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Beschwerden über Mathe-AbiZu schwer und umfangreich?

Die Abiprüfungen in Mathematik ernten in diesem Jahr massenhaft Kritik. Kultusminister Grant Hendrik Tonne will die Ergebnisse in Niedersachsen überprüfen lassen.

205 Minuten waren nicht genug: Das Mathe-Abi überforderte viele Abiturienten Foto: dpa

Hannover taz | Die Erregung ist groß: Tausende Schüler*innen aus Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern protestieren gegen das Mathematikabitur am vergangenen Freitag. Es sei zu schwer und die Aufgaben nicht in der angegebenen Zeit zu lösen gewesen. In zahlreichen Online-Petitionen, darunter aus den nördlichen Bundesländern, auf Kampagnenplattformen wie Change.org und openPetition fordern bis Montagnachmittag Zehntausende Menschen den Notenschlüssel für die Prüfung zu senken.

Die Prüfungsergebnisse liegen zwar noch nicht vor, trotzdem fühlen sich die Schülerinnen und Schüler ungerecht behandelt. „Bildung braucht Gerechtigkeit“ ist die von einer Schülerin in Hannover initiierte Petition in Niedersachsen überschrieben. Sie richtet sich an den SPD-Kultusminister Grant Hendrik Tonne, der noch im März in einem Interview sagte: „Durchfaller wird es immer geben.“

Die niedersächsischen Schülerinnen und Schüler schneiden im bundesdeutschen Durchschnitt beim Abitur derzeit am schlechtesten ab. Aktuell sind vom Matheabi in Niedersachsen 19.000 Schülerinnen und Schüler betroffen.

Am Montag versicherte Tonne, sein Ministerium werde „die Aufgabenstellungen, insbesondere aber auch die Auswirkungen auf die Prüfungsergebnisse, sorgfältig überprüfen“ und dann entscheiden, ob sich „weitere Schlussfolgerungen hieraus ergeben“. Tonne sagte: „Daher muss fachlich sorgfältig vorgegangen werden, nicht nach Gefühlslage.“

Daher muss fachlich sorgfältig vorgegangen werden, nicht nach Gefühlslage

Grant Hendrik Tonne, Kultusminister Niedersachsen (SPD)

Das Matheabitur besteht aus zwei Teilen: einem Pflichtteil mit vier Aufgaben und einem Wahlteil mit drei Aufgaben aus Analysis, Stochastik (Wahrscheinlichkeitstheorie) sowie Vektorrechnung und analytischer Geometrie. Die Kritik bezieht sich vor allem auf den Wahlteil, dessen Aufgaben nach Ansicht der Geprüften diesmal zu kompliziert und zu komplex waren.

Nach Angaben des Niedersächsischen Kultusministeriums stammen Aufgaben des Pflichtteils aus dem länderübergreifenden Aufgabenpool, diese gelten bundesweit für alle Schülerinnen und Schüler, das sogenannte Zentralabitur. Die Wahlteile indes wurden sowohl dem länderübergreifenden Pool als auch dem Pool der niedersächsischen Aufgabenkommission entnommen.

In der Bremer Petition ist die Rede von einem „Bewertungsungleichgewicht“ gegenüber den anderen Jahrgängen. „Das gilt es auszugleichen und anzupassen“, heißt es weiter. Vorschlag: Die Prüfungsergebnisse sollen um 17 Prozent angehoben werden. Ungeachtet der Proteste empfindet Heinz-Peter Meininger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, die Aufgaben als nicht zu schwierig. Er räumte aber auch ein, dass über eine Neubewertung nachgedacht werden müsse, falls doch klar würde, dass die Anforderungen zu hoch waren.

Ärger wie vor drei Jahren

Auch Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, kann keine zu hohen Hürden beim diesjährigen Mathe-Abitur erkennen. „Hinweise auf Probleme mit dem Matheabi gab es nicht“, zitiert die dpa die CDU-Politikerin. Der niedersächsische Philologenverband indes stellt sich an die Seite der Schülerinnen und Schüler. Verbandschef Horst Audritz sagte: „Wenn sich viele Schüler wehren, muss das überprüft werden.“

In Niedersachsen erinnern die aktuellen Ereignisse an den Ärger um das Matheabitur vor drei Jahren. Schon 2016 hatten sich die Schülerinnen und Schüler beschwert, die Prüfung sei zu schwer gewesen. Damals hatte das Kultusministerium die Noten im Nachhinein angepasst.

