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Beschwerden auf RekordniveauDie Post kommt nicht

In den vergangenen Monaten warteten viele Bundesbürger vergeblich auf ihre Briefe. Zahl der Beschwerden verdreifachte sich im vergangenen Jahr.

Die Deutsche Post spricht von lediglich lokalen Problemen Foto: dpa

Bonn dpa | Der Ärger über die Post hat den nächsten Höchstwert erreicht. Im Oktober gingen bei der Bundesnetzagentur so viele Beschwerden ein wie in keinem Monat zuvor, im Jahr 2022 waren es so viele kritische Eingaben wie noch nie in einem Jahr. Wie die Bonner Aufsichtsbehörde am Sonntag auf Anfrage mitteilte, erhielt sie im vergangenen Jahr circa 43.500 Beschwerden – und damit fast drei Mal so viele wie 2021, als es etwa 15.100 gewesen waren. Damit wurde der bisherige Jahreshöchstwert der vor zehn Jahren begonnenen Statistik deutlich übertroffen: 2020 wurden 18.867 Beschwerden gezählt.

Die Klagen richten sich gegen die ganze deutsche Brief- und Paketbranche, die meisten Wortmeldungen über verspätete oder verlorene Sendungen beziehen sich aber auf den Marktführer Deutsche Post. Älteren Behördenangaben zufolge kam die Post auf einen Anteil von 91 Prozent der negativen Erfahrungen, die Verbraucher der Bundesnetzagentur schilderten.

Die Deutsche Post spricht von lokalen Problemen, die sie mit einem hohen Krankenstand und mit der generell schwierigen Suche nach Arbeitskräften begründet. Ein Firmensprecher sagte, man werde im kommenden Jahr „alles daran setzen, trotz der weiter herausfordernden Umstände die Qualität in der Zustellung weiter zu verbessern“. Dabei verwies er auf die kürzlich begonnenen Tarifverhandlungen und drohende Warnstreiks.

Bei den Tarifgesprächen fordert Verdi ein Lohnplus von 15 Prozent, was die Post für realitätsfern hält. Gut möglich, dass die Arbeitnehmervertreter bald den Druck erhöhen wollen. Einen ersten kleinen Warnstreik der Fachgewerkschaft DPVKOM in Magdeburg gab es bereits, weitere Arbeitsniederlegungen im größeren Umfang könnten in den nächsten Wochen folgen. Dann würde sich die Ankunft vieler Sendungen wohl deutlich verzögern, was den ohnehin schon vorhandenen Groll von Verbrauchern noch verstärken dürfte.

Viele Krankmeldungen wegen Corona

Die Probleme bei der Post begannen im Sommer – damals sorgte eine hohe Zahl an Corona-Krankmeldungen dafür, dass mancherorts zu wenige Zusteller bereitstanden. Kritiker warfen der Post vor, personell auf Kante genäht zu haben und nun die Quittung zu bekommen. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser spricht von einem „massiven Renditedruck, der inzwischen auf der Deutschen Post lastet und in dessen Folge immer wieder beim Personal gespart wurde“. Mit dieser Personalpolitik müsse endlich Schluss sein, sagt Meiser.

Der Konzern leitete Notfallmaßnahmen ein: Um wieder Herr des Geschehens zu werden, wurde der Sendungsfluss in manchen Zustellbezirken ganz bewusst verlangsamt und die Briefe wurden dort nur an jedem zweiten Tag ausgetragen. Anfang November räumte das Management Fehler ein. Die Zustellprobleme hätten inzwischen aber etwas nachgelassen und „die betrieblichen Kennzahlen entwickeln sich deutlich in die positive Richtung“, hieß es damals aus der Post-Führungsriege.

Tatsächlich kann man aus den Monatszahlen schlussfolgern, dass das Schlimmste überstanden ist. Im Juli gingen 3.098 Beschwerden bei der Bundesnetzagentur ein, im August 3.473, im September 4.994, im Oktober 9.436, im November 7.000 und im Dezember 6.900 – die letzten beiden Monatszahlen sind ungefähre Angaben, weil die Auswertung noch nicht abgeschlossen ist.

Der leichte Rückgang von November zu Dezember ist bemerkenswert, da die Sendungsmengen im letzten Monat des Jahres wegen des Weihnachtsgeschäfts wesentlich höher sind als sonst. Dass die Beschwerden trotzdem nicht zugenommen haben, kann als Beleg für eine allmähliche Abschwächung der Zustellprobleme gewertet werden.

Jeden Monat eine Milliarde Briefe und Pakete

Im Verhältnis zu den mehr als eine Milliarde Briefen und Paketen, die Monat für Monat in Deutschland befördert werden, machen die Beschwerdezahlen nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Allerdings dürften sich viele Menschen, die wegen verspäteter, verlorener oder falsch eingeworfener Sendungen verärgert sind, gar nicht bei der Netzagentur melden – entweder weil ihnen die Beschwerdemöglichkeit noch immer nicht bekannt ist oder weil ihnen das zu mühsam ist.

Im vergangenen Jahr leitete die Bundesnetzagentur aufgrund gehäufter Beschwerden 86 Anlassprüfungen ein. Im Jahr zuvor waren es nur 17 gewesen. Solche Prüfungen – ob in Bochum, Kamp-Lintfort, Eschweiler (alle NRW), Gottmadingen (Baden-Württemberg), Schwaig (Bayern) oder Bernau bei Berlin – sind schriftliche Ermahnungen, auf die die Post antworten muss. Laut Webseite der Bundesnetzagentur hat sich die Zustellsituation in den meisten Problembezirken, in denen geprüft wurde und die Post etwa zusätzliches Personal einsetzte, weitgehend oder zunehmend stabilisiert.

Nach Einschätzung der Post erklärt sich ein Teil des Beschwerdeanstiegs mit den intensiven Medienberichten über die Probleme: Gestern noch unwissende Bürger melden sich heute nach Zeitungslektüre bei der Netzagentur und berichten von eigenen Problemen, die ohne die Medienberichterstattung nie aktenkundig geworden wären.

Die Zustellprobleme kommen für die Deutsche Post zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Denn die Bundespolitik setzt sich jetzt endlich daran, das völlig veraltete Postgesetz zu reformieren. Mit Blick auf das hohe Beschwerdeaufkommen fordert Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller im Rahmen dieser Novelle eine Sanktionsmöglichkeit, um den Druck auf die Post zu erhöhen.

Aus dem Bundestag mehren sich Stimmen, die so ein Druckmittel befürworten und in der anstehenden Gesetzesreform ermöglichen wollen. „Die Beschwerdewelle verdeutlicht, dass freundliche Ansprache bei der Post nicht hilft“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben. „Eine Sanktionsmöglichkeit wird immer dringlicher.“

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6 Kommentare

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  • Ich bekam im letzten Jahr in Berlin wegen Problemen mit dem Trägerdienst mehrere Monate die taz per Post - und damit gingen die Probleme erst richtig los: fast 20 % meiner Zeitungen kamen als Altpapier an. Der Briefträger erklärte mir auch den Grund: er hat eine Fünftagewoche, es soll aber sechsmal die Woche zugestellt werden. Fällt aber meist aus wegen Personalmangel.

    Ich glaube, sie hassen mich in der Aboabteilung wegen meiner ständigen Reklamationen. Dabei konnte ich doch gar nichts dafür. Immerhin, seit einigen Monaten klappt es wieder mit Trägerdienst.

  • Es ist 1:1 genauso wie bei der Deutschen Bahn:.Hauptfeinde irgendwelchen hinreichenden Auftragerfüllens sind:



    - das Wetter (es wechselt, oder noch fieser: es bleibt gleich)



    - der Mensch (sie kriegt Grippe)



    - der Kunde (er erwartet tatsächlich immer noch etwas vom Ex-Bundesunternehmen)



    - die Konstruktion: Gewinnerwartung des Aktionärs: Versorgungspflicht, aber kein Monopol; fehlender Sachverstand von oben (abgeschaffte Ministerien)



    - das Management (muss und will den Gewinnerwartungen entsprechen)

  • Die Post fährt auf dem Rücken der Beschäftigten und zum Nachteil der Kunden Milliardengewinne ein. Hinweis eines gerade Ausgestiegenen: der Anstieg der Beschwerden hängt damit zusammen, daß sogen. Flexbezirke eingerichtet wurden - durch Personalverschiebungen oder Ausfall offene Zustellbezirke wurden auf die Restbelegschat verteilt - d.h. weniger Personal, mehr Arbeit pro Zusteller, die Folge und Dauerzustand: Abbrüche, also Sendungen können nicht zugestellt werden. Der leichte Rückgang der Beschwerden liegt daran, daß zyklisch 2x die Woche zuzustellende Werbebündel örtlich abgegeben wurden, wobei gleichzeitig angekündigt wurde, daß Personaleinsparungen die Folge sein würden, zynisch gesprochen: die selbstverschuldete Unzuverlässigkeit des Zustellers wird repressiv geahndet. Daß Großunternehmen gestattet wird, in neofeudalen Stil über Personal/Menschen zu verfügen, ist in einer Gesellschaft wie der deutschen, die ihre Sozialstandards euphemistisch hochstilisiert, ein Skandal, der psychische Degenerierungswille der Post gegenüber dem Personl ist beispiellos und kaum zu überbieten. Jeder Arbeitnehmer in D sollte die gleichen ethischen Standards genießen können, branchenunabhängig, und nach Feierabend in der Lage sein, geistig tätig zu werden - nach getaner Arbeit bei der Post bleibt nur Ohnmacht und Depression - Krankheit. Der Einfluss bzw. Wirkmächtigkeit von Betriebsrat und Gewerkschaft ist ebenfalls desolat und scheinbar rechtlich und funktionabel korrumpiert, die geforderten Lohnerhöhungen gehören zum rituellen Habitus der beteiligten Funktionäre und ist nicht die primäre Forderung der Beschäftigten, sondern das Bestreben nach psychosozialer Angemessenheit der Umstände bestimmt das Bewußtsein der Menschen.

  • Das Problem mit nicht zugestellter oder verspätet eingehender Post ist noch größer, als es bisher dargestellt wurde.

    Nach wie vor gehen Behörden (und auch Gerichte) davon aus, daß die Post spätestens 3 Tage nach Absendung beim Empfänger eingegangen sind. Das alleine wäre kein wirkliches Problem, wenn da nicht die Sache wäre, daß nunmehr auch Postsendungen in einem Fensterumschlag ankommen, die mit keinem Poststempel versehen sind und stattdessen im Adressfeld des Schreibens einen QR-Code enthalten (der von meinem QR-Code-Tool nicht entschlüsselt werden kann).

    Die Beweiserbringung für eine verspätete Zustellung wird dadurch verunmöglicht, und Forderungen, den Nichterhalt eines Schreibens zu beweisen, ist schlichtweg paradox.

    Zusätzlich ist es weitgehend aus der Mode gekommen, Briefe per Einschreiben (wie es vor etlichen Jahren noch der Fall war) zuzustellen. Die Versendungsform "Einschreiben per Einwurf" ist lächerlich, weil nichts garantiert, daß ein solcher Brief nicht im falschen Briefkasten landet.

    Angesichts der gegenwärtig gegebenen totalen Überlastung mancher Behörden, z.B. Wohngeldstellen oder Jobcenter, ist zu vermuten, daß auch so manches Schreiben, welches mit einem Datum von 1 oder 2 Wochen vor dem Posteingang versehen ist, vielleicht gar nicht durch das Verschulden der Post verspätet eingegangen ist, sondern lediglich viel zu lange irgendwo in der Behörde herumgelegen hat.

    Auch in solchen Fällen ist die Beweiserbringung durch den Empfänger im Fall eines fehlenden Poststempels verunmöglicht. Und darauf zu hoffen, daß Behörden oder Sachbearbeiter ihre Fehler zugeben, dürfte überwiegend reine Wunschträumerei sein.

  • Zitat:



    "Aus dem Bundestag mehren sich Stimmen, die so ein Druckmittel befürworten und in der anstehenden Gesetzesreform ermöglichen wollen. „Die Beschwerdewelle verdeutlicht, dass freundliche Ansprache bei der Post nicht hilft“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben. „Eine Sanktionsmöglichkeit wird immer dringlicher.“ "



    Dass etwas passieren muss ist unstreitig, dass aber ausgerechnet Politiker, die JEDES Problem erstmal vor sich herschieben, jetzt die Peitsche schwingen, das ist in meinen Augen unanständig!

  • Die Ursache liegt ganz klar in der Hand: Neoliberalismus. Dieser gewährt Freiheiten, damit Paketzusteller über die maximale gesetzliche Arbeitszeit arbeiten müssen, damit der Mindestlohn sogar noch geringer ausfallen darf, und wenn am Personal gespart wird, füllt es die Kassen der Chefetage.

    Dass dann Arbeiter keine Lust auf den Job haben, oder Fachkräftemangel herrscht, sollte einen nicht verwundern. Auch nicht die schwindene Qualität im Dienstleistungssektor.

    Der durchschnittliche Deutsche will trotzdem sein Amazon-Paket rechtzeitig haben und beschwert sich wenn dieses nicht kommt, implizierend, der durchschnittliche Deutsche sieht die Ausbeutung von Paketzustellern als notwendig an, damit alles reibungslos funktioniert.