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Fleisch: für die einen ein Stück Lebenskraft, für die anderen ein Klimakiller Foto: Müggenburg/plainpicture

Bewusster LebenDer lange Weg zum guten Essen

Gutes Essen ist, was gut für die Gesundheit und gut fürs Klima ist. In Bremen fangen sie schon in den Kitas damit an.

Z um Abschied reißt das Mädchen die Arme hoch, als wollte sie die Köchin auf Distanz umarmen: „Es war lecker!“, schmettert sie aus vollem Herzen in Richtung Sonja Hoffmann-Huismann, der die Kinder sonst oft durchs Fenster beim Kochen zuschauen. Sie winkt zurück, „Danke Celya*“, lacht kurz auf. So ein Lob lässt sie, erkennbar, auch nach über 20 Dienstjahren nicht kalt, warum sollte es auch: Es ist wirklich gutes Essen, was sie hier in der Kita August-Bebel-Allee auftischt. Und zwar in so ziemlich jeder Hinsicht.

Zum Beispiel, weil es schmeckt. Denn Celya, die schon eine Zahnlücke hat, ist keine Ausnahme. Vielleicht auf drei von vierzig Tellern der ersten Essensgruppe sind nur Nudeln, der Rest hat zu den Vollkorn-Radiatori auch Salat und Paprika-Wurst-Gulasch genommen – entweder vegetarisch oder mit Rindfleischwienern aus der Hausschlachtung vom Biolandhof. Reste gibt’s am Ende kaum. Einer der Jungs am Nachbartisch zieht noch einmal den Zeigefinger durch die Soßenrückstände und leckt ihn andächtig ab. „Das ist unser Job, dass die Teller leer werden“, sagt Hoffmann-Huismann.

Aber eben auch, dass es gesund ist, abwechslungsreich und frisch: Der städtische Eigenbetrieb Kita-Bremen kooperiert in diesen Fragen schon lange auch mit dem Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. Dorthin können sich Hoffmann-Huismann und ihre Kol­le­g*in­nen wenden, wenn aktuell Fragen auftreten – Lebensmittelwarnungen etwa für Eier oder Zimt. Außerdem haben die Bremer Kita-Köch*innen mit der Forschungseinrichtung schon 2006 einen wissenschaftlich fundierten Verpflegungsleitfaden für alle 78 kommunalen Einrichtungen erstellt. Der vermittelt schon eine recht präzise Vorstellung davon, durch was gutes Essen sich außer durch Geschmack auszeichnet.

Und dann ist da noch die Bremer Billigfleischbremse.

Denn Bremen hat sich, mit geduldigen Argumenten, viel Beharrungsvermögen, sanftem Druck und Unterschriften vom zivilgesellschaftlichen „agrarpolitischen Bündnis“ motiviert, ab 2015 angefangen vorzunehmen, Fleisch aus industrieller Massentierhaltung komplett aus der Gemeinschaftsverpflegung städtischer Einrichtungen zu verbannen – Behördenkantinen, Hochschulmensen, Schulküchen und Kitas.

Moment mal, sollte das etwa Winterrettich sein? Foto: Müggenburg/plainpicture

Der 2018 von der Bürgerschaft beschlossene „Aktionsplan 2025“ hatte die Köchinnen und Caterer darauf verpflichtet, in der Region angebaute Zutaten zu verwenden. Und 100 Prozent bio sollte es sein, wenigstens bei Schulen und Kitas, seit 31. 12. 2022. Aber das hat so noch nicht hingehauen: Im Schnitt hat man bisher 40 Prozent erreicht. Hoffmann-Huismanns Menü liegt heute bei 85, 8 Prozent.

Das Netzwerk der Bio-Städte, zu denen auch Bremen zählt, hat ein paar völlig unambitionierte Mitglieder. Hamburg zum Beispiel. Dort hat der rot-grüne Senat sich mal lieber gar nichts vorgenommen. Und, was soll man sagen: Die Freie und Hansestadt hat das auch voll erfüllt.

Andere nehmen die Sache ernster und kommen beneidenswert schnell voran: So wollte Erlangen die Hälfte der Kitaverpflegung aus Bioanbau bestreiten, liegt jetzt klar drüber – und strebt 100 Prozent an. In der Nachbarstadt Nürnberg hatte der Rat 2019 beschlossen, dass die Kindergartenverpflegung ab 2027 einen Bioanteil von mehr als 90 Prozent haben sollte. Aktuell liegt man bei 75 Prozent.