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13 Kommentare

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  • Also in Bayern hatte niemand Probleme , den Text zu verstehen. Vielleicht sollte man, wenigstens für Abiturienten, die Bildunsgangebote in den Low- standard Bundesländern erhöhen? Jetzt fehlt nur noch: In Mathe darf das Verstehen einer Textauufgabe kein Kriterium sein...PS: Man muss auch mal durchfallen dürfen.

  • Statt Mathe so ernst zu nehmen, sollten die zuständigen LehrerInnen und RektorInnen schnellstmöglich Klima- und Umweltschutz als Pflichtfach einführen. Ohne Mathematik hätten wir jetzt keine Klima- und Umweltkatastrophe in immer näherer Entfernung.

    • @shashikant:

      Ohne Mathematik, Ökonomie und Chemie wird man Klimapolitik kaum verstehen.

      • @JM83:

        Richtig, nachdem das Klima und die Erde zerstört wurde.



        Das zu verstehen, erfordert das Verständnis von z. B. Buddha, Christus und Weiteren.

        • @shashikant:

          Dann lesen Sie mal Ihre religiösen Werke. Die werden die Welt nicht retten, Wissenschaft schon eher.

          • @JM83:

            Sowohl Buddha als auch Christus haben einen einfachen Lebensstil gepredigt.



            Buddha, weil er erkannt hatte, daß Wohlstand nicht zum Ziel, das Ende des Leidens, führt.



            Wenn es Sie interessiert, empfehle ich Ihnen das Buch "Mein Weg zum Erwachen" von Gotama Buddha. Gibt es nur noch gebraucht.

            Nennen Sie bitte eine wissenschaftliche Entdeckung der vergangenen Jahrzehnte, von der langfristig sicher (!) ist, daß diese keine Schäden für die Umwelt mit sich bringen wird.

            • @shashikant:

              Selbst das unverdächtige Butterbrot bewirkt Schäden ab der Umwelt. Vermutlich können wir alle aber nicht wie Buddha leben. Wir backt die Brötchen, wer macht den Strom, den wir brauchen, um im Winter nicht zu erfrieren? Zudem interessieren sich viele Jugendliche eher für schnelle Autos oder Shisha. Die Transformation derer dürfte schwerfallen

              • @JM83:

                Das Butterbrot (möglichst vegan ;-))geht von mir aus durch, und so kleinkariert war meine Frage nicht gemeint.



                Je länger wir uns vormachen, wir könnten nicht wie die Menschen vor z. B. 400 Jahren oder davor leben, umso mehr Menschen, Tiere, Insekten und Pflanzen werden sterben. Als Techniker sage ich Ihnen, daß ich festgestellt habe, wie Techniker sich irren: fossile Energienutzung, Kernenergie, Photovoltik-Entsorgung/Recycling (gesichert? War der gelbe Sack nicht auch eine tolle Idee?), Offshore-Windenergie und Walesterben (?). Deshalb warne ich vor (einfachen) technischen Lösungen.



                Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Ansprüche herunterzuschrauben, dann sollten wir technische Lösungen suchen. Davor besser nicht.



                Die meisten Menschen in der westlichen Welt sind meiner Ansicht nach konsumsüchtig. Wenn man das nicht benennt, wird sich nichts ändern.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Mathe ist nicht nur ein A... sondern auch ziemlich sinnlos. Unsere Abiturienten können zwar differenzieren, integrieren und was sie alles können - in der Pause gehen sie dann zum Bäcker, kaufen zwei Weck, zahlen mit einem 50-Euro-Schein, kriegen 4,50 raus UND MERKEN NIX.

    • @7964 (Profil gelöscht):

      😂

  • Das kommt davon, wenn Bildungspolitiker von eigenen Versäumnissen ablenken und die Schuld an deren Folgen auf Schüler abwälzen wollen. Frei nach dem Motto: Selbst schuld!

    Das „Gerechtigkeitsgefühl“ der Möchtegern-Abiturienten wurde offenbar dadurch verletzt, dass die Lehrpläne und womöglich auch die Lehrkräfte nicht zu den Abiturprüfungen gepasst haben. Die Schüler haben sich schlecht vorbereitet gefühlt. Erklärbar wäre das durch einen sogenannten Zielkonflikt: Die Verantwortlichen wollten in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Abiturienten produzieren, weil viele Eltern möglichst gute Chancen für ihre Sprösslinge gefordert haben. Zugleich sollte das landeseigene Abitur im Wettbewerb der Bundesländer auch etwas darstellen. Es sollte eine Leistungsfähigkeit suggerieren, die es nicht gab und auch nicht geben konnte unter den gegebenen Bedingungen.

    Ja, es wäre durchaus wünschenswert, die Verantwortlichen wären „fachlich sorgfältig vorgegangen“ und „nicht nach Gefühlslage“. Aber Gefühle, nicht wahr, sind ja angeblich ein Vorrecht junger, unerfahrener Menschen. Alte agieren angeblich sorgfältiger. Wenn das man mal bloß kein plumpes Vorurteil ist! Eines zumal, das eine Macht untermauern soll, der mindestens so sehr die Grundlage fehlt, wie diesem strittigen Mathe-Abitur. Ist halt ziemlicher Mist, wenn Bauernhöfe, Fabriken und eben auch Ministerposten auf Grundlage väterlicher Gene bzw. väterlicher Macht vererbt werden, nicht auf Basis echter Leistungsnachweise oder gar echter Neigungen!

  • Abi vor 47 Jahren in BaWü - und nach etwas Mühe und 2 Std Zeit konnte ich die Aufgaben lösen. Mühe bereitete mir die etwas andere Darstellungs- und Ausdrucksform der Aufgaben, als ich es von früher gewohnt war. Warum schreibe ich das: Nicht etwa zu irgendwelcher Selbstbeweihräucherung, sondern als Zeichen, dass die Aufgaben nicht sooooo schwer gewesen sein können.

    Meine Konfrontation mit solchen Aufgaben in der Zwischenzeit: Beruflich fast nicht, aber durch Hilfe für die eigenen Sprösslinge, die es zum Abi geschafft haben! Ich bin bestimmt kein Rentner, dem von den Mitmenschen ein überdurchschnittliches Denk- und Erinnerungsvermögen entsprechend meines Alters nachgesagt wird. Vielleicht ist alles auch ein Zeichen für einen einstens guten Mathe-Pädagogen, dem ich posthum danken möchte.

    Mein Verdacht: Die Abiturienten sind eher bequemer geworden und sie sind durch die moderne Kommunikation eher versucht, eigene Probleme durch gemeinsamen Protest lösen zu wollen. Der Teil des Problems, der nicht durch Zeitgeist und Bequemlichkeit der Schüler verursacht ist: Die Verteilung der Noten heute. Wer keinen Einserschnitt vorzuweisen hat, hat bei der Ausbildung Nachteile. Ein Einser ist ein Zeichen einer ausdrücklich besonderen Begabung und Motivation in einem bestimmtes Fach. Meine Note einst in Mathe: Befriedigend. Meine Leistung war also irgendwie durchschnittlich, ich war offensichtlich keine mathematische Leuchte!

    • @fvaderno:

      Sehe ich ähnlich. Wenn es in einem Fach sehr viele 15 Punkte Prüflinge gibt war die Prüfung zu leicht. Eine Eins muss herausragend sein und sollte ganz klar dementsprechend vom größeren Teil der Teilnehmer kaum/nicht zu erreichen sein. Geschweige denn ein Einser Schnitt. Das sollte selbstverständlich wenigen, herausragend begabten UND fleißigen vorbehalten sein!



      Ein Schnitt besser als ~2,5 sollte meiner Meinung nach von durchschnittlich intelligenten Menschen nur mit viel Fleiß zu erreichen sein.

      Ist halt kein Ponyhof und Aufwertung von Abitur, Mittlerer Reife und Berufsbildungsreife wäre mal eine gute Idee.



      Denn bis aufs Abi waren schon vor Jahren alle Abschlüsse ein Witz.



      Kann echt nicht sein das ich mit ein paar Stunden Lernen bei ~50% Fehlzeit in der externen Prüfung ein Zeugnis mit einem 1er Schnitt geschafft hab und schon in der 11en Klasse ne Klausur herausfordernder war als die komplette Mittlere Reife Prüfung!

      Kein Wunder das alle über unfähige Lehrlinge klagen und nur noch Abitur zählt.



      Ich erlebe das manchmal mit, vielen davon sollte bei ihrer Leistung (Probleme mit einfacher Bruch- und Prozentrechnung. Ja, ernsthaft!) selbst die Berufsbildungsreife ("Hauptschulabschluss") verwährt sein, die ihnen offensichtlich oft wortwörtlich fehlt. Und das trotz Sekundar I/Mittlerer Reife...