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Berlins neues VersammlungsgesetzMehr Protest wagen

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Das von Rot-Rot-Grün entworfene Berliner Versammlungsgesetz kann und sollte noch verbessert werden.

Vermummungsverbot soll nur gelockert werden: Demo für den Erhalt des Karnevals der Kulturen Foto: dpa

A uf den ersten Blick sieht der Entwurf für das neue Versammlungsgesetz, das die Fraktionen von Rot-Rot-Grün am Mittwoch im Abgeordnetenhaus vorgestellt haben, sehr gut aus: Anstatt zu verschärfen nämlich setzt die Koalition auf Liberalisierung. Festmachen lässt sich das an vielen Punkten: Das Deeskalationsgebot ist erstmals für Berlin festgeschrieben. Gegendemos in Hör- und Sichtweite sollen grundsätzlich erlaubt sein. Streckenverläufe von Demos sollen auf einem Open-Data-Portal des Landes veröffentlicht werden. Die Bannmeile um das Abgeordnetenhaus soll verkleinert werden und nur nach Anordnung des Parlamentspräsidenten gelten.

Proteste sollen zudem künftig auch auf Privatgelände stattfinden können, wenn dieses öffentlich zugänglich ist und das Anliegen mit dem Ort zu tun hat. Demos auf Flughäfen gegen die klimatischen Auswirkungen von Flugverkehr wären damit also möglich – ebenso in Shoppingmalls gegen sklavenähnliche Arbeitsbedingungen.

Viel davon war allerdings gemäß mehrerer Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts längst Praxis. Dem Brokdorf-Urteil von 1985 etwa ist es zu verdanken, dass Kooperations-, Deeskalations- und Differenzierungsgebot schon seit 1985 in Deutschland zur Anwendung kommen sollen – auch wenn danach nicht überall gehandelt wird (Hamburg, wink doch mal!).

Insofern ist es natürlich gut, dass dies nun für Berlin ausformuliert ist und altbackene Begriffe wie die „öffentliche Ordnung“ als Beschränkungen für Demos ausgedient haben.

Noch immer ist die Versammlungs­behörde bei der Polizei angesiedelt

Aber es ginge eben auch mehr – etwa bei den umfangreichen Eingriffsrechten der Polizei: Denn noch immer ist die Versammlungsbehörde bei der Polizei angesiedelt. Das sei deswegen problematisch, weil die Exekutive Versammlungen grundsätzlich als Gefahr ansehe und entsprechend handle, wie der Republikanische Anwält:innenverein (RAV) in der taz kritisierte. Zudem könnten Einsatzkräfte einzelne Protestteilnehmer:innen ausschließen oder Versammlungen schon dann auflösen, wenn diese nur bedrohlich erscheinen.

Auch das umstrittene Vermummungsverbot soll nicht abgeschafft, sondern nur gelockert werden: Die Polizei soll es erst nach einer Anordnung durchsetzen können. Diese kann bereits im Vorfeld oder auch während einer Demo ergehen, wenn es zu Straftaten kam oder damit zu rechnen ist. Das Mitführen von geeigneten Materialien zur Vermummung wie Schals und Sonnenbrillen soll hingegen nicht mehr strafbar sein.

Wirklich neu sind allerdings Verbotsmöglichkeiten für Versammlungen mit volksverhetzendem Charakter. Die sollen untersagt werden können, wenn dort gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Aufstachelung zu Hass und Gewalt oder NS-Verherrlichung stattfindet. Dies gilt insbesondere für 23 historisch besonders schutzwürdige Gedenkorte Berlins sowie bestimmte Gedenktage (27. Januar, 8. und 9. Mai, 9. November).

Dass beim Versammlungsgesetz durchaus noch mehr geht, zeigt sich wohl auch daran, dass die Gewerkschaft der Polizei den Entwurf gut findet und sich über mehr Rechtssicherheit freut.

Immerhin sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im Herbst noch Änderungen möglich: Der Entwurf dreht zunächst ein paar Runden durch Fachausschüsse und Anhörungen. Dort sollten die Einwände etwa des RAV aufgegriffen werden.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium in Potsdam. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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