piwik no script img

Berliner SchulenNoch viel zu wünschen übrig

Schü­le­r*in­nen der Klassenstufen 3 und 8 schneiden noch schlechter ab als im Vorjahr. Gleichzeitig ist der Leh­rer*­in­nen­man­gel weiter hoch.

Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) blickt trotz Problemen zuversichtlich ins neue Schuljahr Foto: Jörg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Draußen wummert es, gerade ruckelt ein Bauarbeiter mit einer Rüttelmaschine Pflastersteine in den Boden. Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat sich für ihre Pressekonferenz zum Schulstart trotz des Lärms einen dankbaren Ort ausgesucht. Denn drinnen ist die Schule fertig, Lehrer*innen, Er­zie­he­r*in­nen und Eltern sind wenige Tage vor Schulstart damit beschäftigt, die Klassenräume einzurichten. Zumindest so weit, dass es am Montag mit dem Schulbetrieb schon mal losgehen kann. Was hier entsteht, sei „die Zukunft des Lernens in Berlin“, sagt die Senatorin zum Auftakt ihrer Pressekonferenz zum Schulstart.

Hier an der Landsberger Allee, direkt neben dem Europasportpark, ist Berlins erste Compartmentschule nun fast fertig. Compartment, weil die Klassenräume im neuen Gebäude der Maria-Leo-Grundschule nicht mehr entlang langer Flure aufgereiht, sondern als offene, von mehreren Seiten zugängliche Räume mit großen Fensterfronten gebaut wurden, in denen die Schü­le­r*in­nen selbstständig zwischen Schreibtischen, Stehtischen und Leseecken wechseln können. „Wir wollen hier Schule neu denken“, sagt Schulleiterin Sandra Scheffel. „Wir sind auf allen Ebenen inklusiv“, sagt sie und erzählt, wie viel Freude es ihr und dem Team bereitet habe, die Schule und das an Montessori-Pädagogik angelehnte Konzept zu entwickeln.

Vor diesem Hintergrund hat Schulleiterin Scheffel auch keine Probleme, Leh­re­r*in­nen zu finden die an ihrer Schule arbeiten wollen – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Schulen in Berlin, die teilweise nur 80 Prozent oder sogar nur 60 Prozent ihres Stellenbedarfs mit ausgebildeten Leh­re­r*in­nen decken konnten.

Neues Schuljahr

Mehr Schüler*innen Im neuen Schuljahr lernen an den allgemeinbildenden Schulen 395.110 Schüler*innen - rund 6.500 mehr als im Vorjahr. Dazu kommen 80.180 Berufsschüler. Berlin hat sechs neue Schulen - insgesamt 706.

Neue Lehrer*innen Berlin hat auf 2.444 Vollzeitstellen zum aktuellen Schuljahr 3.225 Lehrer*innen neu eingestellt, 144 mehr als vor einem Jahr. Viele arbeiten Teilzeit. Darunter sind 1.164 "klassisch ausgebildete" Lehrer*innen, die anderen sind Quereinsteiger. (usch)

„Ja, es fehlen Stellen“, sagt Bildungssenatorin Günther-Wünsch. Aber der Unterricht sei von Leh­re­r*in­nen abgedeckt. Um Leh­re­r*in­nen zu entlasten, könnten Schulen nun auch Ver­wal­tungs­mitarbei­te­r*in­nen einstellen, oder Mit­ar­bei­te­r*in­nen aus anderen Berufsfeldern, etwa Lerntherapeut*innen, pädagogisch Unterrichtshilfen, So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen oder Erzieher*innen. Hoffnung mache ihr auch, dass Berlin mit rund 3.225 Personen mehr neue Leh­re­r*in­nen als noch zum vorherigen Schuljahresanfang eingestellt hätte. Im Mai hatte es noch so ausgesehen, als ob etwa 1.460 volle Leh­re­r*in­nen­stel­len frei bleiben würden – im Schnitt zwei pro Schule. „Das könnte sein, dass es doch weniger als befürchtet werden“, sagte Günther-Wünsch. Genaue Zahlen würden erst Ende September vorliegen.

Zahl der Schulplätze steigt

Berlins Schulen stehen damit weiterhin vor dem großen Problem: Der Leh­rer*­in­nen­man­gel verschärft sich und gleichzeitig steigt die Zahl der Schulplätze. Mit rund 395.110 Schü­le­r*in­nen lernen mehr Kinder und Jugendliche als je zuvor an Berlins allgemeinbildenden Schulen. Darunter sind rund 7.500 Schü­le­r*in­nen aus der Ukraine. Rund 1.100 geflüchtete Kinder und Jugendliche haben zum Schulstart noch keinen Platz bekommen können. Die Senatorin setzt für sie auf tagesstrukturierende und schulvorbereitende Maßnahmen. Und sie sieht eine leichte Verbesserung: „Im Mai hatten wir rund 1.700 Geflüchtete ohne Schulplatz“, sagt sie.