Die Angebotslage ist aber auch eine andere, die kann sich da rund um Bremen nur verbessern. „Wenn wir als Großabnehmer großen Wert auf Bio und Regionalität legen, dann wird das mittelfristig auch Einfluss darauf haben“, prognostiziert Kita-Bremen Geschäftsführer Wolfgang Bahlmann.

Alle 14 Tage Fisch oder Fleisch

Milch und Fleisch von Höfen, zu denen die Kinder auch mal einen Tagesausflug machen können, das ist schon jetzt kein Problem. Aber das soll es ja nicht so häufig geben, aus ökonomischen und aus gesundheitlichen Gründen. In der Bebel-Allee zum Beispiel gilt die Regel, einmal alle 14 Tage Fisch und den lieber aus dem Meer, und einmal alle zwei Wochen Fleisch.

Aber bei regionalem Biogemüse, da wird’s halt schon eng im Nordwesten. Bislang werden in Niedersachsen nur klägliche 5,8 Prozent der Agrarflächen ökologisch bewirtschaftet, also 163.000 Hektar. In Bayern sind es 13,4 Prozent oder 416.000 Hektar.

Ist Butter noch gutes Essen? Vielleicht in kleinen Mengen … Foto: Müggenburg/plainpicture

In Bremen gilt Corona offiziell als ein Hauptgrund für die Verzögerung. Inoffiziell fehlt es im zuständigen Bildungsressort an Einsicht und Willen. Es gibt halt andere Prioritäten, als ausgerechnet das Essen. Auf die Idee, wie Nürnberg, die Zufriedenheit regelmäßig abzufragen, wird man auch nicht kommen.

Und außerdem sind da ja schließlich noch die Finanzen. Bremen ist klamm und bleibt das auch. Und immer, wenn es um sozial sinnvolle, aber ungewöhnliche Ausgaben geht, fragt man sich dann, ob man damit nicht noch ein wenig warten sollte, bis es wirklich unbezahlbar viel kostet. Der etwas teurere Einkauf und die Inflation, das wird ja sogar kompensiert. Aber dass die Umstellung zusätzliche Arbeit bedeutet, hatte man offenbar so gar nicht auf dem Schirm gehabt: Ein Fertiggericht zu schieben, kostet kaum Zeit und noch weniger Kraft.

Neun Kilo Spargel schälen

Kartoffelpüree für 120 Kinder zu stampfen dagegen, „das ist schon ’ne Wuppe“, sagt Sonja Hoffmann-Huismann. Und bezahlbare regionale Bioconvenience – also geschältes und kochfertig zerkleinertes Gemüse – „bis auf Kartoffeln bekommst du das nicht so ohne Weiteres. Musst du also auch da wieder selber ran, Möhren und Zwiebeln hacken. Und neun Kilo Spargel schälen, der ist nun mal das Gemüse der Saison und so fertig machen, dass ihn auch Anfänger essen.“

Bedeutet: Momentan hängt das Gelingen des Plans in Bremen besonders stark davon ab, dass es persönliches Engagement gibt, das sich, böse gesagt, ausbeuten lässt. Weil es ja auch Freude macht. „Es schürt unser Handwerk“, sagt Hoffmann-Huismann, als sie nicht ohne Stolz die Kühlzelle aufsperrt: oben rechts Blattsalat, Karotten auch, auf der linken Seite frische Erdbeeren, auch eine Wanne mit Nektarinen, die dann eher ab Mitte der Woche dran sein werden. Und hinten geht’s noch mal durch eine Stahltür, in den Tiefkühlbereich. Vorratshaltung senkt die Einkaufskosten. Wenn man noch vorm Servieren merkt, dass man zu viel gekocht hat, lässt sich durch Einfrieren Abfall vermeiden. Und Proben packt Sonaj Hoffmann-Huismann auch ins Eis, falls mal ein Kind krank wird und das Gesundheitsamt Fragen hat.

