Bildungspolitikerin über Ernst-Rücktritt: „Erhoffe mir eine Kurskorrektur“
Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst ist zurückgetreten. Die grüne Bildungspolitikerin Petra Budke über Rezepte gegen den Lehrkräftemangel.
taz: Frau Budke, am Montag hat Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) ihr Amt niedergelegt. Hat Sie der Rücktritt überrascht?
Petra Budke: Tatsächlich habe ich damit nicht gerechnet. Aus Sicht der Ministerin ist es aber ein konsequenter Schritt – und er verdient Respekt.
Als Rücktrittsgrund nannte Ernst fehlende Geschlossenheit im Kampf gegen den Lehrkräftemangel – also zu wenig Rückhalt bei den Regierungsfraktionen. Fühlen Sie sich angesprochen?
Ich denke, da bezieht sich Frau Ernst vor allem auf ihre eigene Fraktion. Deshalb möchte ich die Beweggründe für den Rücktritt nicht kommentieren.
Zuletzt haben aber – neben der SPD – auch Sie die Bildungsministerin scharf kritisiert, weil sie unbesetzte Lehrerstellen für Schulsozialarbeiter:innen und Verwaltungskräfte freigeben wollte. Damit wollte Ernst die Schulen entlasten. Warum ist das problematisch?
Gegen mehr Verwaltungskräfte oder Schulsozialarbeit habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Ich glaube, wir müssen Pädagoginnen und Pädagogen viel stärker entlasten, damit sie wieder das machen können, wozu sie ausgebildet sind und wofür wir sie so dringend brauchen: nämlich die pädagogische Arbeit. Das Problem ist aber, dass die 200 Stellen, die Sie ansprechen, nicht zusätzlich gedacht waren, sondern dass entsprechend 200 Stellen an anderer Stelle gestrichen werden sollten. Und das würde vor allem Schulen für gemeinsames Lernen, Förderschulen und Schulzentren treffen. Also auch die Schulen, die sich auf dem Weg gemacht haben, Unterricht mal neu zu denken.
Wie wäre es besser?
Die 200 Stellen müssen zusätzlich kommen. Eigentlich hatten wir uns im Koalitionsvertrag 400 Stellen für multiprofessionelle Teams vorgenommen. Es wäre schön, wenn wir die jetzt auch bekämen, ohne andere Stellen zu streichen. Und dann müssen wir alles daransetzen, die Lehrkräftestellen trotzdem sämtlich zu besetzen.
Aber wie? Die Möglichkeit auf Teilzeitarbeit einschränken wie in Sachsen? Eine Stunde Mehrarbeit wie in Sachsen-Anhalt? So weit wollte Ministerin Ernst ja aus gutem Grund nicht gehen.
Das stimmt. Das muss man Britta Ernst zugutehalten. Sowohl die Beschränkung der Teilzeitregeln als auch Mehrarbeit für Lehrkräfte waren mit ihr so nicht zu machen. Sie wollte auch nicht die Klassen größer machen, das hätte sie auch tun können. Ich glaube, wir müssen jetzt noch stärker das Engagement der Schulen honorieren, die die Qualität ihres Unterrichts verbessern möchten.
Was heißt das konkret?
Zum einen, dass wir die Schulen mit mehr multiprofessionellen Teams ausstatten müssen. Das fängt bei Assistenzkräften und Personal für die Digitalisierung an und endet bei Schulbegleiter:innen und Schulgesundheitsfachkräften. Und wir müssen es Lehrkräften auch leichter machen, Stellen auf dem Land anzunehmen, wo der Personalmangel besonders gravierend ist. Das Landlehrkräftestipendium ist da ein Baustein, aber auch die Kommunen müssen mehr anbieten. Sie könnten beispielsweise Wohnungen stellen oder bei der Jobvermittlung von Partner:innen helfen. Die Schulen auf dem Land müssen zu Orten werden, wo Lehrkräfte gerne arbeiten.
Der Blick des Koalitionspartners Der Rücktritt von Britta Ernst (SPD) nach fünfeinhalb Jahren an der Spitze des Brandenburger Bildungsministeriums hat weithin für Überraschung gesorgt. Der Fraktionschef der mit der SPD in der rot-schwarz-grünen Landesregierung koalierenden CDU, Jan Redmann, stellte sich hinter Ernsts kritisierte Pläne. Sie hatte vorgeschlagen, zur Abfederung des Lehrermangels 200 derzeit unbesetzbare Lehrerstellen in Stellen für Verwaltungskräfte und Schulsozialarbeiter umzuwandeln. Wer Ernsts Vorschläge als zu bitter kritisiere, sei in der Pflicht, eigene Vorschläge zu machen, sagte Redmann – „Mir sind diese Alternativvorschläge bislang nicht bekannt.“
Die Sicht aus dem Nachbarland Die führende Bildungspolitikerin der SPD im Nachbarland Berlin, Maja Lasić, wies darauf hin, dass Berlin seit Längerem unbesetzbare Lehrerstellen zumindest zeitweilig in Verwaltungsstellen umwandelt. „Ich glaube deshalb nicht, dass es an den 200 Stellen gelegen hat“, sagte Lasić am Dienstag der taz. Ernst hat nach ihrer Einschätzung offenbar grundsätzlich der Rückhalt in der SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag gefehlt. (sta)
Im Februar hat das Bildungsministerium eine Liste mit 12 Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel vorgestellt. Darunter die Ausweitung der Selbstlernzeiten oder Verbeamtung auch bei Bachelorabschluss. Welche Rezepte halten Sie für sinnvoll?
