Berliner Nahverkehrslobbyist: „Ich bin kein Fahrradhasser“
Fahrgastvertreter Jens Wieseke im Interview über Fehler der Grünen in der Verkehrspolitik, Streiks im ÖPNV und das Pünktlichkeitselend der Tram.
taz: Herr Wieseke, wir sitzen in Ihrem Wohnzimmer, da erübrigt sich die klassische Einstiegsfrage, wie Sie als Nahverkehrslobbyist zum Interview angereist sind. Wie bewegen Sie sich denn normalerweise in der Stadt?
Jens Wieseke: Fifty-fifty mit dem ÖPNV und dem Auto. Ich arbeite im Briefzentrum 10 der Deutschen Post, Nähe Südkreuz, muss aber auch oft zu meinen Kollegen ins Briefzentrum Schönefeld. Gelegentlich muss ich auch in Zustellstützpunkte fahren. Das kann am Nordbahnhof sein, aber auch mal in Vierlinden bei Seelow. Meine Schwester wohnt in Mahlsdorf, mein Freund in Ahrensfelde – insgesamt ist diese Stadt so groß und wenig kompakt, dass das Auto doch an vielen Stellen einen zeitlichen Vorteil bietet. Ich nutze es aber auch, weil ich eine Gehbehinderung mit besseren und schlechteren Phasen habe.
Sie wohnen am Engelbecken, der U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße ist nur ein paar Minuten entfernt. Wer Sie kennt, weiß aber, dass Sie sich weigern, die U8 zu nutzen.
1964 in Köpenick geboren, engagiert sich Jens Wieseke seit 1993 beim Berliner Fahrgastverband IGEB, derzeit als stellvertretender Vorsitzender und Sprecher. Seit 1981 arbeitet er als „Briefträger mit Abitur“, heute im technischen Support der Briefzustellung in Berlin und Brandenburg.
Ja, die U8 tue ich mir nicht mehr an. Wenn ich zum Alex will, nehme ich den etwas weiteren Weg zur U2 in Kauf, zum Märkischen Museum oder zum Spittelmarkt.
Wieso?
Als ich 2001 hierher gezogen bin, war die Situation grundsätzlich in Ordnung. In den letzten 15 Jahren hat dann ein Abwärtstrend eingesetzt, und mittlerweile macht es einfach keinen Spaß mehr. Ich habe keine Lust, morgens in der U-Bahn als erstes zu sehen, wie sich jemand einen Schuss setzt. Ich bin nicht das typische Ziel für Kriminalität und weiß mich hoffentlich zu schützen, aber es ist ein subjektives Gefühl völligen Unwohlseins.
Dann ist die Initiative für Sauberkeit und Sicherheit auf der U8, die der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und Verkehrssenatorin Manja Schreiner (beide CDU) gerade ausgerufen haben, ja genau Ihr Ding.
Ich finde es vollkommen richtig, dass sich Herr Wegner und Frau Schreiner das auf die Fahnen geschrieben haben. Ich weiß noch, wie Sigrid Nikutta, als sie 2010 als BVG-Chefin anfing, von uns wissen wollte, wo dringend etwas unternommen werden müsste. Wir sagten: U8, Schönleinstraße. Und Sie wissen, wie der bis heute aussieht. Einen Fahrstuhl hat er übrigens auch noch nicht – dabei gibt es im benachbarten Graefekiez immer wieder Initiativen, das Auto zurückzudrängen. Das passt nicht zusammen.
Kann die Sauberkeitsinitiative überhaupt Erfolg haben?
Wenn die Leute den Eindruck haben, auf einem Bahnhof passiert etwas, erhöht das die subjektive Sicherheit. Und wenn jetzt regelmäßig abends um zehn sauber gemacht wird, ist das eine Botschaft. Ich halte es da mit der Broken-Windows-Theorie. Wobei man auf einem U-Bahnhof wie Heinrich-Heine-Straße mit seinem Drogenpublikum auch morgens um zwei ein Reinigungsteam durchschicken könnte. Die Clubs in der Nachbarschaft gehören zur Kultur unserer Stadt, aber wenn das im Umfeld bestimmte Probleme erzeugt, muss ich mich eben darum kümmern.
Und was ist Ihr Eindruck nach ein paar Wochen? Sie haben es sich jetzt sicher doch mal angeschaut, oder?
