piwik no script img

Besseres BauenStockt auf, nehmt Holz, baut um!

Der Bau-Turbo der Bundesregierung ist weder sozial gerecht noch klimaschonend, sagen Verbände und Architekten. Wie dann günstigen Wohnraum schaffen?

Ist die Fläche schon versiegelt, kann sie auch sinnvoll genutzt werden: das Stelzenhaus über dem Parkplatz am Dantebad in München Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo/dpa

Berlin taz | Statt das nächste Gebäude auf die grüne Wiese zu setzen, baut sie um: Die Architektin Annabelle von Reutern belebt leerstehende Büros, Fachwerkgebäude, Kaufhäuser wieder. Damit steht die 37-Jährige für jene, die eine neue Baukultur vor­denken. Vor gut einem Jahr hat sie mit zwei befreundeten Kolleginnen in Berlin das Unternehmen Tomas – Transformation of Material and Space gegründet.

Derzeit schafft sie in einer alten Honigkuchenfabrik im niedersächsischen Braunschweig zwölf Wohnungen. Das Gebäude stand bis auf ein Geschäft im Erdgeschoss und eine Wohnung leer. Durch Abriss und Beton seien viele Städte öde geworden, nicht wirklich lebenswert, sagt von Reutern.

Schon 1965 hatte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ die Gesichts- und Herzlosigkeit der Ballungsräume beklagt. Heute steigen zudem die Mieten, wird Wohnen immer teurer. Laut einer Studie des in Hannover ansässigen Pestel-Instituts fehlen in Deutschland derzeit rund 550.000 Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen und anderer bezahlbarer Wohnraum.

Die Bundesregierung hat darum einen „Bau-Turbo“ vorgeschlagen. Eine Novelle des Baugesetzbuches, die den Bau neuer Wohnungen beschleunigen soll. Gemeinden sollen dazu bis Ende 2030 Genehmigungsverfahren straffen und auf Bebauungspläne verzichten dürfen. Anfang September berät darüber der Bauausschuss des Bundestags. Ein Bündnis aus Umwelt- und Sozialverbänden, Architektinnen und Architekten forderte nun am Mittwoch gemeinsam „Nachbesserungen oder andernfalls den Stopp des Vorhabens“. Der Welt sei „mit Bauen, Bauen, Bauen ohne Sinn“ nicht geholfen, sagte Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe. So fehlten etwa eine Solardachpflicht oder andere klimafreundliche Vorgaben. „Das ist nicht zeitgemäß.“

„Umbau-Turbo“ statt „Bau-Turbo“

Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisierte, dass bei den Bauprojekten kein bestimmter Anteil an Sozialwohnungen verlangt werden soll. Sie müssten „mindestens die Hälfte“ ausmachen, bekräftigte Andrea Gebhard von der Bundesarchitektenkammer. Und: „In den Erdgeschossen muss es Geschäfte geben.“ Elisabeth Broermann von Architects for Future plädierte für einen „Umbau-Turbo“ – etwa von ungenutzten Dachflächen und zu großen Wohnungen. Das sei in wenigen Monaten machbar.

Sie alle fürchten, dass vor allem in den Randbezirken von Städten und Gemeinden Luxuswohnungen und Einfamilienhäuser entstehen, Natur und Äcker darunter verschwinden. Und sie sehen Alternativen – kompakter, flächensparender –, die die Bundesregierung zu wenig im Blick habe. Auch von Reutern sagt: „Es gibt schon die guten Beispiele, die zeigen, dass es anders geht, schöner, klimafreundlicher, mit weniger Flächenfraß.“

Stelzenbau in München

Mit Verdichten etwa. Im hochpreisigen Münchener Stadtteil Gern hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag über dem Parkplatz eines Schwimmbads Sozialwohnungen gebaut. „Dante I“ heißt der Bau auf Stelzen. Andernorts werden ein oder zwei Geschosse direkt auf Discounter gesetzt.

Eine andere Möglichkeit: Das Büro RAU Architects hat nahe Utrecht ein komplett demontierbares Bürogebäude zumeist aus Holz für die Triodos-Bank errichtet. Holz statt Stahlbeton spart Emissionen. Es bindet während seines Wachstums Treibhausgase, sodass diese so lange gespeichert sind, wie das Gebäude steht. Das Triodos-Gebäude wurde mit 165.312 Schrauben verschraubt. Es kann wieder auseinandergeschraubt und alle Materialien können wieder verwendet werden.

Ein dritter Weg ist in Wuppertal-Oberbarmen zu sehen. Dort machte 2012 eine alteingesessene Textilfabrik dicht. Nun finden sich auf dem Gelände, entworfen vom Kölner Büro raumwerk.architekten, in zwei Gründerzeithäusern elf Wohnungen, neun davon sind gefördert, fünf auch barrierefrei. In einer früheren Fabrikhalle gibt es eine Kita, eine Stadtteilbibliothek, auch die gegenüberliegende Realschule nutzt dort Werkstatträume. Zum zukunftsfähigen Konzept gehört eine Photovoltaikanlage. In einem großen Garten können sich Anwohnende austoben.

Frischluftschneise Rasen

Grünflächen in der Stadt sind nicht nur was zum Spaß. Sie speichern Wasser, lindern oder verhindern Überschwemmungen, und sie regeln die Temperatur. Weil Asphalt und Beton Wärme speichern, können die Temperaturen in der Stadt nachts bis zu zehn Grad höher sein als im Umland. Gärten, Rasenflächen wirken als Frischluftschneisen. Ende Juli bekam das Projekt den Deutschen Städtebaupreis 2025.

Von Reutern würde gerne im niedersächsischen Celle den 2023 geschlossenen Karstadt in ein Gebäude mit Datenspeicher verwandeln, das auch sozialer Treffpunkt ist – Server oben, überdachter Spielplatz, Radwerkstatt, Bibliothek, Informationszentrum zu künstlicher Intelligenz unten. Auch andere Architekten haben Vorschläge gemacht, um das Warenhaus zu erhalten. Nur: „Ein Abriss steht immer noch im Raum“, sagt von Reutern. Sie fordert, „das Bestehende schätzen zu lernen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare