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Bezahlkarte für Geflüchtete in BerlinMenschenverachtung darf was kosten

Kommentar von Susanne Memarnia

Während anderswo gespart wird, leistet man sich bei Geflüchteten mit der Bezahlkarte eine teure Abschreckungspolitik. Das sieht man auch in Tegel.

Die Berliner Bezahlkarte für Geflüchtete kommt: für Neuankömmlinge und für sechs Monate. Diskriminierend ist sie trotzdem Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

S ozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) verkauft es als Erfolg: „Der Regierende Bürgermeister und ich haben uns geeinigt“, erklärte sie am Montag auf taz-Anfrage. Die Bezahlkarte mit einer Bargeldobergrenze von 50 Euro pro Mensch und Monat, die sie bisher stets als „menschenverachtend“ bezeichnete, kommt – soll aber nur sechs Monate gelten. Danach, so heißt es, seien die vollen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in bar abrufbar. „Damit möchte ich sicherstellen, dass die Einschränkungen nur zeitlich begrenzt sind und in einem vertretbaren Rahmen bleiben, ohne die Grundrechte der Betroffenen dauerhaft zu beeinträchtigen“, sagte sie.

Dass es die Grundrechte von Menschen beschränkt, nur über wenig Bargeld zu verfügen, ist also für Kiziltepe weiter unstrittig. Auch ihre hauseigene Ombudsstelle für das Landesantidiskriminierungsgesetz hatte festgestellt, dass die Bezahlkarte diskriminierend ist. Es ist ja auch nicht schwer zu verstehen: Man kann in Berlin nun einmal nicht überall mit Karte bezahlen, Bares braucht man auf dem Flohmarkt, beim Späti, in kleinen Geschäften, beim Unkosten-Beitrag fürs Geburtstagsgeschenk, beim Taschengeld fürs Kind und so weiter und so fort. Dass man ausgerechnet Menschen, die neu hier sind und weiß Gott andere Probleme haben, solche Komplikationen zumutet, kann nur als „menschenverachtend“ bezeichnet werden. Warum dies anders sein soll, wenn die Regelung zeitlich begrenzt ist, bleibt das Geheimnis der Senatorin.

Vergessen scheint auch ihr Einwand, dass die Bezahlkarte nicht zu Mehrarbeit beim zuständigen Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) führen darf, deren Mitarbeiter schon jetzt völlig überlastet sind. Erst am Wochenende hat LAF-Chef Mark Seibert erneut 200 weitere Mitarbeiter für seine Behörde gefordert, damit sie „adäquat“ ihre Aufgaben erledigen könne. Denn Geflüchtete bekommen oft über Wochen keine Termine und damit nicht die ihnen zustehenden Leistungen. Wer etwa eine Wohnung findet, um aus seinem Heim auszuziehen, hat Pech gehabt – weil das LAF die Wohnungsangebote aus Personalmangel zurzeit nicht prüfen kann. Mit der Bezahlkarte kommt noch eine Aufgabe auf das LAF zu – wie es die stemmen soll, ist völlig unklar.

Noch widersinniger ist das Ganze angesichts der Kosten. Schon die ersten Einschätzungen zu Beginn der Diskussion um die Karte gingen von etwa zehn Millionen Euro aus, die allein der Anbieter für die Bereitstellung und technische Umsetzung erhalten soll. Die Personalkosten für den bürokratischen Mehraufwand sind da noch gar nicht eingerechnet. Vor dem Hintergrund der gerade beschlossenen massiven Haushaltskürzungen, die auch den Integrationsbereich hart treffen, ist dies besonders zynisch.

„Ein Armutszeugnis“

Entsprechend hart kommentiert Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat: „Wir sind schockiert, dass Berlin trotz Sparhaushalt und drastischer Kürzungen in relevanten Bereichen ein Instrument schafft, das Menschen entrechten, soll und nur mehr kosten wird.“ Dass trotz prekärer wirtschaftlicher Lage „die Prioritäten weiter auf Abschottungspolitik anstatt auf Integrationsinstrumente gesetzt werden, ist ein Armutszeugnis für diese Stadt.“

Auch der Blick nach Tegel zeigt, dass der Senat sich die Abschottungspolitik gerne etwas kosten lässt. Die Notunterkunft ist mit 7.000 Plätzen nicht nur Deutschlands größte, sie ist wohl auch die teuerste. Ein Platz kostet pro Tag rund 250 Euro. Zwar redet Kiziltepe immer wieder davon, Tegel schrittweise zu verkleinern – vom Regierenden Bürgermeister kommen jedoch immer wieder gegenteilige Äußerungen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahlen dort noch steigen, statt abzunehmen, ist sehr, sehr groß“, so Kai Wegner (CDU) kürzlich im RBB.

Tatsächlich scheint es die Regierung darauf anzulegen: So ist das Geld, das das LAF braucht, um Verträge mit Hotels und Hostels fürs kommende Jahr zu verlängern, nach taz-Informationen noch immer nicht freigegeben. Warum sollte man Geflüchtete auch in geeigneten Häusern unterbringen, wenn man sie für mehr Geld in Hallen auf engstem Raum stapeln kann?

Lieber denkt man sich neue Möglichkeiten aus, wie man an den Kosten für Tegel sparen könnte – etwa bei den dort beschäftigten Mitarbeitern. Schon seit einigen Monaten ist es wohl so, dass neu Eingestellte für dieselbe Arbeit weniger Geld bekommen als bereits Beschäftigte. Am Wochenende wurde nun bekannt, dass der DRK-Kreisverband Berlin-Zentrum, einer der vielen Wohlfahrtsverbände, die unter der Leitung des DRK-Landesverbandes die Notunterkunft betreiben, zum Jahresende aufhört. Hintergrund ist offenbar, dass der Kreisverband einen Großteil seiner knapp 400 Mitarbeiter entlassen sollte. Diese hätten sich dann bei den anderen Trägern erneut bewerben können – zu schlechteren Bedingungen.

Neue Gebührenordnung

Auch in der Sparliste des Senats taucht Tegel auf: 56 Millionen Euro will man durch „Rechnungslegung“ mehr einnehmen. Das bedeutet, wie die taz von der Integrationsverwaltung erfuhr, dass die neue Gebührenordnung für LAF-Unterkünfte ab 1. Januar auch auf Tegel angewandt wird. Bisher habe das LAF nämlich für die Ukrainer, die dort leben, keine Unterkunftskosten erhoben, so die Pressestelle.

Die neuen Gebühren wird in der Regel das Jobcenter übernehmen, das ja auch Bürgergeld für die Ukrainer bezahlt, sofern sie keine Arbeit haben. Wer allerdings für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, muss nun selbst zahlen. Ein Platz im Doppelstockbett in der engen „Wabe“ mit 13 anderen kostet laut Gebührenordnung derzeit 735 Euro pro Monat.

Eine clevere Idee, die auch der AfD gefallen dürfte.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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