Ich habe „mutig“ den Schritt auf die U8 gewagt und muss sagen, dass es sauberer geworden ist. Nun muss dafür gesorgt werden, dass das dauerhaft so bleibt. Auf Grund von Problemen mit der Infrastruktur musste allerdings die BVG den Takt auf der U8 von 5 auf 6 Minuten ausweiten.
An diesem Dienstag wird mal wieder die S-Bahn von der GDL bestreikt, während die Verhandlungen zum Manteltarifvertrag der BVG laufen, hat Verdi schon mehrfach Busse, Trams und U-Bahnen lahmgelegt. Ist das aus Ihrer Sicht legitim bei der BVG?
Ich denke, die Berliner Probleme erforderten keinen Streik, da ging es um den bundesweiten Kontext. Ein stillstehender Bus Unter den Linden macht in den Nachrichten mehr Eindruck als einer in Pirmasens. Das ist eben Solidarität unter Gewerkschaftern. Was die Forderungen angeht, vertraue ich der Expertise meiner Gewerkschaft Verdi. Klar ist: Gute Arbeitsbedingungen, um die ja in diesem Fall gerungen wird, kosten schlicht und ergreifend Geld. Als Busfahrer im Straßenverkehr unterwegs zu sein, ist ein harter, stressiger Job, da muss auch das Umfeld stimmen. Die BVG ist ein Player in einem ausgedünnten Arbeitsmarkt und muss ihrem Personal etwas bieten, um es zu halten.
Und der Streik bei der S-Bahn?
Bei den Tarifkämpfen bei der Deutschen Bahn muss man eine Verhärtung der Positionen konstatieren. Leider sind dabei die Fahrgäste die Leidtragenden. Niemals würde ich die Tarifautonomie in Frage stellen. Allerdings fordern die Fahrgastverbände schon lange einen verlässlichen Notfahrplan. So etwas ist in Italien seit 1990 Pflicht und hat sich bewährt. Aber dazu müsste sich der Bund bewegen und im Rahmen der Daseinsvorsorge so etwas gesetzlich absichern. Mich irritiert aber auch, dass es aus dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn nur dröhnendes Schweigen zu hören gibt. Von Stefan Gelbhaar (Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Berlin und Aufsichtsratsmitglied der DB), der sonst um jeden Meter Radweg in seinem Wahlkreis kämpft, habe ich jedenfalls noch nichts gehört, wie man dieses Problem lösen könnte.
Streiks im ÖPNV sind immer ein bisschen zweischneidig. Irgendwann fangen sie an, das Bild von einem zuverlässigen Verkehrsmittel als Alternative zum Auto zu unterhöhlen.
Wenn bei der Berliner S-Bahn gestreikt wird, kann das ruhig die Stadtbahn betreffen, aber auf den Außenästen muss es noch ein Angebot geben, damit zumindest eine U-Bahn-Linie erreicht werden kann. Bei einem BVG-Streik kann der 147er bei mir um die Ecke ausfallen, d'accord. Aber es gibt Gegenden in der Stadt, da sind die Menschen ohne Notfahrplan aufgeschmissen. Da muss dann eben aus Kladow alle 20 Minuten ein Bus bis zum S-Bahnhof Spandau fahren. Auch Kliniken müssen erreichbar bleiben. Es geht um Daseinsvorsorge.
Wie soll das funktionieren?
Entweder setzt das Unternehmen Kollegen ein, die ohnehin nicht streiken, oder es vereinbart mit der Gewerkschaft, dass bestimmte Linien auch bei Streik aufrechterhalten werden. Dass so etwas zulässig ist, muss aber der Bund erst regeln. Da erwarte ich auch vom Senat, eine solche Initiative auf den Weg zu bringen.
Vor kurzem wurde eine Pünktlichkeitsbilanz des Berliner ÖPNV veröffentlicht. Die Zahlen waren so schlecht wie lange nicht. Am unpünktlichsten war 2023 ausgerechnet die Tram, die die IGEB doch als Lösung für so viele Probleme betrachtet.
Sehen Sie sich nur mal die Verlängerung der M10 an, also im Prinzip alles, was nach der Wende von der Eberswalder Straße bis heute zur Turmstraße gebaut wurde. Da ist keine Kreuzung dabei, die sauber ist. Jede ist auf ihre Art schlecht gelöst, an keiner hat die Straßenbahn Vorrang. Dann ist an kritischen Stellen die Spur nicht frei, weil sie vom Autoverkehr mitgenutzt wird, und es ergeben sich enorme Rückstaus. Das ist einfach nur erbärmlich, und da wundert mich die schlechte Pünktlichkeit in keiner Weise. Ein Freund, der in Österreich Straßenbahnplanung gemacht hat, sagte mir mal, er staune immer, welche Ressourcen Berlin für den Ausbau eines Verkehrsmittels verschleudert, das eigentlich hochleistungsfähig und schnell ist, aber in der Praxis die Lebenszeit von tausenden Menschen auffrisst.
Was könnte man denn konkret verbessern auf einer Linie wie der M10?
Wenn ich schon eine Mittelhaltestelle westlich vom U-Bahnhof Eberswalder Straße anlege, wieso dann nicht für beide Richtungen? Das ist alles so halbgar, weil man dem Autoverkehr nichts wegnehmen will. Im Großstadtalltag wird es immer genug Behinderungen geben – sagen wir mal, weil eine Touristengruppe die Bahn aufhält. Aber dass die Tram an jeder einfachen Kreuzung Vorrang hat, das geht. Aber die Verwaltung hat das nicht gewollt, egal wer am Köllnischen Park gerade regiert hat…
…dem Sitz der Senatsverkehrsverwaltung…
…und jetzt ist es am Dampfen. Frau Schreiner, die das Problem übernommen hat, verspricht nun, Vorrangschaltungen zu reaktivieren, die zur Fußball-WM 2006 eingeführt und dann wieder abgeschaltet wurden. In homöopathischen Dosen zwar, aber immerhin. Doch das kann nur der Anfang sein.
Ihr Verband schreibt, mit Vorrangschaltungen lasse sich der Personalbedarf bei der BVG „sofort um hunderte Köpfe reduzieren“. Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?
Es gibt begründete Aussagen, dass die BVG um die 300 Fahrerinnen und Fahrer anderweitig einsetzen könnte, wenn überall Vorrang gelten würde. Die BVG selbst spricht von 100. Außerdem könnten Fahrzeuge eingespart werden, und damit zum Beispiel Personal in den Werkstätten.
Das müsste doch im ureigensten Interesse der BVG sein.
Genau. Aber Sigrid Nikutta hat sich um dieses Thema zu spät gekümmert, Eva Kreienkamp (BVG-Chefin von 2020 bis 2023) war eine ziemliche Fehlbesetzung, und Rolf Erfurt (seit 2019 Vorstand Betrieb bei der BVG) hatte deshalb zu viele Baustellen. Ich hoffe, dass Henrik Falk (der neue BVG-Chef) jetzt mal auf den Tisch haut und zur Politik sagt: So nicht, Leute. Gebt mir die Ressourcen, schaltet mir die Straßen frei, dann kriege ich das auch hin. Es gibt ja noch viele andere Stellschrauben für einen effizienteren Verkehr, wir als IGEB haben da konkrete Vorschläge gemacht.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel fordern wir, für die M10 am Hauptbahnhof, aber auch an anderen kritischen Stellen im Straßenbahnnetz Gleiswechsel einzurichten.
Was heißt das?
Die Zukunft der Straßenbahn gehört den Zweirichtungsfahrzeugen. Die können dank eines solchen Gleiswechsels einfach wieder zurückfahren, wenn die Strecke durch den Marathon oder eine andere Großveranstaltung unterbrochen ist. Damit kann die Tram ihre Fahrgäste so nah wie möglich an das betroffene Gebiet heranführen. Das Netz wird dadurch resilienter, und man kann das Personal viel effizienter einsetzen.
Sie haben jetzt das frühere Führungspersonal der BVG kritisiert. In einem persönlichen Positionspapier haben Sie kürzlich vor allem mit der grünen Verkehrspolitik der letzten Jahre abgerechnet.
Ich hatte nach der Wahl 2016 große Erwartungen. Ich bin zu Zeiten eines Michael Cramer in die IGEB eingetreten – mit Leuten wie ihm bei den Grünen war völlig klar, dass der ÖPNV einen ganz hohen Stellenwert für die Verkehrswende hat. Aber dann wurde 2016 Regine Günther Verkehrssenatorin, eine Frau, die nicht kommunizieren konnte und völlig kritikunfähig war. So hat Frau Günther mich zeitweise auf Twitter geblockt, weil ich sie dort kritisiert habe – das war wirklich lächerlich. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat übrigens klargestellt, dass so etwas bei einem persönlichen Account eines Mandatsträgers nicht geht, wenn der für die politische Arbeit genutzt wird.
2021 folgte Bettina Jarasch als Verkehrssenatorin.
Ja, darauf mussten wir bis zur Wahl warten, weil die Grünen es nicht geschafft haben, Frau Günther trotz fehlender Eignung abzusägen, auch nicht nach dem viel kritisierten Rauswurf ihres Staatssekretärs, Jens-Holger Kirchner. Mit Frau Jarasch habe ich dann zum ersten Mal persönlich gesprochen, als wir uns in einem katholischen Gottesdienst begegnet sind. Die Wege des Herrn sind bekanntlich unergründlich. Sie brachte tatsächlich einen anderen Kommunikationsstil rein und rief mich auch schon mal an, um sich etwas aus unserer Sicht erklären zu lassen. Genau dazu ist die IGEB ja mal gegründet worden.
In Ihrem Papier kritisieren Sie die grüne Verkehrspolitik als „im Kern unsozial“.
Ein harter Satz, ich weiß. Aber wissen Sie, auch wenn ich von meinem Habitus klar zur Mittelschicht gehöre, bezeichne ich mich auf meinem X-Account als „Briefträger mit Abitur“, und ich kenne durch meinen Beruf viele systemrelevante Leute. Das ist eben nicht nur die berühmte Krankenschwester, sondern auch der Briefzusteller oder die Verteilkraft bei der Post. Und ich kenne deren Arbeitswege. Diese Leute haben vielleicht Kinder und leben in einer Großsiedlung am Stadtrand, das sind berlinweit hunderttausende Menschen, die hart produktiv arbeiten und bei den Grünen nicht im Fokus stehen.
Für mich ist klar: Verkehr ist nicht nur Ökologie, sondern auch angewandte Sozialpolitik. Da beziehe ich mich auch gern auf die katholische Soziallehre, die sagt, dass ich den Menschen Möglichkeiten geben muss. In diesem Fall heißt das, sie müssen gut an ihren Arbeitsplatz kommen. Der Wohnungsmangel führt ja auch dazu, dass Arbeitswege immer weiter werden: Wenn ich eine bezahlbare Wohnung im Märkischen Viertel finde, nehme ich die, auch wenn ich in Adlershof arbeite.
Und die Grünen sehen das nicht?
Manche von ihnen sagen mir Dinge wie: „10 Kilometer auf dem Fahrrad sind für den Alltag normal.“ Das mag für einige gelten, aber nicht unbedingt für die alleinerziehende Mutter, die im Falkenhagener Feld wohnt und in Schöneberg im Schichtdienst arbeitet. Maximal kann ich hoffen, dass die mit dem Rad zur Haltestelle fährt.
Ist es ein Problem, dass Verkehrssenatorin Schreiner ebenso wenig wie ihre Vorgängerinnen vom Fach ist?
Nein, entscheidend sind die Staatssekretäre und Abteilungsleiter. Die müssen Ahnung haben. Mit einer Person an der Spitze, die Generalist ist und Akten frisst, die sich einarbeitet und zuhören kann, habe ich überhaupt kein Problem. Es muss auch einen Bänderdurchschneider geben, der die Politik dann verkauft.
Von den Magnetschwebeträumen der CDU halten Sie aber auch nicht viel, oder?
Die CDU kann, was die Grünen nicht können: sich als Macherpartei darstellen. Magnetschwebebahn, das klingt für viele hip und modern, aber es lenkt von den tatsächlichen Problemen ab, etwa davon, dass wir dringend den Berliner Nordosten erschließen müssen. Ich glaube aber, dass die Senatorin sich von der populistischen Verkehrspolitik ihrer Fraktion freischwimmen will. Das Schreiner-Bashing mache ich nicht mit, ich bin von ihr in der Summe angenehm überrascht.
Auch davon, dass Schreiner die Tempo-30-Abschnitte auf Hauptverkehrsstraßen massiv reduziert?
Natürlich will sie sich auch mit der Rückkehr zu Tempo 50 profilieren, aber da erfüllt sie einfach die Agenda, für die die CDU gewählt worden ist. Das kann man ihr nicht vorwerfen. Trotzdem verstehe ich die Befürchtungen vieler Menschen, dass der Ausbau der Radinfrastruktur stockt oder gar fallen gelassen wird.
Sie haben nicht den Eindruck, dass die Mobilitätswende zurückgedreht werden soll?
Ich habe den Eindruck, dass dem Mobilitätsgesetz eine zarte Novellierung durchaus guttun würde, auch im Abschnitt zur Entwicklung des Radverkehrs. Ein Gesetz ist ja etwas Lebendiges.
