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Berlins Finanzsenator über Investitionen„Wir kommen stärker aus der Krise“

Berlins Schulden steigen durch die Coronahilfen wieder auf einen Rekordstand. Dennoch mache ihm das keine Angst, sagt Matthias Kollatz (SPD).

Nichts los, nirgends: Keine leichte Zeit für den Finanzsenator Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz und Stefan Alberti

taz: Herr Kollatz, durch die Coronakrise ist die Politik so spendabel wie selten. Ganz locker werden auch im Land Berlin Milliarden Euro für Hilfen bewilligt. Macht Ihnen diese Leichtigkeit Angst?

Matthias Kollatz: Also Angst macht mir das nicht.

Das ist doch schon mal beruhigend.

Na, aber besonders toll finde ich es auch nicht.

Das müssen Sie erklären.

Diese Situation hat niemand angestrebt. Es handelt sich um eine atypische, besonders schwere Krise, die nicht aus der Wirtschaft heraus entstanden ist. Vielmehr unterdrückt der Staat die Wirtschaft, um ein höheres Gut zu schützen, in diesem Fall die Gesundheit. Das zeigt sich etwa daran, dass Sie beide nicht in Hotels übernachten dürfen oder Ihr Geld nicht wie sonst für viele schöne Dinge, etwa Kino, verwenden können. Wenn der Staat jetzt Geld ausgibt, bringt das weder Freude noch Nutzgewinn; es ist schlicht eine Notwendigkeit.

Eine perfekte Zeit also, um in der Krise gegen zu steuern – „ Deficit Spending “, wie Wirtschaftsexperten mit Rückgriff auf den Ökonom John Maynard Keynes sagen.

Naheliegend wäre ein Investitionsprogramm für die öffentlichen Krankenhäuser.

Es stimmt: Wir befinden uns in einer keynesianischen Situation. Wir fördern als Land daher Maßnahmen, die die Investitionstätigkeit hochschrauben. Dieses Konjunkturprogramm jetzt ist richtig. Es kann aber kein Dauerzustand sein.

Was heißt das konkret?

Wir müssen uns bald wieder daran orientieren, was wir als Land einnehmen. Die schlechte Nachricht: Wir verlieren zwei Jahre, so lange dauert die Krise voraussichtlich. Die gute: Wir sind nicht vom Wachstum abgeschnitten. Aber das Wachstum wird am Ende der Krise von einem niedrigeren Punkt wieder starten als Anfang 2020 erwartet.

Bedeutet das, die Zeit der staatlichen Förderung ist vorbei?

In den in den nächsten Wochen anstehenden Haushaltsverhandlungen für den Doppelhaushalt 2022/23 werden wir darüber reden, ob es sinnvoll ist, dass die landeseigenen Unternehmen zusätzliche Investitionen anpeilen.

Bild: dpa
Im Interview: Matthias Kollatz

Matthias Kollatz, 64, ist seit 2014 Finanzsenator des Landes Berlin. Der SPD-Politiker, der Physik und Volkswirtschaftslehre studiert hat, war mehrere Jahre einer von acht Vize-Präsidenten der Europäischen Investitionsbank. 2016 wurde er in Steglitz-Zehlendorf direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt.

Was stellen Sie sich vor?

Was zum Beispiel den ÖPNV angeht, könnte es sinnvoll sein, den Fahrzeugpool bei der S-Bahn finanziell anzuschieben und mit mehr Mitteln auszustatten. Naheliegend wäre auch ein Investitionsprogramm für die öffentlichen Krankenhäuser. Wir haben in der Coronakrise ja gesehen, wie sinnvoll es ist, öffentliche Gesundheitsstrukturen zu haben. Zwei Drittel der Coronalasten werden von den zwei großen landeseigenen Kliniken Vivantes und Charité getragen.

Um welche Summe sollte es da Ihrer Meinung nach gehen?

Um bei Krankenhausinvestitionen zu bleiben: Zum Beispiel sind für das gemeinsame Herzzentrum der Charité Investitionen in Höhe von insgesamt etwa 387 Millionen Euro erforderlich. Davon stemmt das Land Berlin 287 Millionen Euro, der Bund beteiligt sich mit 100 Millionen Euro.

Sie sagten uns kurz nach Beginn der Coronakrise vor einem Jahr, Berlin habe finanziell gesehen eine „gewisse Firepower“, um gegen die Folgen der Pandemie vorzugehen. Nun sprechen Sie von einer „besonders schweren Krise“. Ist die größer ausgefallen, als Sie erwartet hatten?

Nein.

Sie sind davon ausgegangen, dass sie sich so lange ziehen würde?

Das nicht. Aber die Schwere der Krise macht sich am Wirtschaftseinbruch fest, und der ist sogar ein bisschen stärker als in der Finanzkrise 2008. Und was die Firepower betrifft: Uns ist es in Berlin – gegen viele Widerstände – sehr gut gelungen, die relative Schuldenlast durch Wirtschaftswachstum und entsprechende Tilgung zu verringern.

Der Schuldenstand wird sich im Vergleich zu 2020 nicht mehr vergrößern.

Damit ist jetzt erst mal vorbei.

Berlin hat zwar wieder einen Schuldenstand, der sogar über dem bisherigen Rekordwert liegt: Ende 2020 hatte das Land Verbindlichkeiten in Höhe von 63,71 Milliarden Euro; 2011 waren es 62,91 Milliarden Euro gewesen. Aber Berlin hat in der Zwischenzeit ein deutliches Wirtschaftswachstum verzeichnet. Deswegen entspricht dieser Schuldenstand nicht mehr wie 2011 zwei Drittel des regionalen Bruttoinlandsprodukts. Es sind jetzt mit knapp 46 Prozent deutlich weniger. Das spricht auch dafür, dass wir schneller und stärker aus der Krise herauskommen.

Sie haben die vom Abgeordnetenhaus beschlossene Neuverschuldung von 7,3 Milliarden Euro als zu hoch kritisiert. Warum haben Sie sie mitgetragen?

Das Parlament hat das Budgetrecht. Und es stimmt zwar, dass viele meiner Prognosen in der Krise eingetroffen sind. Aber ich muss auch zugeben, dass das Parlament richtig lag mit seiner Einschätzung, dass die Krise länger dauern könnte. Konsens ist nun, dass diese Neuverschuldung für den gesamten Krisenzyklus vorgesehen ist. Wir wollen nicht jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf treiben. Der Schuldenstand wird sich im Vergleich zu 2020 nicht mehr vergrößern.

Wir sind weiterhin in einer Phase mit sehr niedrigen Zinsen. Wenn die wieder steigen sollten – wovor Sie selbst gewarnt haben: Wird das ein höher verschuldetes Berlin nicht hart treffen?

Wir setzen bei den Krediten bewusst auf lange Laufzeiten. In meiner Zeit als Finanzsenator liegen sie in der Regel oberhalb von zehn Jahren, das ist für Bundesländer recht lang. Sollten die Zinsen also wirklich steigen – derzeit gibt es Anzeichen für eine leichte Zunahme auf sehr niedrigem Niveau – wird sich das nur sehr verlangsamt in den Zinszahlungen widerspiegeln.

Woran machen Sie fest, dass Berlin stärker aus der Krise kommen wird?

In Berlin gibt es nicht nur heftige Einbrüche, etwa im Tourismus oder der Gastronomie, sondern auch viele neue Jobs, insbesondere im IT-Bereich und technisch betriebenen Finanzdienstleistungen, FinTech genannt. Zudem ziehen nach und nach weitere Bundesverwaltungen nach Berlin, das stärkt die Hauptstadtfunktion. Es entstehen gerade viele hochwertige Arbeitsplätze.

Was halten Sie von der Schuldenbremse im Bund: Sollte die wieder in Kraft gesetzt werden, und wenn ja, ab wann?

Die Schuldenbremse stammt aus der Zeit der Finanzkrise 2008. Als Stopp für überbordende Ausgaben ist sie richtig. Der Einwand, sie behindere Investitionen, ist aber durchaus berechtigt: Hier ist die Bremse zu grobmaschig gestrickt. Investitionen sind einmalig, und wenn sie so ausgelegt sind, dass sie sich in der Zukunft wieder einspielen, spricht nichts gegen sie. Schließlich steht uns eine riesige Herausforderung erst noch bevor: Wie sollen wir die Klimakrise meistern, wenn nicht mit Investitionen in großem Umfang?

Ein Beispiel dafür ist der vor einer Woche von Ihnen bekannt gemachte Rückkauf des Stromnetzes durch das Land. Vattenfall erhält dafür rund 2,1 Milliarden Euro.

Das Parlament muss noch zustimmen. Wir wählen für die Finanzierung einen Weg außerhalb des Haushalts; das Geld kommt aus den künftigen Einnahmen. Wenn es für solche Konstruktionen künftig mehr Möglichkeiten gibt, wird uns das bei den anstehenden Investitionen für den Klimaschutz sehr helfen. Investitionen in Energieeffizienz rechnen sich – aber leider erst nach vielen Jahren.

Was kommt bei der Klimakrise auf Berlin zu, finanzpolitisch gesehen?

Das lässt sich derzeit noch nicht genau sagen. Sicher ist: Klimaschutz ist die größte Investitionsaufgabe, die vor uns liegt – in Deutschland und global gesehen.

Kein Interview mit dem Finanzsenator ohne ein Foto mit Geld! Foto: dpa

Sind die 2,1 Milliarden Euro für das Stromnetz der Preis, den Sie erwartet haben?

Das ist ein fairer Preis, aber auch kein Schnäppchen.

Wir haben uns gefragt, warum Vattenfall überhaupt verkauft hat – die Verhandlungen haben sich ja über Jahre gezogen, kurz zuvor hatte das Kammergericht noch zugunsten des Konzerns geurteilt.

Die Motivlage von Vattenfall müssten Sie bitte dort erfragen. Für uns spielte der deutlich erkennbare Rekommunalisierungswille, den es nicht nur in Berlin gibt, eine Rolle; gleichzeitig ging es uns um Klimaschutz. Das dürfte auch bei Vattenfall als Argument Anerkennung gefunden haben, weil der Konzern ja selbst erklärt hat, auf eine fossilfreie Energieerzeugung setzen zu wollen. Uns ist es zudem gelungen, klar zu machen, dass es um ein partnerschaftliches Verhältnis geht – Vattenfall zieht sich ja nicht als Stromanbieter aus Berlin zurück.

Eine ähnliche Finanzierung schwebt der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen vor: Die Entschädigung großer Wohnungseigentümer soll über die künftigen Mieteinnahmen gedeckt werden. Ist deren milliardenschweres Vergesellschaftungsmodell auch so finanzierbar?

Der wesentliche Unterschied zum Rückkauf des Stromnetzes ist: Wir haben uns mit Vattenfall verständigt. Die Initiative schlägt vor, sich mit den Investoren nicht zu verständigen, sondern diese zu enteignen. Das halte ich für den falschen Weg. Deswegen haben wir als Land ja auch begonnen, in großem Umfang Wohnungen auf dem freien Markt zurückzukaufen. Und was die Finanzierung angeht, warne ich: Kreditfinanzierung gelingt nur dann, wenn ein wirtschaftlicher Betrieb angestrebt wird. Das heißt bei Wohnungen: Es wird Mieterhöhungen geben müssen. Mein Eindruck ist, dass sich die Initiatoren diese vergesellschafteten Wohnungen aber als mieterhöhungsfreie Zone vorstellen.

Der BER darf auf keinen Fall ein Dauerkostgänger werden für die drei Gesellschafter.

Nach der Ankündigung, das Stromnetz zu kaufen, haben Sie erklärt, dass sich der Strompreis für Verbraucher nicht erhöht. Aber nach Ihrer Logik müsste es doch auch beim Stromnetz Preiserhöhungen geben.

Die Preise sind reguliert; durch den Kauf des Stromnetzes verändert sich nichts daran. Aber die Preise werden sicher an die Inflation angepasst und darum geht es auch beim Thema Mieten: Wenn sich diese ungefähr nach der Inflation entwickeln, wird auch niemand vertrieben.

Nun wollte ja auch Vattenfall das Stromnetz nicht von Anfang an verkaufen; der Konzern musste in langen Verhandlungen dazu gebracht werden. Vielleicht braucht es bei der Deutschen Wohnen auch nur noch ein bisschen. Und wenn der Konzern jetzt Wohnungen an Berlin verkaufen will, würde das Land zuschlagen?

Wir haben in den vergangenen Jahren im vierstelligen Bereich Bestände von der Deutsche Wohnen gekauft. Und der Regierende Bürgermeister hat gesagt, wenn der Konzern uns Angebote macht, insbesondere aus Beständen, die sozialer Wohnungsbau sind oder waren, nehme er alles, was er kriegen könne. Das gilt weiterhin: Wenn uns die Deutsche Wohnen Bestände anbietet, werden wir in eine positive Prüfung eintreten. Und wir werden sie kaufen, wenn wir sie zum Ertragswert und nicht zum Verkehrswert erwerben können.

Eine ganz andere große Baustelle – obwohl sie ja fertig geworden ist nach vielen Jahren – ist der BER.

Fluggäste sind gerade eine seltene Spezies, nicht nur am BER Foto: dpa

Ich bin erst mal sehr froh, dass der Flughafen eröffnet hat. Viele haben ja nicht mehr dran geglaubt.

Trotzdem kommt die hochverschuldete Flughafengesellschaft das Land – und die anderen beiden Eigentümer Brandenburg und den Bund – weiter teuer zu stehen.

