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Beziehungen zwischen Israel und ÄgyptenDie andere Seite von Rafah

Seit 1979 herrscht Frieden zwischen Israel und Ägypten. Die Offensive gegen Rafah stellt die Beziehungen zwischen den Ländern vor eine Zerreißprobe.

Bedrückende Enge: Ein Zeltlager für vertriebene Palästinenser mitten in Rafah Foto: Omar Ashtawy/dpa

Kairo taz | In Kairo schrillen die Alarmglocken. Wochenlang hatte die ägyptische Regierung vor einer israelischen Militäroperation in der palästinensischen Stadt Rafah ganz im Süden des Gazastreifens gewarnt. Mit großem Ärger beobachtet man jetzt auf ägyptischer Seite den sich seit Tagen immer mehr ausweitenden is­rae­li­schen Angriff auf Rafah und die israelische Übernahme des Grenzübergangs zu Ägypten.

Zwischen Ägypten und Israel herrscht eine Eiszeit, wie sie die beiden Länder seit der Unterzeichnung des Camp-­David-Friedensvertrags 1979 nicht erlebt haben. In einer ersten Reaktion hat Ägypten die Sicherheitskooperation mit der israelischen Armee an der Grenze suspendiert. Das betrifft auch alle Hilfsgüter für den Ga­za­strei­fen, die via Ägypten und jeweils mit Zustimmung Israels geliefert wurden – keine Koordination, keine Lieferungen.

In einem zweiten Schritt hat Ägypten angekündigt, sich Südafrika in dessen Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuschließen, in der Israel des Genozids an den Palästinensern bezichtigt wird. Laut wird in Kairo auch darüber nachgedacht, die Beziehungen zu Israel herunterzuschrauben und den ägyptischen Botschafter aus Tel Aviv abzuberufen.

Sorge um Rückzug Ägyptens

H. A. Hellyer, der für die ­Carnegie-Stiftung und das ­Royal United Services ­Institute for ­Defence and Security ­Studies in London die Lage analysiert, sagt: „Die Ägypter suchen einen Weg, zum alten Status quo zurückzukehren, bevor die israelische Armee den Grenzübergang übernommen hat. Und sie ziehen dabei alle Register.“ Es gehe nicht nur um die Übernahme des Grenzübergangs, sagt Hellyer. „Wir reden von einer is­rae­li­schen Invasion Rafahs. Die Idee, dass die noch nicht in vollem Gange ist und es sich nur um eine begrenzte Militäraktion handelt, ist lächerlich“, sagt er der taz.

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Er argumentiert auch, wie die ägyptischen Medien, dass der israelische Angriff auf Rafah bestehende Verträge zwischen Ägypten und Israel verletzt, in denen eine Art entmilitarisierte Zone im unmittelbaren Grenzgebiet festgelegt ist, in der bestimmte Arten von schweren Waffen, die die israelische Armee gerade dort im Einsatz hat, verboten sind.

Viel Manövriermasse hat Ägypten nicht, meint Hellyer. „Es hat klar seine Opposition gegen die israelische Militärkampagne in Rafah zum Ausdruck gebracht, und es hat seine westlichen Alliierten aufgefordert, in dieser Sache mehr Druck zu machen. Eigene Druckmittel auf Israel hat Ägypten wenige“, erklärt er.

Auch in Israel werden die zunehmend frostigen Beziehungen besorgt wahrgenommen. So berichtet die israelische Tageszeitung Haaretz von der Sorge israelischer Regierungsbeamter, dass Ägypten, neben Katar der wichtigste Vermittler in den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Hamas und Israel, sich aus diesen zurückziehen könnte.

H. A. Hellyer glaubt, dass das aus ägyptischer Perspektive allerdings wenig Sinn ergebe. „Die ägyptische Regierung möchte aus strategischer Sicht nicht weniger Kontakt mit Israel haben. Sie müssen vermitteln, sie müssen sich engagieren, um Wege zu finden, die Lage zu deeskalieren.“

Sorge um Massenexodus

Die größte Sorge Ägyptens bleibt die Möglichkeit eines Massenexodus der Menschen von Rafah nach Ägypten. „Wenn es eine Massenvertreibung gibt, dann bedeutet das, dass Ägypten willentlich oder gegen seinen Willen Teil einer ethnischen Säuberung wird“, beschreibt Hellyer die ägyptische Panik. ­

Schließlich, fügt er hinzu, gebe es kein einziges Beispiel in der palästinensischen Geschichte, dass die Menschen ihre Häuser verließen und später wieder zurückkehren konnten. Die Ägypter fürchten auch, dass damit die gesamte ­Palästinenserfrage schwer ­beschädigt würde. „Wenn die Palästinenser aus dem Gazastreifen vertrieben werden, macht das Gerede über eine Zweistaatenlösung keinen Sinn mehr“, sagt Hellyer.

