Berliner Verfassungsgerichtshof: AfD darf Vornamen erfragen
Der Berliner Senat durfte eine Vornamen-Abfrage der AfD nicht verweigern. Der Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofes fiel denkbar knapp aus.
Seit 2018 fragt die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus regelmäßig nach den „Täterhintergründen“ von Messerangriffen in Berlin. Sie will damit belegen, dass „Ausländer“ überproportional vertreten sind und dass unter den deutschen Tatverdächtigen besonders viele eingebürgerte Deutsche sind. Die AfD fragte deshalb jeweils auch nach den 20 häufigsten Vornamen der deutschen Tatverdächtigen. Bis 2023 beantwortete der Senat die Frage. So waren 2022 die häufigsten Vornamen unter 1194 deutschen Tatverdächtigen Christian (11), Nico und Ali (je 8).
Erst 2024 weigerte sich der Senat, eine Vornamensliste zusammenzustellen und berief sich auf ein Urteil des niedersächsischen Landesverfassungsgerichts, das die Veröffentlichung der Vornamen von Tatverdächtigen aus Datenschutzgründen für unzulässig erklärt hatte. Gegen die Weigerung erhob der Berliner AfD-Abgeordnete Marc Vallendar eine Organklage beim Berliner Verfassungsgerichtshof.
Gerichtsminderheit beruft sich auf Diskriminierungsverbot
Die Klage des AfD-Abgeordneten hatte nun Erfolg. Zumindest die konkrete Begründung des Senats verletze sein in der Landesverfassung garantiertes Fragerecht, entschieden die neun Berliner Verfassungsrichter:innen einmütig. Es sei „nicht plausibel“, ausgerechnet bei der Abfrage der häufigsten Vornamen ein „hohes Identifizierungsrisiko“ von einzelnen Personen anzunehmen. Auch der Verweis auf das niedersächsische Urteil überzeugte nicht, denn dort ging es nur um 19 Tatverdächtige von Gewalttaten in der Silvesternacht 2022/2023.
Weitere Argumente des Senats, etwa dass eine Abwertung von eingebürgerten Deutschen als zweitklassige Staatsbürger drohe, hielten fünf der neun Verfassungsrichter:innen für unbeachtlich, weil sie zu spät „nachgeschoben“ wurden. Ob der Senat in kommenden Jahren damit argumentieren kann, ließ die Gerichtsmehrheit offen.
Dagegen hielt eine Minderheit von vier Richter:innen die Erstellung solcher Vornamenslisten generell für verfassungswidrig, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot und die Menschenwürde-Garantie der Landesverfassung verstoße. Die Erstellung solcher Vornamenslisten dürfe nach Auffassung der Minderheitsrichter nicht gesetzlich angeordnet und daher auch nicht von Abgeordneten angefordert werden.
Die Gerichtsminderheit stützt sich darauf, dass die Berliner Landesverfassung eine Diskriminierung wegen rassistischen Zuschreibungen und daher auch eine Differenzierung deutscher Staatsbürger:innen nach ethnischer Herkunft verbiete. Die Veröffentlichung der Vornamen sei ebenfalls verboten, weil sie „stellvertretend“ für die ethnische Herkunft stehe. Auch die Menschenwürde verbiete eine rechtliche Abwertung eingebürgerter Deutscher. Die Erstellung einer Vornamensliste sei zwar weit von einer Rechtlosstellung von Eingebürgerten entfernt, räumen die Richter:innen ein, „der Grundansatz wäre aber der Gleiche“.
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