„Bild“-Zeitung in Bestform: „Drecksblatt“ spielt Saubermann
Die „Bild“-Zeitung kassiert nach ihrer Solingen-Berichterstattung einen Shitstorm – und wehrt sich gegen eine moralische Verurteilung.
Ein „Drecksblatt“ sei die Bild-Zeitung, twitterte der Journalist Stephan Anpalagan am Sonntag – und wer noch immer für die Bild arbeite, gehöre „verachtet und geächtet“. Anpalagan ging es um die Berichterstattung des Springer-Blatts zum Tod von fünf Kindern in Solingen. Die Zeitung hatte Whatsapp-Nachrichten des überlebenden Geschwisterkindes gedruckt, einen 12-jährigen Freund interviewt und sein Foto veröffentlicht.
„Sie können sich gerne mich (oder andere Führungskräfte) aussuchen. Aber über meine Mitarbeiter steht Ihnen so ein moralisches Todesurteil nicht zu“, entgegnete Daniel Cremer aus der Bild-Chefredaktion der Kritik.
Und ob Anpalagan ein Urteil zusteht! Und nicht nur ihm: Es ist die Meinungsfreiheit, die dafür sorgt, dass die Bild-Zeitung noch immer erscheint und dass Menschen, denen das nicht gefällt, dies kritisieren können. Und selbstverständlich darf jede*r sich dabei auch auf die gesamte Redaktion beziehen, die für ein Blatt arbeitet, dessen Autor*innen Kinder instrumentalisieren und dessen Chefredaktion solch ein Vorgehen mindestens toleriert.
Das hat vor 20 Jahren schon Max Goldt festgestellt: „Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muß so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.“
Dass Anpalagan sich in diesem Goldt’schen Rahmen bewegt, gibt Cremer selbst zu: Ein „moralisches Todesurteil“ ist eben kein juristisches. Dass ein Chefredakteur der Bild so formuliert, zeugt möglicherweise von einem perfiden Kalkül – genau wie die Pseudo-Reflektiertheit in der Aussage „sachliche/harte Kritik an der Geschichte ist absolut berechtigt“, die auch Teil von Cremers Antwort ist.
Zwar hat das Blatt den Artikel inzwischen von bild.de gelöscht und sein Bedauern über die Veröffentlichung der Geschichte ausgedrückt – aber wer harte Kritik erwartet, veröffentlicht nicht solch eine Recherche. Oder eben genau doch: Er hat die Empörung über die eigene moralische Verkommenheit schon einkalkuliert. So exakt, dass Teile des Cremer-Tweets und der nachgereichten Entschuldigung vermutlich schon einsatzbereit in der stets gut gefüllten Schublade „Reaktions-Floskeln bei Shitstorm“ herumdümpelten.
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