Besuch im Flüchtlingslager von Idomeni: „Diese Menschen sind wir selbst“
Der bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei ist derzeit in Idomeni. Die Schließung der Balkanroute hält er für einen fatalen Fehler.
taz: Herr Ai, Sie haben das Lager in Idomeni besucht. Schildern Sie uns Ihre Eindrücke.
Ai Weiwei: Es sind Menschen, die vor einem Krieg geflohen sind. Sie sind ein Ergebnis des Krieges. Es sind die verwundbarsten Menschen, Frauen und Kinder, die den Krieg nicht wollten, und jetzt als Opfer vor den Toren Europas stehen.
Was bedeutet die Schließung der Balkanroute?
All das fordert unseren Glauben an die Humanität, an die Würde der Menschen, an die Werte Europas, auch die Werte der christlichen Religion, heraus. Die Menschen brauchen Hilfe. Die einzige Lösung der Situation ist, menschlich zu bleiben, die Humanität hochzuhalten. Wer diesen Beschluss (Schließung der Balkanroute, Anm. d. Red.) als Lösung erklärt, verlagert die Tragödie in sein eigenes Herz.
Er führt also zu einer Blockade der eigenen Gefühle.
Wer die Humanität verneint, schneidet sich selbst einen Arm ab, denn wir leben in einer gemeinsamen Welt, diese Menschen sind wir selbst, gehören zu uns, sie sind nicht andere. Wir müssen das, was ist, akzeptieren.
58, ist ein Konzeptkünstler und Kurator aus China. Dort setzt er sich für Menschenrechte ein. Seit längerem beschäftigt er sich auch mit der Situation der Flüchtlinge in Europa.
Der deutsche Aktionskünstler Philipp Ruch hat vorgeschlagen, eine Brücke von Afrika nach Österreich zu bauen . . .
Das ist eine sehr gute Idee . . .
Was werden Sie tun?
Ich bleibe noch einige Tage, ich werde meine Stimme erheben und vielleicht einige Ideen entwickeln. In einer solchen Situation brauchen die Menschen nicht nur Essen und Kleidung, sondern auch ein Lächeln. Die jungen Freiwilligen, die aus aller Welt hierhergekommen sind, machen deshalb etwas sehr Wertvolles. Dann werde ich die Lager in der Türkei besuchen und danach möchte ich nach Syrien gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen