Schuldenabbau in Bremen: Die Tugend der Notlage

Über Geld spricht man nicht in Bremen. Geld hat man nicht. Aber die Schuldenbremse funktioniert dort ganz hervorragend, zumindest meistens.

Eine frau wirft eine Münze in den bekannten Strassengulli "Bremer Loch".

Im Gullideckel „Bremer Loch“ ertönen die Stimmen der Stadtmusikanten Foto: Imago

Kennen und lieben auch Sie das Grundgesetz, das Fundament unserer Demokratie? Bre­me­r*in­nen tun das. Denn schließlich basiert die rechtsstaatliche Ordnung Deutschlands auf seinen Artikeln, also auf Menschenwürde, auf der Gleichheit der Lebensverhältnisse und auf – das steht etwas weiter hinten – dem Versprechen, dass Bremen Geld kriegt, 400 Millionen jährlich, vom Bund. Und zwar „ab dem 1. Januar 2020“, so will es Artikel 143d. Und wer Bremen dieses Geld neidet, ist ein Fall für den Kölner Keller. Also den von Thomas Haldenwang.

Bremen stört nicht weiter – trotz seines schlechten Rufs. Eine Statistik, die Bremen als Schlusslicht ausweist, ist schnell gefunden. Irgendein Bildungsmonitor, ein Armutsranking, eine Kriminalitätsstatistik. Und auch noch das: Vier Jahre lang ist Bremen von einem rot-grün-roten Senat regiert worden. Die Aufregung um das bisschen Kommunismus im traditionell SPD-roten Bremen war schnell verklungen, als klar war, dass dieses in einem rein westdeutschen Bundesland einmalige Experiment ganz passabel funktioniert hat. Es taugt zum Hingucker.

So wie die ganze Stadt.

Zur Neuwahl der Bremer Bürgerschaft am 14. Mai schaut die taz daher in einem Dossier genau hin. Was macht das Lebensgefühl aus? Wieso ist Bremen die Raucherhauptstadt? Warum nochmal ist Bremerhaven wichtig? Und was macht Werder?

Alle Texte des Dossiers werden unter dem Link taz.de/bestofbremen gesammelt.

Gedacht ist es als Hilfe zur Einhaltung der Schuldenbremse, und Bremen muss nachweisen, dass es sich redlich bemüht, seine Miesen abzubauen – derzeit 22,5 Milliarden Euro, also rund 33.000 pro Kopf – sowie seine Wirtschafts- und Finanzkraft zu stärken. Na, eine stärkere Wirtschaft als hier gibt's nur in Hamburg, und gewachsen ist sie in Bremen 2021 und 2022 sogar noch stärker, also: check! Für den Nachweis aber, dass das Land ernst macht mit Defizitabbau, hat man sich selbst eine Schuldenbremse in die Landesverfassung geschrieben.

Und zwar ist sie strenger als die des Bundes und aller anderen 15 Länder: Sie verbietet den Taschenspielertrick mit den Sondervermögen und verbietet, die ausgelagerten Betriebe zur Kreditaufnahme am Haushaltsgesetzgeber vorbei zu missbrauchen. Man hat sozusagen eine Monsterturboschuldenbremse. Und wer im Gefolge von Bremens keynesianischem Ökonomie-Papst Rudolf Hickel die Schuldenbremse selbst für eine „Todsünde“ hält, dem muss die Freie Hansestadt demnach als ein Sodom und Gomorrha erscheinen. Ein Todsündenpfuhl.

Wir Armen! Doch längst sind wir ja erlöst. Unter Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne), der zuvor die Turbo-Regeln in Landesverfassung und Landeshaushaltsordnung mitkonzipiert hatte, ist, inspiriert durch die Corona-Krise, das Kunststück gelungen, sie zu neutralisieren, ohne sie in Frage zu stellen: „Wir reißen die Schuldenbremse nicht ein“, beteuert Streh. Allerdings hat man bloß die als Bestandteil der Regel formulierte Ausnahme in Betrieb genommen. Heißt: Die Bremse funktioniert bestens. Sie greift nur nicht.

Geld muss ja ausgegeben werden

Bremen hat nämlich die Tugend der Notsituation entdeckt: Sie lässt sich in eine Kreditermächtigung verwandeln. In der Pandemie ging das ganz easy-peasy, da hatte ja sogar der Bund eine Notlage ausgerufen. In Bremen wurden darauf 1,2 Milliarden Kredite gebucht: Viel bei einem Haushaltsvolumen von neun Milliarden, aber kaum strittig. Nur ist dieser Fonds mittlerweile beendet. Und trotzdem muss ja Geld ausgegeben werden: Der Staat hat die Pflicht zu handeln. Er muss beispielsweise Geflüchtetenunterkünfte akquirieren oder versuchen, die Klimakatastrophe einzudämmen.

Und das kostet: In einer Enquete-Kommission hatte Bremen dazu Vorschläge entwickelt, was wichtig wäre. Investitionsbedarf: Etwa drei Milliarden. Also hat man ein Gutachten in Auftrag gegeben, das bestätigt, jawoll, „die Klima­krise ist eine Notsituation“, und die hat dann Bürgermeister An­dreas Bovenschulte (SPD) proklamiert. Und weil ja bei der Enquete alle für die Maßnahmen gewesen waren, also auch die Opposition, und seit bekannt ist, dass die Berliner CDU im Koalitionsvertrag dasselbe Modell adoptiert, spielte Geld im aktuellen Wahlkampf fast keine Rolle. Fast, als gäbe es keins.

„Wir quälen uns schon ziemlich, dass kein Schindluder getrieben wird“, versichert Strehl, der sich nach der Wahl in den Ruhestand verabschiedet. Wie man es schafft, die desaströse Schul- und Bildungssituation in der Hansestadt zur Notlage erklären zu lassen, müssen dann andere ausbaldowern.

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