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Berliner VerfassungsgerichtshofAfD darf Vornamen erfragen

Der Berliner Senat durfte eine Vornamen-Abfrage der AfD nicht verweigern. Der Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofes fiel denkbar knapp aus.

Berliner Verfassungsgerichtshof am Kleistpark Foto: IMAGO / Stefan Zeitz

BERLIN taz | Der Berliner Senat durfte die Frage eines AfD-Abgeordneten nach den Vornamen deutscher Tatverdächtiger nicht aus Datenschutzgründen verweigern. Das entschied der Berliner Verfassungsgerichtshof. Der Beschluss fiel mit der knappen Mehrheit von fünf gegen vier Richterstimmen, wie das Gericht am Mittwoch mitteilte. Eine Minderheit von vier der neun Rich­te­r:in­nen hielt die Erstellung solcher Vornamenslisten sogar generell für verfassungswidrig.

Seit 2018 fragt die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus regelmäßig nach den „Täterhintergründen“ von Messerangriffen in Berlin. Sie will damit belegen, dass „Ausländer“ überproportional vertreten sind und dass unter den deutschen Tatverdächtigen besonders viele eingebürgerte Deutsche sind. Die AfD fragte deshalb jeweils auch nach den 20 häufigsten Vornamen der deutschen Tatverdächtigen. Bis 2023 beantwortete der Senat die Frage. So waren 2022 die häufigsten Vornamen unter 1194 deutschen Tatverdächtigen Christian (11), Nico und Ali (je 8).

Erst 2024 weigerte sich der Senat, eine Vornamensliste zusammenzustellen und berief sich auf ein Urteil des niedersächsischen Landesverfassungsgerichts, das die Veröffentlichung der Vornamen von Tatverdächtigen aus Datenschutzgründen für unzulässig erklärt hatte. Gegen die Weigerung erhob der Berliner AfD-Abgeordnete Marc Vallendar eine Organklage beim Berliner Verfassungsgerichtshof.

Gerichtsminderheit beruft sich auf Diskriminierungsverbot

Die Klage des AfD-Abgeordneten hatte nun Erfolg. Zumindest die konkrete Begründung des Senats verletze sein in der Landesverfassung garantiertes Fragerecht, entschieden die neun Berliner Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen einmütig. Es sei „nicht plausibel“, ausgerechnet bei der Abfrage der häufigsten Vornamen ein „hohes Identifizierungsrisiko“ von einzelnen Personen anzunehmen. Auch der Verweis auf das niedersächsische Urteil überzeugte nicht, denn dort ging es nur um 19 Tatverdächtige von Gewalttaten in der Silvesternacht 2022/2023.

Weitere Argumente des Senats, etwa dass eine Abwertung von eingebürgerten Deutschen als zweitklassige Staatsbürger drohe, hielten fünf der neun Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen für unbeachtlich, weil sie zu spät „nachgeschoben“ wurden. Ob der Senat in kommenden Jahren damit argumentieren kann, ließ die Gerichtsmehrheit offen.

Dagegen hielt eine Minderheit von vier Rich­te­r:in­nen die Erstellung solcher Vornamenslisten generell für verfassungswidrig, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot und die Menschenwürde-Garantie der Landesverfassung verstoße. Die Erstellung solcher Vornamenslisten dürfe nach Auffassung der Minderheitsrichter nicht gesetzlich angeordnet und daher auch nicht von Abgeordneten angefordert werden.

Die Gerichtsminderheit stützt sich darauf, dass die Berliner Landesverfassung eine Diskriminierung wegen rassistischen Zuschreibungen und daher auch eine Differenzierung deutscher Staats­bür­ge­r:in­nen nach ethnischer Herkunft verbiete. Die Veröffentlichung der Vornamen sei ebenfalls verboten, weil sie „stellvertretend“ für die ethnische Herkunft stehe. Auch die Menschenwürde verbiete eine rechtliche Abwertung eingebürgerter Deutscher. Die Erstellung einer Vornamensliste sei zwar weit von einer Rechtlosstellung von Eingebürgerten entfernt, räumen die Rich­te­r:in­nen ein, „der Grundansatz wäre aber der Gleiche“.

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18 Kommentare

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  • Warum gibt es überhaupt diese beiden Kategorien "Ausländische Tatverdächtige" und "Deutsche Tatverdächtige" ?



    Wäre es nicht besser, die Kategorien "Menschen mit Wohnsitz in Deutschland" und "Ausländische Touristen" zu erfassen ?

    Das würde der AfD total den Wind aus den Segeln nehmen, denn dann wäre eine "Ausländerkriminalität" fast nicht mehr erkennbar.

    • @Don Geraldo:

      Am besten gar keine Daten mehr erheben, damit überhaupt keine zielgerichteten Lösungen mehr angestrebt werden können…

      Wenn ein Merkmal bei einer Tätergruppe unabweisbar signifikant überdurchschnittlich vorkommt, dann ist nun mal eine Korrelation nicht einfach so von vorne herein auszuschließen. Aber wenn man davor die Augen verschließt, kann man auch nichts tun.

  • Diese Steuertransparenz gibt es auch in Norwegen. Hat unter anderem den Effekt gehabt, dass die Löhne im Niedriglohnsektor gestiegen sind, da viele Bürger Vergleiche angestellt und ihren Job daraufhin gewechselt haben.

    Ist aber auch eine Mentalitätsfrage. In Schweden sind die Bürger dank der Personennummer völlig transparent. Von Miete bis Autokauf und selbst Schulden, alles einsehbar.

    • @Sam Spade:

      War als Antwort an @mwenger gedacht

  • Ich weiß nicht was daran diskriminierend oder menschenverachtet sei...



    Neutraler kann ein Umstand doch nicht wiedergegeben werden, reine Tatsachenfeststellung. X begeht eine Straftat X wird benannt, ebenso wie Y und Z.

    Höchstens daraus abgeleitete (berechtigte oder auch unberechtigte) Schlussfolgerungen können dann rassistisch sein, aber doch nicht die reine Tatsachenbeschreibung. Ein deutscher, französischer, polnischer oder welche ANDERE Nation angehörender "Ben, Oliver..." sagte doch nichts weiter aus als sein Name. Wenn nun 90% der Namen XY sind dann sind sie so, warum nicht simpel und ungeschminkt den Namen nennen der die Straftat begeht.

    • @Pete75_:

      Warum werden die wohl nach Messerangriffen gefragt haben? Die wollten sowas wie Ali oder Mustapha hören und für ihre Hetze benutzen. Über Christian werden kein Wort verlieren. Dementsprechend kann man die Frage als rassistisch werten.

      • @Andreas J:

        Und wenn nun 90 Prozent Ali oder Mustafa heißen sollten: Wollen wir die Interpretation den Rechtsextremen überlassen, in dem wir die Tatsache ignorieren?

        • @Suryo:

          Es geht um diskriminierende Anfragen und nicht um das Ignorieren von Tatsachen. Die AfD stellt ständig solche Anfragen, um etwas zu finden das sie Skandalisieren können.

  • „Die Gerichtsminderheit stützt sich darauf, dass die Berliner Landesverfassung eine Diskriminierung wegen rassistischen Zuschreibungen und daher auch eine Differenzierung deutscher Staats­bür­ge­r:in­nen nach ethnischer Herkunft verbiete.“

    Nicht sehen, nicht sagen, nichts hören.

  • Mit was für einer Scheiße die AfD die Gerichte beschäftigt. Christian und Nico haben die sicherlich nicht erwartet. Scheiß Rassisten.

  • In Schweden werden viel harmlosere Daten an die Öffentlichkeit gebracht. Das Steuerregister ist dort öffentlich, jeder kann einsehen, wie viel irgendein Sven Löfgren oder Anna Lindhborg zum Staatshaushalt beigetragen hat.



    Warum also die Geheimniskrämerei? Hat man Sorge, dass die Öffentlichkeit Anstoß an den Daten nehmen könnte? Vom Verheimlichen wird es nicht besser, das nährt nur den Boden für Verschwörungstheorien und Misstrauen gegenüber dem Staat.



    Und Datenschutz anhand von Vornamen kann ich auch nicht erkennen.



    Außerdem hat es jeder selbst in der Hand, ob er in der Liste auftaucht oder nicht: Einfach an die Gesetze halten, keine Straftaten begehen.

    • @mwenger:

      Wie meinen? Na egal - wa!



