Warten in der Ausländerbehörde: Unsere Zeit, die nichts zählt
Alle zwei bis drei Jahre muss ich meinen Aufenthaltstitel erneuern. Es ist jedes mal eine langwierige Angelegenheit mit ungewissem Ausgang.
O ft sage ich, dass es nicht „die Geflüchteten“ gibt; dass wir nicht als homogene Gruppe betrachtet werden können. Das stimmt – und doch gibt es ein paar Erfahrungen, die die meisten Geflüchteten teilen. Dazu zählen der Besuch in der Ausländerbehörde und die Überraschungen, die wir dort erleben.
Wie viele Menschen mit Fluchtgeschichte muss ich regelmäßig meinen Aufenthaltstitel erneuern. Ich kann sagen: Immerhin habe ich dieses Glück. Alle zwei bis drei Jahre bekomme ich die Bestätigung, dass mein Leben hier in Hamburg erlaubt ist. Das ist mehr, als andere sagen können (ja, auch viele Syrer:innen). Warum es alle zwei bis drei Jahre sein muss, ist eine Geschichte von Zufällen und Seehofers Politik, ein bisschen zu lang für diese Kolumne. Sagen wir, die Ausländerbehörde möchte mich gerne wiedersehen – und mehr Arbeit haben.
Bei jedem Besuch finde ich ein leicht verändertes System vor. Wahrscheinlich wollen uns die Behörden gerne überraschen! Zum Beispiel das Terminbuchungssystem: Es ist fast ein bisschen aufregend, zu erfahren, ob und wie ich dieses Mal an einen Termin kommen kann.
Die ersten Male musste ich mit meinem Bruder wahnsinnig früh aufstehen, um eine Nummer zu ziehen. Und dann warten, warten, warten. Je früher wir morgens da waren, desto schneller kamen wir dran. Nach einiger Zeit hier fiel es mir schwer, zu glauben, dass das wirklich das „normale“ System in Deutschland ist.
Während der Wartezeit hatte ich auch viel Zeit zum Nachdenken. Glaubt man in der Ausländerbehörde, dass die Zeit von Menschen wie mir, Menschen mit Fluchtgeschichte, nicht so wichtig ist? Dass es nicht so schlimm ist, vier oder fünf Stunden auf einen Termin zu warten? Oder denkt man an unsere Gesundheit und möchte uns eine Auszeit gönnen? Denn etwas anderes als sitzen, warten, mit dem Handy spielen oder auf den Boden gucken kann man dort nicht. Hat in der Ausländerbehörde überhaupt jemand an die Ausländer gedacht?
In der Businesswelt heißt so etwas doch “Kundenorientierung“. Ein bisschen “Ausländerorientierung“ wäre super.
In der Coronapandemie bemerkten auch die Hamburger Behörden, dass es nicht so weitergehen kann (wegen der Infektionsgefahr, soweit ich weiß, nicht aus Respekt vor der Zeit der Menschen). Endlich kam ein digitales Terminbuchungssystem! Und es hat allen geholfen: den Mitarbeiter:innen, den Geflüchteten, und allen anderen Bürger:innen.
Als ich im vergangenen Monat bemerkte, dass mein Aufenthaltstitel nicht mehr lange gültig ist, erwartete mich die nächste Überraschung. Ich konnte ein Onlineformular ausfüllen und hochladen. Super, dachte ich, die Digitalisierung hat doch ihren Weg in die Ausländerbehörde gefunden! Ich habe das Formular also ausgefüllt, hochgeladen – und dann die Meldung bekommen, dass ich einen Termin beantragen sollte. Aber in dem digitalen Kalender waren alle, wirklich alle Termine ausgebucht. Ich habe jeden Tag und jeden Monat durchgeklickt, aber nein. Doch dann kam eine automatisierte E-Mail:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Nutzung des Online-Dienstes. Ihre Dokumente werden nun geprüft. Bitte kommen Sie zu dem vereinbarten Termin in die Behörde. Wenn wir noch weitere Dokumente benötigen, melden wir uns. Wenn eine Terminvereinbarung online nicht möglich war, melden wir uns bei Ihnen mit einem Terminangebot. Mit freundlichen Grüßen
Ihre Ausländerbehörde
Seit knapp vier Wochen warte ich jetzt auf dieses „Terminangebot“. Mein Aufenthaltstitel ist inzwischen abgelaufen und ich weiß nicht weiter. Das Formular nochmal ausfüllen? Noch mehr E-Mails schicken? Für einen kurzen Moment wünsche ich mir, ich könnte einfach ganz früh aufstehen und eine Nummer ziehen gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen