Bezirkswahl in Hamburg: Grüne eiskalt abserviert
Bei der Bezirkswahl verlierend die Grünen Platz eins an den Koalitionspartner SPD, die selbst aber kaum zulegt. Gewinner sind BSW und Volt.
Fast acht Prozentpunkte haben sie stadtweit verloren gegenüber ihrem Rekordergebnis von 2019 von 31,3 Prozent, bleiben aber in ihren urban geprägten Hochburgen im Westen der Stadt stärkste Partei. Eingebüßt haben sie diesen Status nur im Bezirk Mitte, wo sie eine mögliche grün geführte Koalition gleich nach der Wahl 2019 verspielt hatten, indem sie sechs Abgeordnete weggeekelt und in die Arme der SPD getrieben hatten.
Die schwersten Verluste mussten die Grünen in jenen östlichen und südlichen Bezirken hinnehmen, zu denen Arbeiterquartiere ebenso gehören wie Einfamilienhaussiedlungen bis hin zu eher ländlichen Gebieten: in Wandsbek und Bergedorf um ein Drittel der Stimmenanteile, in Harburg sogar noch mehr. In diesen Bezirken waren die Grünen 2019 erstmals über 20 Prozent gekommen – und sie schienen ein Beleg dafür zu sein, dass die Strategie, sich für neue Milieus in der politischen Mitte zu öffnen, erfolgversprechend ist.
Dafür ist diese Bezirkswahl nun ein empfindlicher Dämpfer, der der Partei mit Blick auf die Bürgerschaftswahl im kommenden März Kopfzerbrechen bereiten muss. Viel mehr als die Europawahl, deren Ergebnisse traditionell stärker von bundespolitischen Stimmungen geprägt sind.
Die SPD legt kaum zu, ist aber wieder vorn
Innerhalb der rot-grünen Koalition wird die SPD in der verbleibenden Regierungszeit nun noch robuster auftreten als bisher, da sie einen offensichtlich angeschlagenen Partner an ihrer Seite sieht. Die eigenen Ergebnisse indes geben weniger Anlass zur Kraftmeierei: Die Sozialdemokraten haben zwar gut einen Prozentpunkt hinzugewonnen und sind nun wieder stärkste kommunalpolitische Kraft in der Stadt – allerdings waren die Vergleichszahlen von 2019 ein historisches Debakel, als die SPD um fast ein Drittel auf 24 Prozent abgestürzt war.
Da taugt schon eher die Europawahl als Mutmacher: Da hat die SPD mit 18,7 Prozent der Stimmen zwar gut einen Prozentpunkt verloren, stemmt sich aber ziemlich solide gegen den desaströsen Bundestrend.
In Lauerstellung hinter den Rathaus-Koalitionären wartet die Hamburger CDU auf ihre Chance, bei der nächsten Senatsbildung mitzureden. Die Bezirkswahl darf sie als Achtungserfolg verbuchen, legte sie doch mit über drei Prozentpunkten stärker zu als die SPD, in ihren Hochburgen an den Stadträndern sogar um bis zu sechs Punkte.
Zusammen könnten CDU und SPD die rot-grünen Bündnisse in Wandsbek und Harburg sowie die Ampel in Bergedorf ablösen und schon mal testen, ob die Chemie auch für ein Senatsbündnis stimmt. Im Bezirk Nord würde dafür wohl zusätzlich die FDP gebraucht, die nur leichte Verluste hinnehmen muss. Sie rutscht zwar in einigen Bezirken unter fünf Prozent, wird aber in allen Bezirksversammlungen vertreten sein, da nur eine Drei-Prozent-Hürde gilt.
Volt fünfmal über fünf Prozent
Aus dem Stand über fünf Prozent gekommen ist die pro-europäische Partei Volt in allen fünf Bezirken, in denen sie angetreten ist. Das könnte ein Ansporn sein, es auch bei der Bürgerschaftswahl zu versuchen, auch wenn die Newcomer von der zeitgleichen Europawahl profitiert haben dürften. Da hat es die Hamburger Spitzenkandidatin Nela Riehl ins Brüsseler Parlament geschafft.
Die Linke zeigt sich in Hamburg ziemlich stabil, verliert nur gut einen Prozentpunkt und erreicht immer noch 9,5 Prozent der Stimmen. Doch die große Unbekannte bleibt Sarah Wagenknecht: die Spalterin war mit ihrem Bündnis BSW zur Bezirkswahl nicht angetreten. Was passieren könnte, wenn sich das bis zur Bürgerschaftswahl ändert, lässt ein Blick aufs Hamburger Europawahlergebnis ahnen: da fiel die Linke von 6,9 auf 5,1 Prozent zurück. Das BSW kam aus dem Stand auf fast genauso viele Stimmen (4,9 Prozent) – was aber auch zeigt, dass Wagenknecht nur den kleineren Teil ihrer Stimmen ihrer Ex-Partei abgejagt hat.
Auch die AfD hat erstmals in allen Hamburger Bezirken über fünf Prozent geholt, wobei sich auch hier eine Teilung in „zwei Hamburgs“ andeutet: In den westlichen Bezirken liegt die AfD durchgängig unter sieben Prozent, im Osten und Süden deutlich zweistellig bei bis zu 14 Prozent.
Transparenzhinweis: Nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses haben wir einige Zahlenangaben geringfügig korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“