Da schreit jetzt die Fahrrad-Bubble auf.
Soll sie. Ich bin eben der Sprecher eines Fahrgastverbands, da liegen mir die Interessen der Fahrgäste näher als die der Radfahrer. Wobei ich natürlich weiß, dass auch unter den Fahrgästen viele Radfahrer sind. Und ich bin definitiv kein Fahrradhasser, mir geht es nur um Ausgewogenheit. Wenn auf der Kantstraße ein Pop-up-Radweg angelegt wird und dann der Expressbus nach Spandau im Stau steht, macht mich das stinkig. Oder wenn der Schienenersatzverkehr für die Nordsüd-S-Bahn nicht mehr am Bahnhof Oranienburger Straße halten kann, weil das Bezirksamt die Tucholskystraße unabgestimmt zur Fahrradstraße umgewidmet hat.
Ihr Verhältnis zu den RadaktivistInnen soll ja nicht so gut sein.
Das bezog sich in erster Linie auf Heinrich Strößenreuther…
…den Initiator des Volksentscheids Fahrrad.
Der hat mich gleich bei unserer ersten Begegnung 2016 im Rahmen eines Streitgesprächs mit einer Unmenge von Beleidigungen überschüttet, das verstieß gegen jede bürgerliche Konvention. Anlass war, dass die IGEB auf seine Forderung nach einem „Gesetz zur Förderung des Radverkehrs“ mit einer Pressemitteilung antwortete: „IGEB begrüßt Initiative für Fahrradverkehr, kann den Gesetzentwurf aber nicht unterstützen“. Richtigerweise gab es dann auch kein sektorales Radverkehrsgesetz, sondern ein Mobilitätsgesetz.
Die IGEB hat eine beachtliche Außenwirkung, aber nur rund 200 Mitglieder und zwei Dutzend Aktive. Warum zieht das Thema nicht so viele Menschen an wie das Fahrrad?
Das Fahrrad ist halt hip, als Radfahrer bin ich selbst aktiv, unabhängig und zumindest auf kurzen Wegen schneller. Beim ÖPNV bin ich quasi nur passiver Nutzer. Ich gebe auch zu, dass der Einsatz für den ÖPNV manchmal fast sektiererisch wirken kann, wobei unsere Arbeit gar nicht so viel mit den Expertenforen zu tun hat, an die da viele gleich denken. Herr Strößenreuther hat mich als Pufferküsser bezeichnet. Das bin ich nicht. Auch wenn ich in den 80ern mal unerlaubterweise eine S-Bahn nach Oranienburg gefahren habe, weil mein Onkel Triebfahrzeugführer war. Ich will ganz einfach – Achtung, jetzt wird es pathetisch – eine funktionierende Stadt.
Aber Sie hatten schon sehr früh einen Bezug zum Thema, oder?
Ja, es gibt da eine gewisse frühkindliche Prägung durch ein großes, privat gebautes Straßenbahnmodell aus der Zeit um 1930, das in der Familie weitergereicht wird und das in meinem Wohnzimmer einen Ehrenplatz hat. Das bekommt mal mein kleiner Neffe, die Erbfolge ist klar geregelt (lacht).
Machen Sie eigentlich dort Urlaub, wo besonders interessante Trams fahren?
Nö. Ich bin ein Kulturmensch: Ich fahre zum Beispiel nach Wien und gehe ins Konzert eines Freundes. Aber natürlich fallen mir anderswo Dinge auf. Für mich als Gehbehinderten ist die Pariser Metro mit ihren endlosen Wegen und Treppen ein einziger Graus. In Turin habe ich beobachtet, wie die schicke neue U-Bahn die Straßenbahn kannibalisiert hat. Und beim Zugfahren in den USA war ich erstaunt, was für eine bauliche Katastrophe viele Bahnhöfe sind. In Chicago liegt der Bahnsteig auf Schienenhöhe! Aber die Angestellten kompensieren das durch ein extrem hohes Maß an Zugewandtheit und Hilfsbereitschaft.
Sie müssen ja qua Amt über den hiesigen Nahverkehr meckern. Aber viele BesucherInnen sagen oft, wir wüssten gar nicht, wie gut wir es hätten.
Die Wahrheit liegt wohl auch da wieder in der Mitte. Viele Probleme im Nahverkehr sehen die Gäste nicht, denn die liegen oft außerhalb des S-Bahn-Ringes. Unser Hauptproblem in Berlin ist und bleibt aber, dass wir uns selbst ausbremsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“