auf Angebots- statt Anbieterebene flexibel genug? Warum muss die oft in der Bevölkerung unbeliebte Bundesagentur für Arbeit dafür zentral sein? Genügen zwei oder bräuchte es nicht eher drei Jahre Zeit? Wie findet man das passende Angebot? Könnte man wichtige Themen mit gesellschaftlichem Bedarf besonders anregen? Braucht es eine Förderung nur für Berufliches oder auch für politische Bildung oder Gesundheitsbildung?

Daneben kann jedoch kritisch gefragt werden, was vom Bundesbildungsministerium (BMBF) an Impulsen und Innovationen in der Weiterbildung durch Stark-Watzinger kommt und zuvor von Karliczek kam? Bildungsprämie? 2021 abgeschafft! Infotelefon Weiterbildung? 2022 abgeschafft! Dafür Pläne zu einer nationalen Bildungsplattform im Internet, was auf den MILLA-Entwurf der CDU-Bundestagsfraktion aufbaut, der ein „Netflix der Weiterbildung“ vorschwebte, wo man „Binge-Learning“ abends auf der Couch betreiben soll, wenn die Kinder schlafen.

Das Arbeitsministerium wirft mit dem Entwurf vielleicht Fragen auf, aber vom Bundesbildungsministerium kommt relativ wenig. Ein Schelm, wer denkt, dass ein FDP-Finanzminister aktuell einen Gesetzentwurf bremst, um dem SPD-Arbeitsministerium keinen Erfolg zu gönnen, wenn ein FDP-geführtes Bildungsministerium in Weiterbildungsfragen eher durch eine Art Grabesruhe auffällt.

Alles in allem weist die Bildungszeit in eine gute Richtung, aber sie springt (noch) zu kurz. Wenige Gesetze waren schon mit ihrer Verabschiedung ein Erfolg, sondern sie mussten wie guter Wein reifen. Aktuell scheint es in einer gehetzten Zeit zwar gnadenlose Urteile, aber keine Zeit zu geben. Vor allem Bildung, aber auch Gesetze brauchen etwas Muße. Der Bildungszeit wäre trotz aller Kritik eine Chance zu gönnen – als Schritt hin zu einer Zeitenwende in der Weiterbildung.

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5 Kommentare

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  • Bildung, Weiterbildung, Ausbildung . . . kann jemand mal diese Begriffsverwirrung auflösen ?



    (Ein Schelm, wer hier an eine Absicht denkt)

  • 1/2



    Bin kein Fachmann ich Sachen Weiterbildung, zähle mich aber als ehml. Langzeitarbeitsloser zu den von ihr (Nicht)!!-Betroffenen. Von daher kommt mein Interesse, insb. an einem Teilaspekt des Themas. Dessen gesamte Bedeutung aber ganz außer Frage steht. Vielleicht ist es auch so, dass Thema u. Problematik sachlich u. politisch längst diskutiert werden. Nur, dass es hier mal einer mit berufener, weil qualifizierter Stimme der Öffentlichkeit gegenüber zur Sprache bringt – das ist so wichtig.



    „Warum muss die oft in der Bevölkerung unbeliebte Bundesagentur für Arbeit dafür zentral sein?“ Naja, unbeliebt ist die BA bei sehr vielen Leuten, weil da keiner hin will. Sie ist ein institutionalisierter Teil dessen, worüber die Autorin Anna Mayr („Die Elenden“) schreibt. Die BA steht für dass, wovon sich die Leute abgrenzen wollen, die Arbeitslosigkeit u. die Arbeitslosen. Weil man das zu Recht erst gar nicht erleben will. Und weil man trotzdem dafür bezahlen soll (Steuern, Versicherungssummen u. für c. a. ein hunderttausend Beschäftigte), was andere erleben müssen.



    Schon von daher ist der Plan der SPD, aus der BA eine „Bundesagentur für Arbeit u. Qualifizierung“ zu machen ambitioniert. Etwas pikant ist die Sache aber schon. Denn Arbeitgeberverbände u. Unternehmen z. B., waren sich bisher nicht zu schade, ihre Frühverrentungsprogramme – für Facharbeiter! - just aus diesen Töpfen mit finanzieren zu lassen.



    Trotzdem liegt es jedenfalls den pol. verantwortlichen wohl nahe, die BA in das Konzept an herausgehobener Stelle hineinzunehmen, schon des vorhandenen Personalpotentials wegen. Da setzt soweit ich es weiß auch Kritik an: Bei Stefan Sell las ich vor längerer Zeit die Frage, ob das Personal der BA qualifikationsmäßig auf die neue Aufgabe, zumindest potentiell, eingestellt sei. Zumal man dort jetzt mit dem neuen Bürgergeld ohnehin in Arbeit versinken dürfte, sage ich dazu. Um´s Lästern geht es nicht.

  • 2/2



    Meine Erfahrung bzgl. BA ist aber die: Dort findet „jede Menge“ Weiterbildung statt. Nur scheint man sich bei der BA nicht im Klaren zu sein, dass man sie „macht“. Und wenn doch, hat man ein sehr „autoritatives“ Verständnis davon, Weiterbildung ist gleich Maßnahme. Und Maßnahmen bemaßen sich bisher am schnellst möglich zu erzielenden Vermittlungserfolg. Nicht an den Zielen und Kriterien, die für „Weiterbildung“ als solche gelten und unverzichtbar sind, soll sie im Sinne der Teilhabenden gelingen. Das soll sich mit dem Bürgergeld ändern.



    Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass aus dem Projekt etwas Tragfähiges werden kann, wenn dort nicht das Verständnis von Weiterbildung einer Revision unterzogen wird, an deren Ende ein modernes Weiterbildungsverständnis institutionalisiert u. umgesetzt wird. Denn die BA ist in meinem Verständnis ein politisch-administrativer Apparat, der weit in institutionalisierte gesellschaftliche Bereiche hinein greift und dort eben doch nicht zum Besseren wirkt. Das tut sie in den schulischen Bereich, der sozialen u. psychosozialen Arbeit, den Gesundheitsbereich, der Bildung allg. hinein. Und immer installiert sie dort eine rechtlich-administrative Segregation von Arbeitslosen u. Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaften gegenüber den sich dort befindlichen berufstätigen Menschen.



    Stattdessen wäre eine „Vernetzung“ /Rückkoplung der BA mit diesen Bereichen in der Art notwendig, dass sie Impulse von dort aufnimmt. So auch in der Weiterbildung. Da kann ich dann nur noch mit Schrecken zu Kenntnis nehmen, was der Autor zum Verhältnis etwa des Bildungsministeriums zum Ministerium für Arbeit benennt.



    Denn das, was der Autor zum Weiterbildung allein schon an Fragen aufwirft, was er zur Zielsetzung von Weiterbildung sagt, dem stimme ich zu. Und hoffe wirklich sehr, dass wird auch in der BA realisiert.

    Danke für den Beitrag.

  • Genau so wie uns die Coronawelle 2020 überrollt hat, oder in den Debatten um den Länder-Finanzausgleich, in denen sich die Bundesländer als Föderation mit schlechter Koordination gegenseitig im Weg standen und geeintes notwendiges Handeln unmöglich gemacht haben, um sich, für Wahlkämpfe etwa, zu profilieren, so wird dieses unsäglichen Verhalten nun auch im Gerangel um Lehrkräfte sichtbar. Damit zeigen die Bundesländer wieder einmal, worum es ihnen in Wahrheit geht - um Macht, Deutungshoheit und - Wiederwahl zum Machterhalt. Das wird auf dem Rücken von Lehrern und Schülern ausgetragen - beschämend, wie ich finde. In Bereichen, die das ganze Bundesgebiet betreffen, sollten unsere föderalen Bundesländer in ihren Befugnissen eingeschränkt werden und diese von der Bundesregierung übernommen werden, schon um die allseits bekannten und bemängelten Flickenteppich endlich zu beenden.

    Kleine Erinnerung zum Schmunzeln zum Schluss: eine Cartoon, schon an die 50 Jahre alt, zeigt ein fassungsloses kleines Lehrerchen vor einer unübersehbar großen Schülerschar fragen: "Seid Ihr der Pillenknick? - Ich bin die Lehrerschwemme!"

    Auch wenn es gar nicht zum Lachen sein sollte - darüber muss ich heute noch, besonders jetzt, herzhaft lachen. Wie sich doch die Kultusministerkonferenz immer wieder irren kann in ihren Vorhersagen... :)))

    • @noevil:

      Wie kommen Sie zu dem Schluss, dass eine zentrale Steuerung auf Bundesebene wirklich besser wäre? Was ist, wenn dann nur alle zentral gesteuert in eine schlechte Richtung gehen? Es gibt keine grundsätzliche Überlegenheit des Zentralismus. Siehe Frankreich, wo viele darüber klagen, wie gut es ist, wenn alles zentral aus Paris gemeint wird steuern zu können. Und auch auf Bundesebene geht es u.a. auch "um Macht, Deutungshoheit und - Wiederwahl zum Machterhalt." Oder vielleicht wäre es manchmal ein Weg, den Schulen mehr Autonomie zu geben statt Sie durch Kultusministerien auf Bundes- oder Länderebene zu "gängeln"? Mehr Dezentralismus statt mehr Zentralismus?