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Bescheid unzustellbarAbschiebung aus dem Nichts

Eine Asylsuchende soll abgeschoben werden, dabei hat sie der entsprechende Bescheid gar nicht erreicht. Ihre Postadresse war nicht bekannt.

Wel die Anschrift von Schutzsuchenden oft nicht bekannt ist, kommen Behördenschreiben nicht an Foto: Arno Burgi/dpa

Göttingen taz | Fayola Abubakar (Name geändert) fuhr erschrocken aus dem Bett, als Polizisten und Behördenmitarbeiter eines frühen Morgens im August des vergangenen Jahres an ihrer Wohnungstür im Städtchen Dassel im Kreis Northeim klingelten. Sie seien gekommen, erklärten die Beamten der bestürzten Frau, um die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorab schriftlich angekündigte Ausweisung zu vollziehen.

Sie sollte im Rahmen der Dublin-Verordnungen nach Spanien abgeschoben werden; über dieses Land war die Nigerianerin in die Bundesrepublik eingereist.

Einen solchen Bescheid, gegen den sie sich noch rechtlich hätte wehren können, habe sie nie erhalten, versicherte Abubakar den unangekündigten Besuchern. Sie hatte recht: Das entsprechende Schreiben hatte das Bamf an die Adresse der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Braunschweig geschickt, wo die Geflüchtete zunächst auch untergebracht war. Den Umzug nach Dassel hatte niemand dem Bundesamt mitgeteilt.

Abubakar hatte Glück. Die damalige Abschiebung sei abgebrochen worden, sagt die Göttinger Rechtsanwältin und Vorsitzende des niedersächsischen Flüchtlingsrates, Claire Deery. Inzwischen befinde sich die schwer traumatisierte Frau im Kirchenasyl. Ihr Asylverfahren läuft. Deery ist optimistisch, dass Abubakar ein Bleiberecht in Deutschland bekommen kann.

Flüchtlingsrat fordert „Adressermittlungspflicht“

Die Geschichte ist offensichtlich kein Einzelfall. Nach Angaben des Flüchtlingsrates erreichen immer mehr Schriftsätze und Bescheide des Bamf die Geflüchteten nicht, da deren Adresse der Behörde nicht bekannt ist. In der Konsequenz würden Asylverfahren eingestellt und Bescheide rechtskräftig, die die betroffenen Flüchtlinge niemals erreicht hätten.

Der Flüchtlingsrat fordert deshalb eine „Adressermittlungspflicht“ des Bundesamtes, sagt der Geschäftsführer des Rates, Kai Weber. Zudem müssten die Landesaufnahmebehörde und die örtlichen Ausländerbehörden verpflichtet werden, dem Bamf Adressänderungen von Flüchtlingen von Amts wegen mitzuteilen.

Rechtlich seien die Asylsuchenden verpflichtet, jede Änderung ihrer ­Adresse dem Bamf mitzuteilen, räumt Weber ein. Dies sei den Betroffenen oftmals aber nicht bewusst. Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass Geflüchtete oftmals erst nach mehreren Monaten auf die Kommunen verteilt und vorher lange zwischen verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen des Landes „hin- und hergeschoben“ würden.

So würden Geflüchtete zunächst in der Erstaufnahme Bad Fallingbostel/Oerbke untergebracht, anschließend zur Registrierung in die Messehallen nach Hannover geschickt und nach vier Wochen erneut nach Fallingbostel zurückverwiesen. Anschließend würden sie etwa der Stadt Hannover zugewiesen, mit Unterbringung in einer anderen Messehalle.

Aus dieser Halle heraus erhielten sie dann eine kommunale Unterkunft oder Wohnung. „Die ganze Verantwortung bei dieser selbst für Deutsche schwer durchschaubaren Behörden-Konstellation allein den Antragstellern aufzubürden, ist trotz der formalen Belehrungen durch das Bamf nicht in Ordnung“, findet Weber.

Nach geltendem Recht stellt das Bamf seine Bescheide und Schriftsätze grundsätzlich der Anschrift zu, die ihm zuletzt vom Antragstellenden oder einer öffentlichen Stelle mitgeteilt wurde. Zu weiteren Nachforschungen ist das Bamf nicht verpflichtet, wie das Bundesverwaltungsgericht 2020 geurteilt hat.

Keine Pflicht zu Nachforschungen

Auch sieht die Durchführungsanordnung des Bamf ausdrücklich vor, dass die Behörde nicht verpflichtet ist, eigenständig Nachforschungen zur Anschrift anzustellen oder eine Auskunft über das Ausländerzentralregister (AZR) einzuholen.

Die dort gespeicherten Daten seien dem Bamf, so heißt es in der Dienst­anordnung, nicht zuzurechnen. Selbst wenn das Bamf aufgrund von früheren unzustellbaren Schreiben weiß, dass die letzte bekannte Adresse nicht mehr aktuell ist, sollen Schriftsätze und Bescheide ohne Anschriftenermittlung weiterhin an die letztbekannte Adresse geschickt werden. Die Anschrift zu ermitteln, sei nur in Widerrufsverfahren erlaubt.

Der Flüchtlingsrat bezeichnet die Aussage, dass Informationen aus dem Ausländerzentralregister dem Bamf nicht zuzurechnen seien, als „schlichten Unfug“: Wem denn sonst, wenn nicht dem Bundesamt, sollten die Daten denn sonst zugänglich sein, fragt Weber. Mindestens eine telefonische Nachfrage bei der Landesaufnahmebehörde oder bei der zuständigen Ausländerbehörde könne dem Bundesamt zugemutet werden. Eine solche reiche in der Regel auch aus.

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2 Kommentare

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  • Das entsprechende Gesetz ist Übrigens §10 AsylG (www.gesetze-im-int...fg_1992/__10.html):

    "§ 10 Zustellungsvorschriften



    (1) Der Ausländer hat während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.



    (2) Der Ausländer muss Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Der Ausländer muss Zustellungen und formlose Mitteilungen anderer als der in Absatz 1 bezeichneten öffentlichen Stellen unter der Anschrift gegen sich gelten lassen, unter der er nach den Sätzen 1 und 2 Zustellungen und formlose Mitteilungen des Bundesamtes gegen sich gelten lassen muss. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt."

    Gefordert ist also eine komplette Überarbeitung des §10 AsylG. Der auch durchaus seinen Sinn hat, weil man ohne Zustellfiktion das Verfahren dann sehr sehr leicht verzögern kann. Zum Beispiel im Dublinverfahren, wo Fristen einzuhalten sind. Weswegen die Dame auch im Kirchenasyl ist, weil man sie dort nicht herrausholt läuft die Überstellungsfrist ab und Deutschland wird zuständig. So kann man es auch machen.

  • Durch eine solche Adressermittlungspflicht würden die Behörden weiter belastet und der Abschluss von Asylverfahren bis zur Unmöglichkeit erschwert.

    Da die Rückführung ins EU Ausland nur sechs Monate lang möglich ist, würde diese im Ergebnis nahezu unmöglich werden.

    Das "Glück" der im Artikel Genannten führt nun zu einem weiteren Verfahren in Deutschland nebst der entsprechenden Kosten für den Steuerzahler.