Die Köchin ist schlank, fast zierlich oder eher drahtig und selbstbestimmt blond. Die Stimme verrät, dass sie außerhalb der Arbeit raucht. In der Kita geht’s natürlich nicht, und für raus und runter vom Gelände ist kaum Zeit da. Um 7.30 Uhr muss das Frühstück auf dem Tisch stehen, für alle 130 Kindermünder. Das ist eine Neuerung, die das sogenannte Gute-Kita-Gesetz erbracht hat, finanziert bis Ende des Jahres vom Bund mit Projektgeldern, aber nur mit pauschalem Lohnaufschlag; also nicht nach Zahl der Kinder oder Portionen, was ja auch wieder ein bisschen unfair klingt.

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Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Im Bremer Stadtteil Neue Vahr Nord wachsen besonders viele Kinder in Armut auf. Eine gesunde Ernährung ist mit „Bürgergeld“-Regelsatz nicht möglich. Die zusätzliche Mahlzeit hat hier also besonders große Bedeutung: „Das ist wirklich eine Verbesserung“, sagt Regina Dagge. Sie ist die Leiterin des „Kinder- und Familien-Zentrums“, wie die Einrichtung im erst vor drei Jahren eröffneten schicken zweistöckigen Neubau korrekt heißt. Dabei sei gar nicht mal so sehr der Punkt, dass die Kleinen vorher ohne Brotbox in die Einrichtung gekommen wären. Aber na ja, der Inhalt …! „Also die Milchschnitte oder die kalten Pommes, das gibt es jetzt nicht mehr.“

Das ist doppelt wichtig. Einmal, weil ein guter Staat seine Kinder ernährt. Schon Aristoteles lobte die staatlich finanzierten Gemeinschaftsmahle bei den Kretern, an denen auch Frauen und Kinder teilnehmen durften. Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ des Deutschen Bundestags hat das kostenfreie Mittagessen für alle Kinder im Februar als wichtigste Forderung an Parlament und Bundesregierung adressiert: Die knobelt gerade an einer Ernährungsstrategie, und wer ein bisschen rechnen kann, versteht, dass der volkswirtschaftliche Nutzen einer gesundheitsfördernden Grundverpflegung die Kosten deutlich übersteigen würde.

Eine Vorstellung von gutem Essen

Auch weil die Verpflegung den Kindern hilft, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was für sie denn gutes Essen sein könnte: In der Bebel-Kita drapiert Sonja Hoffmann-Huismann deshalb auch immer die Zutaten in Rohform auf einem Schautablett unterm Essensplan. Dann wissen die Kinder, dass Iiiieh!-Paprika drin sind – und haben die Chance zu erfahren, dass sie die sogar mögen. Wenn das gelingt, hat das eine emanzipatorische Wirkung. Die ermächtigt, übers Essen nachzudenken. Und irgendwann vielleicht dessen politischen und ethischen Dimensionen wahrzunehmen.

„Wir müssen“, hatte der Philosoph Ludwig Feuerbach 1850 dieses Thema gesetzt, „die Lehre der Nahrungsmittel zu unserer Richtschnur nehmen, wenn wir einen guten Grund zu einer neuen Revolution legen wollen.“ Seine auch für damalige Verhältnisse recht platte physiologische Konzeption läuft dann zwar im Wesentlichen darauf hinaus, durch Propaganda für den Erbsenstoff „das faule Kartoffelblut des deutschen Volks in Bewegung zu setzen“.

Aber die Idee, mithilfe von besserem Speisen nicht nur das eigene Leben, sondern auch die Geschicke der Welt zum Guten oder zum Schlechten zu beeinflussen, ist hochaktuell. Gerade weil Ernährung Auswirkungen auf die Gesundheit, Umwelt und den Klimaschutz hat. Allein schon, wenn die, von der taz als zu ängstlich bewerteten, im März vorgestellten neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) von allen angenommen würden, „würde das zum Beispiel die mit Ernährung assoziierten Treibhausgas-Emissionen praktisch halbieren. Das wäre ein gewaltiger Erfolg“, sagt Thomas Ellrott. Der Leiter des Instituts für Ernährungsphysiologie der Uni Göttingen und der niedersächsischen DGE-Sektion ist am Dienstag, 11. Juni, Gast beim taz.Salon in Bremen, der sich der Frage nach gutem Essen widmet.

Die mittelbaren Auswirkungen des Bremer Aktionsplans lassen sich nicht schätzen. Er kann dazu beitragen, klimaverträgliche und gesundheitsfördernde Ernährungsgewohnheiten auszubilden. Das muss man im Hinterkopf behalten, weil die unmittelbaren Einsparungen, die erwartet werden, fast schon enttäuschend klingen: Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne) veranschlagt die CO2-Ersparnis mit gerade mal 50 Tonnen pro Jahr – also dem durchschnittlichen Ausstoß von etwas mehr als vier Personen. Und das auch nur, wenn denn die Ziele erreicht werden.