Mit der israelischen Übernahme des Grenzübergangs in Rafah kommt nun noch ein weiteres Problem hinzu: Selbst wenn die israelische Armee gewillt wäre, sich von dort wieder zurückzuziehen, gibt es überhaupt keinen Plan, was dann passiert. Wer soll dann dort die Kontrolle bekommen? Es kursieren israelische Pläne, dass dann Palästinenser, die nicht mit der Hamas verbunden sind, die Kontrolle übernehmen, ohne diese zu definieren. Außerdem solle der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde im Westjordanland dort in einer Art „Aufsichtsgremium“ eine Rolle gegeben werden. Die hat diese bereits abgelehnt.

Hellyer bezeichnet solche Pläne als grotesk. Das Problem, das Israel mit dem Grenzübergang hat und damit, wer ihn später kontrolliert, sei symptomatisch für alle kursierenden israelischen Nachkriegspläne, meint er: „Sie machen alle keinen Sinn.“

Sorge um Friedensvertrag

Das Grundproblem sei, dass bei all diesen Plänen Israel die Sicherheitskontrolle über den Gazastreifen behalten wolle. Jeder, der dabei für Israel eingesetzt würde – egal ob undefinierte Gruppen von Palästinensern außerhalb der Hamas, arabische oder internationale Friedenstruppen –, sie alle hätten sofort den Ruf weg, als Kollaborateure für die Besatzung den Polizisten zu spielen.

Immerhin – den Camp-­David-Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, einen der „wichtigsten Bausteine der regionalen Sicherheitsarchitektur“, sieht Hellyer derzeit nicht in unmittelbarer Gefahr. „Ägypten verlässt sich darauf. Die ­Region ­verlässt sich da­rauf. Es wäre sehr dramatisch, dies anzugreifen. Aber wäre es völlig undenkbar?“, fragt er, macht eine kleine nachdenkliche Pause und antwortet sich selbst: „Nein, ­völlig undenkbar ist das nicht.“

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6 Kommentare

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  • Um das alles ein bisschen zu erläutern:

    Anno wurden im Ägyptisch-Israelischen Friedensvertrag (Teil)entmilitarisierte Zonen geschaffen. So durfte Ägypten in einer 20km breiten Zone („C“)westlich der Grenze keine Soldaten stationieren, und im ganzen östlichen etwa 2/3 des Sinai nur 4.000 Mann Grenztruppen (Zone B)

    peacemaker.un.org/...y%20of%20Peace.pdf

    Mit den Philadelphi accords (eigentlich „Agreed Arrangements Regarding the Deployment of a Designated Force of Border Guards along the Border in the Rafah Area“) wurde dies soweit modifiziert, dass Ägypten erlaubt wurde an der Grenze zu Gaza eine Grenztruppe mit 750 Mann Stärke zu stationieren, um Waffenschmuggel zu unterbinden.

    www.washingtoninst...el-egypt-agreement

    Israel darf hingegen in einem 3km breiten Streifen östlich der Grenze („Zone D“) nur eine begrenzte Anzahl von Soldaten stationieren; höchstens 180 gepanzerte Fahrzeuge und max. 4.000 Personal. Keine Artillerie, keine Panzer.

    Im übrigen scheint mir das Ägyptische Verhalten etwas von Getue und Heuchelei zu haben. Als Ägypten auf dem Sinai mit militanten Islamisten Probleme bekam, hat Israel nicht lang gemeckert, sondern rasch zugelassen, dass Ägypten Truppen heranführt. Hat angeblich nur einen Telefonanruf gekostet.

    www.timesofisrael....nai-official-says/

  • ""Es gehe nicht nur um die Übernahme des Grenzübergangs,(..) „Wir reden von einer is­rae­li­schen Invasion Rafahs. Die Idee, dass die noch nicht in vollem Gange ist und es sich nur um eine begrenzte Militäraktion handelt, ist lächerlich“, .....""

    ===

    ""Der Grenzübergang Rafah mit Ägypten, der ein wichtiger Kanal für humanitäre Hilfe in die Enklave war, blieb geschlossen, seit die IDF am 7. Mai die Kontrolle über die Seite des Gazastreifens übernommen hat, da Ägypten darauf bestanden hat, dass es die Wiederaufnahme der Lieferungen bis zum Grenzübergang nicht zulassen wird bis dieser wieder unter palästinensischer Kontrolle.sein wird.""

    Quelle: www.timesofisrael....-in-southern-gaza/

    Die Schliessung des Grenzübergangs Rafah bis auf weiteres ist dringend erforderlich um sicher zu stellen, das keine Waffen an Hamas über Rafah geliefert werden und keine Finanztransaktionen für die Hamas über den Grenzübergang erfolgen können.