      Schweden ist - wie sagt man: andere Kultur!



      🤖 weiß zB “ n Schweden gibt es weder ein Verfassungsgericht noch eine diesem vergleichbare Einrichtung.“



      Däh Keine acht x zwei ”Arschlöcher in Karlsruhe!“ in Stockholm! - 🙀🥳🧐 -

      Ja dess zu ehra Vorbild, wie kam‘s /kommt‘s?



      Nun. Eine Delegation des Riksdag besuchte dieserhalb einst Karlsruhe, sich schlau machen! Gelle



      & Däh



      Nach ein/zwei Wochen reisten sie wieder ab!



      Horst Ehmke etwas weniger drastisch paraphrasierend!



      “Neje tak! Da können acht Nasen aushebeln!!



      Was der Rijksdag beschlossen hat! Neje tak!“

      Sie leben, ich denke mal in Schland 🇩🇪reingeboren?!!



      Ein Land das dank der Mütter und Väter des Grundgesetzes - GG - aufgrund deren Erfahrungen der meisten mit zwei Weltkriegen Weimar & Drittes/Nazi-Reich auf dem Buckel -



      Über, auch und vorallem für seine Bürger, aber auch mit Grund&!!Menschen!Rechten darüberhinaus, eine der, wenn nicht gar der! modernsten Verfassungen ever hat.



      Daß ma über Details streiten kann? So what •



      nochens



      Sie erinnern vllt das Volkszählungsurteil?



      Auf die Klage zweier Anwältinnen hat niemand einen müden Farthing gegeben! Gelle



      & Däh



      Art 1 GG Informationelle Selbstbestimmung

      • @Lowandorder:

        Die Errichtung eines Verfassungsgerichts als oberste Instanz ist ja immer auch Ausdruck des mangelnden Vertrauens in die eigene Politik.

        Schweden und Norwegen aber auch Großbritannien stehen in dieser Hinsicht in einer ganz anderen Tradition des Parlamentarismus. Die Idee der Souveränität des Parlaments schließt ein Einmischen der Justiz in die Politik grundsätzlich aus.

        Das hat auch mit dem Demokratieverständnis zu tun. Die Mentalität hierzulande ist darauf ausgerichtet, dass im Zweifels- oder Streitfall sofort Rufe nach einer ordnenden Hand laut werden und ein Urteil sich möglichst auf einer juristischen Grundlage zu stützen hat um Akzeptanz zu finden. Das Recht steht hier in der Hierarchie an erster Stelle.

        In Großbritannien werden sie das genaue Gegenteil erleben. Die britische Tradition des Gewohnheitsrechts und die Common Law Gerichtsbarkeit räumt den Gesetzen eine untergeordnete Stellung ein und basiert auf demokratischen Prozessen die sich innerhalb eines Landes aktuell abspielen.

        Die Rechtssprechung liegt hier am Puls der Zeit, während hier z.B. im Polizei und Ordnungsrecht noch Rechtsprechung erfolgt auf Grundlage von Gesetzen die aus der Kaiserzeit stammen.

    • @mwenger:

      Die Einkommen öffentlich zu machen birgt die Gefahr, dass diese von Kriminellen gezielt verwendet werden für Betrug, Einbrüche und Erpressungen. Diese Daten sollten geheim bleiben. Wieso sollte ich wissen was mein Nachbar verdient?

      • @Hans Dampf:

        Ausbaldowern leicht gemacht?!



        Andre Länder - andre Sitten!

  • Wo ist das Problem?



    Wenn es "Christians" sind, sind es halt "Christians". Sind es "Pablos" dann halt "Pablos" usw....



    Ein bisschen mehr Transparenz bei der Kriminalstatistik (und was damit zusammenhängt) würde den ganzen Querdenkern das Argument nehmen alle Ausländer seien kriminell und die Regierung versuche das zu vertuschen.

    • @Pawelko:

      Das Problem ist, dass die AfD alles, was nicht deutsch klingt, am liebsten deportieren lassen will. Nachname, Vorname ... egal. Da kann sie allerdings in ihren eigenen Reihen anfangen. Chrupalla zum Beisliel.

  • Die Denunzierungsportale der AfD sind auch noch nicht verboten worden. Wehret den Anfängen, oder wie war das doch gleich noch?