Tatsächlich sehe ich die Verbeamtung der Bachelor-Lehrkräfte sehr kritisch. Umfragen an Unis haben bereits ergeben, dass Studierende dadurch möglicherweise ihr Studium abbrechen, um schneller an die Schulen zu kommen und trotzdem verbeamtet werden können. Das kann nicht die Lösung sein. Es ist in meinen Augen sehr wichtig, dass wir jetzt schnell die Lehramtsausbildung inklusiver und praxisnäher gestalten. Sie also in ein duales Studium umwandeln, wie es an der BTU Cottbus-Senftenberg bereits angelaufen ist. Bei dem 12-Punkte-Plan aus dem Ministerium gibt es aber auch gute Ideen. Hybridunterricht halte ich an Oberstufenzentren in dünn besiedelten Regionen für eine gute Ergänzung. Zum Teil sind einfach die Wege zu weit.
Manche Verbesserungen fordern Gewerkschaften schon lange: Etwa dass künftig auch Grund- oder Förderschullehrer:innen eine Laufbahn im höheren Dienst offensteht. Die Grünen regieren bereits seit 2019 in Brandenburg mit. Warum kommt diese Anpassung erst jetzt?
Wir Bündnisgrüne waren in Brandenburg zehn Jahre in der Opposition. Alles kann man nicht sofort umsetzen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass bald nach unserer Regierungsbeteiligung die Pandemie kam. So sind manche Programme wie der Ausbau des „Gemeinsamen Lernens“, die das individuelle Lernen unterstützen, seit dem Lockdown ausgesetzt. Es gibt also viel zu tun. Die Öffnung für den höheren Dienst ist nach der Anpassung der Besoldungsstufe aller Lehrkräfte auf A 13 ein konsequenter Schritt, den ich sehr begrüße.
Trotzdem: Im neuen Schuljahr fehlen voraussichtlich wieder Hunderte Lehrkräfte. Wie soll denn der Unterricht abgedeckt werden?
Ich glaube, ohne bundesweit einheitliche Standards wird es nicht gehen. Seit Jahren liefern sich die Bundesländer einen ruinösen Wettbewerb um die Lehrkräfte. Wir in Brandenburg haben lange davon profitiert, dass Berlin seine Lehrkräfte nicht verbeamtet hat. Das ist jetzt seit Kurzem vorbei. Und ja: Die Entwicklung auf dem Land konnte man voraussehen. Die frühere rot-rote Landesregierung hat das aber viele Jahre nicht angepackt. Wie gesagt, ich glaube, dass die Kommunen viel mehr anbieten müssen.
64, ist seit 2019 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Brandenburger Landtag und zudem bildungspolitische Sprecherin. Zuvor war sie Vorsitzende des Landesverbandes Brandenburg.
In Brandenburg ist heute bereits jede sechste Lehrkraft Seiteneinsteiger:in. Sehen Sie darin ein Problem für die Qualität des Unterrichts? Oder sind Sie dankbar, dass überhaupt noch jemand den Job machen möchte?
Ich bin in erster Linie dankbar. Ohne die Seiteneinsteiger:innen könnten wir den Unterricht ja gar nicht mehr in dem Maße aufrechterhalten, wie es aktuell der Fall ist. Allerdings sehen wir auch die Notwendigkeit, die Seiteneinsteiger:innen weiter zu qualifizieren. Sonst verlieren wir sie schnell wieder. Idealerweise findet die Qualifizierung schon vorher statt.
Das Bildungsministerium bleibt auch nach dem Rücktritt von Britta Ernst in der Hand der SPD. Was erwarten Sie sich jetzt für die restliche Legislatur?
In dieser Legislatur sollte es eigentlich eine große Kita-Rechtsreform geben, die die zum Teil sehr unterschiedlichen Kitabeiträge landesweit einheitlich gestaltet. Die muss unbedingt noch kommen. Und natürlich hoffe ich auf eine Kurskorrektur bei den 200 Schulassistenzstellen. Ansonsten wünsche ich mir jetzt einen Motivationsschub an den Schulen. Wenn wir zu tragfähigen Lösungen kommen wollen, müssen wir alle an Schule Beteiligte mitnehmen. Es geht schließlich um die Zukunft unserer Kinder.
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