Wir haben Probleme am BER wegen Corona – so wie alle Flughafenbetreiber. Mit aktuell weniger als zehn Prozent der Fluggäste kann der BER nicht wirtschaftlich betrieben werden. Dieses Problem müssen wir lösen. Da gibt es noch einige Hindernisse, auch wegen EU-rechtlicher Vorgaben. Und wir werden über eine Teil-Entschuldung reden müssen.

Insgesamt geht es um 4,5 Milliarden Euro Schulden.

Durch eine Teilentschuldung könnte der Flughafen profitabel arbeiten, sobald er wieder die Passagierzahl von vor der Coronakrise erreicht, also etwa 36 Millionen Passagiere jährlich.

Wir müssen eben keine Maximalrendite erwirtschaften; uns reichen schwarze Zahlen.

Die drei Gesellschafter springen also wieder mal in die Bresche?

Richtig. Ein Teil der Schuldenlast bei den Banken – die Flughafengesellschaft hat dafür einen Betrag von unter 2 Milliarden Euro genannt – wird durch Zahlungen der Eigentümer abgelöst. Dazu kommt das, was an aktuellen Coronahilfen in 2020 und 2021 an den BER fließt, teilweise als Zuschuss, teilweise als Darlehen.

Sehen Sie da ein Ende des Tunnels? Selbst die Flughafengesellschaft geht von einer Normalisierung nicht vor 2025 aus.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es zu einer rascheren Erholung kommt. Wenn es aber diesen Zeitraum bis 2025 braucht, muss der so finanziert werden, dass der BER ab dem entsprechenden Passagieraufkommen schwarze Zahlen schreiben kann. Der BER darf auf keinen Fall ein Dauerkostgänger werden für die drei Gesellschafter.

Sind Sie dafür, den BER zumindest zum Teil zu privatisieren, wie etwa die CDU immer wieder fordert?

Davon bin ich kein Freund. Es ist richtig, gewisse Kerninfrastrukturen in öffentlicher Verantwortung zu haben. Und am Ende laufen viele Privatisierungsmodelle darauf hinaus, dass die Verluste sozialisiert werden, die Gewinne aber bei den Privaten landen. Bei allen Problemen beim BER – und die sollte man nicht verniedlichen – spricht vieles dafür, dass er als öffentliche Struktur besser zu erhalten ist.

Sie haben vorhin die Bewältigung der Klimakrise angesprochen. Daz gehören auch weniger Flüge. Als Finanzsenator haben Sie aber ein Interesse, dass der BER brummt. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

Das Thema kommt ja häufig auf: Auch die Einnahmen durch das Stromnetz sind höher, wenn mehr Strom verbraucht wird. Trotzdem ergeben Einsparungen durchaus Sinn. Auch das spricht übrigens für eine öffentliche Eignerschaft: Wir müssen eben keine Maximalrendite erwirtschaften; uns reichen schwarze Zahlen. Bei einem privaten Eigentümer würde die Debatte um Nachtflüge auch ganz anders geführt. Nicht nur im Hinblick auf Klima, sondern auch auf Lärm können wir das besser ausbalancieren als ein privater Eigentümer.

Zum Abschluss eine Bilanzfrage: Sie sind seit 2014 Finanzsenator. Als sie kamen, wurde Berlin von süddeutschen Ländern immer noch als Bankrotteur beschimpft. Haben Sie die Finanzpolitik hier nachhaltig verändert?

Ende 2019 waren wir erstmals beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf oberhalb des Bundesdurchschnitts. Das ganze Getöse, was einmal im Jahr abgehalten wurde, hat sich damit erledigt. Das darf aber nicht das Ende sein: Hauptstadtregionen in Europa sind fast überall die wirtschaftlichen Motoren ihrer Länder. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Aber wenn es ein Bundesland gibt, das Chancen hat, irgendwann mal beim Länderfinanzausgleich vom – in diesem Fall sogar größten – Empfängerland zum Geberland zu werden, dann ist es Berlin. Zuvor hat das nur Bayern geschafft, über einen sehr langen Zeitraum, und Hessen. Neben diesen finanzpolitischen Erfolgen ist es uns auch gelungen, dass Steuerbescheide in Berlin im Bundesvergleich mit am schnellsten verschickt werden und vor allem, dass die Verwaltung als Arbeitgeber attraktiv wurde – das gehört ja alles zum Finanzressort mit dazu. Obama hat mal gesagt: The best is yet to come.

Klingt wie eine Bewerbungsrede als Finanzsenator für die nächste Legislatur.

Ich kandidiere bei der Abgeordnetenhauswahl bekanntermaßen wieder in Steglitz-Zehlendorf für den Wahlkreis, den ich 2016 direkt gewonnen habe.

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