    Die Aufrüstung von Hamas mit 13.000 Raketen und sonstigem militärischen Material muß über Rafah und durch angrenzende Tunnel von Ägypten aus erfolgt sein - eine andere Möglichkeit bis zum 7. Oktober Waffen & Geld nach Gaza zu schicken gab es nicht.

    Durch die Übernahme des Grenzübergangs Rafah durch das israelische Militär ist garantiert das Hamas irgendwann die Waffen ausgehen um weiter kämpfen zu können.

    Schade das Karim el Gawhary auf diesen Zusammenhang nicht eingeht.

    Nicht nur in diesem Zusammenhang ist die Öffnung des Seewegs nach Gaza entscheidend um sicher zu stellen



    1.. das humanitäre Hilfe auch die Bevölkerung erreicht - und nicht die Terrorgruppen

    2.. das sich ein Pfad in den Westen öffnet hinsichtlich der Perspekte, die Isolation Gazas Schritt für Schritt aufzuheben.

    3.. nur wenn die Hamas von Resourcen klar getrennt wird (Geld, Lebensmittelverteilung & Waffen)



    kann die brutale Macht der Hamas über die Bevölkerung gebrochen werden.

  • Ägypten verlässt sich so lange darauf, bis iran/russland/china israel "platt" macht. und die gefahr besteht gerade erheblich.



    Is klar auf welcher seite Ägypten steht oder?



    BRICS

    alle schauen:



    Russland, China Iran - die front gegen den westen (arte)

  • Bevor die Kluft zwischen Israel und seinen Nachbarn noch größer wird, wäre es angeraten den Vorschlag der Arabischen Liga unverzüglich umzusetzen und das Westjordanland und Gaza unter Verwaltung einer UN Friedensmission zu stellen. Auch und gerade weil das entschlossene Gebahren und die Einflussnahme Netanjahus rechtsextremer Partner auf die Regierungsentscheidungen die Gefahr einer flächenübergreifenden Eskalation in sich bergen.

    Denn wenn man die Aussage "... gebe es kein einziges Beispiel in der palästinensischen Geschichte, dass die Menschen ihre Häuser verließen und später wieder zurückkehren konnten" von Hisham Hellyer unter Berücksichtigung der Aussagen von Ben Gvir und Bezalel Smotrich auf die jetzige Situation überträgt, bedarf es keiner Kassandra um zu erahnen, dass von deren Seite nichts anderes als eine Annexion Gazas geplant ist. Nicht nur für die Palästinenser sondern für die Stabilität der Region wäre dies ein absolutes "worst case" Szenario.

    • @Sam Spade:

      "Bevor die Kluft zwischen Israel und seinen Nachbarn noch größer wird, wäre es angeraten den Vorschlag der Arabischen Liga unverzüglich umzusetzen und das Westjordanland und Gaza unter Verwaltung einer UN Friedensmission zu stellen."



      In diesem Falle hätten die Morde des 7. Oktober langfristig dazu geführt, dass die Palästinenser dafür genau das bekommen, was die Hamas erreichen wollte: Einen weiteren Rückzug Israels aus den Palästinensergebieten. Dies würde dazu führen, dass die Hamas noch einmal ordentlich populärer würde, und würde die Lage für Israel sehr viel gefährlicher machen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Arabische Liga das gesamte Westjordanland in dieser Friedensmission will, was Bedingungen sind, die weit über das hinausgehen, was selbst deutlich friedliebendere israelische Regierungen zu geben bereit waren.

      • @Agarack:

        Keine Sorge, die Bedingungen sind bewusst so gewählt wurden, dass sie nicht akzeptiert werden.

        Uralter diplomatischer Trick: wenn einer etwas nicht tun will, dies aber nicht zugeben, werden Bedingungen und Forderungen formuliert, von denen man weiß, dass die anderen sie nie akzeptieren würden. Die meisten Leute fallen darauf rein, weil sie gar nicht darauf kommen die Frage zu stellen, warum die jeweilige Bedingung erforderlich sein sollte.

        Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch in diesem Fall nur Getue ist: schließlich wäre es erst mal ausreichend, den Gazastreifen unter UN-Verwaltung zu stellen – hat die dort einmal für Ordnung gesorgt, könnte wieder die Pal. Autonomiebehörde übernehmen.

        In Wirklichkeit hat keiner Lust in das Wespennest Gaza-Streifen einzurücken, und die heißen Kastanien aus dem Feuer zu holen. Keiner wird dort an Israels Stelle Soldaten und Beamte hinschicken, die dann zum Ziel verbliebener Terroristen würden.

        Meiner Meinung nach will man mit diesem Vorschlag nur vorgaukeln, dass man zur Lösung beitragen wolle; aber leider, leider, sei man dazu nicht in der Lage, weil das böse Israel die Bedingungen nicht akzeptiert.

        Profilieren auf Kosten des Anderen.