Ein bisschen Keks ist auch nicht verboten Foto: Müggenburg/plainpicture

Ein Instrument, um den Plan voranzubringen, ist das „Forum Küche“, das Ende April in Cityrandlage eröffnet hat, und „da bin ich neidisch“, gibt auch Werner Ebert zu, der beim Biostadt-Netzwerk-Primus Nürnberg für die einschlägigen Programme zuständig ist.

Vor drei Wochen war er extra aus Franken da hoch in den Norden gereist und hat sich die Sache angeschaut: Es handelt sich um eine großzügig eingerichtete Trainingsküche mit angeschlossenem Seminarbereich im Parterre der Bremer Volkshochschule. Es ist bestens einsehbar von der ­Cafeteria, in deren unendlichen Weiten ­gerade ein fröhliches Kleinkind rennt.

Inklusive Schaukochen

Das Forum soll Fortbildungen anbieten, auch als Vernetzungsstelle dienen. Am Mittwoch, 12. Juni etwa macht man eine Biomesse, die regionale Landwirte, Veredelungsunternehmen und Händler mit Gastronomie und den Kö­ch*in­nen der Gemeinschaftsverpflegung zusammenbringt, selbstverständlich inklusive Schau­kochen.

Der Clou aber werden die Intensivcoachings. Etwa acht solcher Kurse pro Jahr werde man davon durchführen können, erklärt Projektmanagerin Tessa Bornemann. Die Küchenteams können sich dafür anmelden und werden dann über drei Monate begleitet: „Unsere Leute gehen dafür in die Einrichtungen rein, schauen zu, analysieren – und machen dann Vorschläge“, sagt sie, also wie sich Müll vermeiden lässt, wie die Vorratshaltung verbessern, wie der Fleischanteil senken natürlich – und wie ein ungewohntes Gemüse in den Speiseplan integrieren: Kochen ist schließlich immer eine Praxis. Der einfach eine Theorie überhelfen, das wird nix. Eher werde man das Gespräch suchen, mit denen, „die vielleicht noch nicht so überzeugt sind von Bio“, sagt Bornemann. „Wir schaffen das nur gemeinsam.“

taz Salon „Schmeckt‘s noch?!“ am 11. Juni 2024, 19 Uhr, Lagerhaus Bremen und im Live-Stream auf taz.de/salon

Sonja Hoffmann-Huismann fährt noch einmal mit dem Zeigefinger über die blitzeblanke Arbeitsfläche. Aber da ist kein Fleck, gar nichts. Die Küche ist sauber. Vom Außengelände schauen ein paar Kinder rein, aber es gibt nichts mehr zu sehen. Vielleicht morgen wieder, wenn gutes Wetter ist. Zur Fortbildung im Forum Küche angemeldet hat sie sich noch nicht. Geht ja auch noch nicht so lange. „Aber ich mach das noch, auf jeden Fall“, sagt sie. „Ich habe da auch Lust drauf.“

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich finde es sollte der Fokus auf regionale Lebensmittel gelegt werden und sowohl Bio als auch konventionell. Dann würde es keine Problem mit der Verfügbarkeit geben und das ganze Projekt ließe sich schneller umsetzten.



    Bio ist nicht zwangsläufig gesünder. Und über die Nachhaltigkeit lässt sich auch diskutieren wenn man mit einbezieht, dass man bei Bio durchschnittlich nur die etwa die Hälfte erntet oder anders formuliert die doppelte Fläche einsetzen muss für die gleiche Menge.



    Bio ist auf jeden Fall teurer und deshalb finde ich einen gesunden und bezahlbaren Mix aus regionalen Produkten aus Bio und konventionellem Anbau sinnvoller.

  • Wieso ist denn Bio-Essen besser fürs Klima als konventionell produziertes? Beispiel: Ein Industriemasthuhn ist nach 4 Wochen schlachtreif, ein Bio-Freilandhuhn erst in ca. 80 Tagen. Ich ziehe das Biohuhn eindeutig vor, aber seine Produktion verbraucht mehr Ressourcen.

  • Gutes Essen braucht Zeit. Auch in der Beratung.