Ein weiterer Schwerpunkt sei, es, die Bildungsqualität zu verbessern – insbesondere angesichts der Ergebnisse aus den Vergleichsarbeiten, bei der Berlins Schü­le­r*in­nen nochmals schlechter abgeschnitten hatten als im Vorjahr. Zwei Drittel der Schü­le­r*in­nen in den Klassenstufen 3 und 8 hätten nicht die Mindeststandards in den Basiskompetenzen in Mathe und Deutsch erreicht, räumte Günther-Wünsch ein. Es waren die ersten umfassenden Vergleichsarbeiten nach Corona.

Schulen sollen Qualitätsentwicklung machen

Die Bildungssenatorin will dafür Fach­be­reichs­lei­te­r*innen für Mathe und Deutsch an den Grundschulen einsetzen. Deren Aufgabe soll es sein, die Qualitätsentwicklung an den Schulen voranzubringen – oder überhaupt erst anzustoßen. „Wir müssen mit den Ergebnissen arbeiten und daraus dann Schlüsse für die Arbeit an den Schulen ziehen“, sagte die Senatorin. Außerdem sollen halbjährliche Gespräche den Lernprozess der Schü­le­r*in­nen begleiten, und zukünftig sollen die Schü­le­r*in­nen mindestens vier statt bisher drei Klassenarbeiten in Deutsch und Mathematik pro Schuljahr schreiben.

„Mit gemischten Gefühlen“ blicke er ins neue Schuljahr, sagt Landeselternsprecher Norman Heise. Es sei erfreulich, dass sich tatsächlich mehr Leh­re­r*in­nen mit unterschiedlichen Qualifikationen gefunden hätten. „Das wäre spannend, die Gründe zu analysieren, damit man diese Effekte verstärken kann“, sagte er. Er begrüßte die Fachbereichsleiter für die Grundschulen. Er bezweifelte allerdings, dass tatsächlich an allen Schulen der Unterricht gesichert sei.

Von den nahezu idealen Bedingungen an der Maria-Leo-Grundschule scheinen die meisten anderen Schulen noch ein gutes Stück entfernt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • „Wir sind mitten in einem weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe“, sagte Nancy Faeser dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir werden die besten Köpfe aber nur gewinnen, wenn sie in absehbarer Zeit voll und ganz Teil unserer Gesellschaft werden können.“

    Fähige Köpfe aus dem eigenen Land scheinen nicht so in zu sein. Sonst würde man auch mal versuchen, aus den Kindern hier die besten Köpfe zu machen. Die werden aber seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt, insbesondere im Hinblick auf Bildung, jedes Jahr schmieren die bei Evaluierungen mehr ab. Professoren teilen mit, dass die Mathekenntnisse unserer Abiturienten so schlecht sind, dass uns indische Schüler auslachen würden. Die Politik zeigt sich geschockt, es gibt wohlfeile Sonntagsreden und es passiert wie immer nix. Dass sich die hiesige Politik, mir wurscht ob Bund oder Land, mal wenigstens im gleichen Maße für unser eigenes Bildungssystem engagieren wie für den Import von zweifelsohne fähigen, und dank unseres Bildungssystems mittlerweile vermutlich auch fähigeren, Leuten aus dem Ausland, darauf werden wir lange warten können. Was Kinder in dieser Gesellschaft wert sind, sieht man doch seit langem: Nix. Und dann will man die noch verpflichten, einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten. Für was. Zum Dank für nix?

  • "Qualitätsentwicklung an den Schulen voranzubringen – oder überhaupt erst anzustoßen." Was für ein Leersatz, da weiß man, da hat jemand keine Ahnung von Qualität und der Schule.

    Die schlechten Resultate sind die Folge einer immer heterogener werdenden Schülerschaft, mit Defiziten in Sozialverhalten und Deutschkenntnissen. Die treffen auf eine Schule, die genau das, was fehlt, voraussetzt. Und die nicht die Lehrkräfte hat, um den Mangel auch nur ansatzweise zu kompensieren.

    Damit haben wir Kinder, die sich ihrer Defizite bewußt sind, die eben nicht fröhlich zwischen Leseecke und Tischgruppen hin- und herwechseln, sondern ihre Frustration an den Lehrkräften ausleben.

    Und dank der Versprachlichung des Matheunterrichts sorgen wir dafür, dass gerade jene Kinder, die schon in Deutsch zu kämpfen haben, auch hier scheitern.

    Man muss nicht Schule neu denken, man muss akzeptieren, dass diese Schule nicht leisten kann, was Eltern nicht leisten können oder wollen. Und sie kann auch nicht leisten, was die Gesellschaft als Ganzes, nicht kann oder will, wie Integration und Inklusion. Und sie kann es noch weniger, wenn ihr die Mittel fehlen und die Probleme seit Jahrzehnten ignoriert werden.



    Kinder haben in diesem Land keine Lobby.