piwik no script img

Berliner Mie­te­r:in­nen organisieren sichMit vereinten Kämpfen

Durchs Vorkaufsrecht werden Mie­te­r:in­nen zu professionellen Ak­teu­r:in­nen und buhlen um gemeinwohlorientierte Käufer.

Protest in der Walpurgisnacht 2021 in Berlin Foto: Imago

BERLIN taz | Ist das also das Ende? Verena Ley holt tief Luft – fast so, als hätte sie seit Langem überhaupt mal wieder die Gelegenheit dazu: durchzuatmen. „Tatsächlich brauchen wir alle erst einmal eine Pause“, sagt die 33-Jährige dann. Nachdem sie am 15. April vom Verkauf der Häuser in der Weddinger Max- und Reinickendorferstraße erfuhr, kämpften sie und ihre Nachbarschaft für die Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts. Zwei Wochen lang, im Schnitt vier Stunden pro Tag.

Am Abend der Walpurgisnacht saßen Ley und 15 Nach­ba­r:in­nen dann im Zoomcall mit Ephraim Gothe, Baustadtrat des Bezirk Mitte. Der Anlass: Die Mähren AG hatte die Abwendungsvereinbarung unterschrieben und wurde tatsächlich Eigentümer der Maxgärten. Das Ringen um die Kommunalisierung war verloren. Aus Angst vor Konsequenzen möchte Ley ihren echten Namen lieber geheim halten.

Die Spuren des Kampfes sind geblieben: als Infoflyer, der in fünf Sprachen über den Verkauf der Maxgärten informiert. Als Telegramgruppe, in der sich die 120 Mitglieder so rege austauschten, dass Ley zwischenzeitlich kaum folgen konnte. Oder als Twitter-Account, auf dem die Mitteilung „Vorkaufsrecht jetzt!“ in einer Art Corporate Design samt Maxgärten-Logo prangt. „Es ist absurd“, sagt Ley, „man hat das Gefühl, es bräuchte all das, um wirklich Aufmerksamkeit zu bekommen.“

Ist das so? Denn eigentlich ist es doch seltsam: Da gibt es das Vorkaufsrecht der Bezirke – ein Instrument, das der Spekulation einen Riegel vorschieben soll: Gemeinwohlorientierung statt Luxussanierung. Wohnraum für die Mietenden, nicht als Ware.

„Dein Leben als Mie­te­r:in ist nach der Vorkaufsrechtsphase ein anderes. Wenn du dich organisierst und kämpfst, dann bist du nie ein Verlierer.“

Sandrine Woinzeck

Aber was durch die Vorkaufsrechtsprüfung passiert, will nicht so richtig zum Wohlfahrtsgedanken passen: Mie­te­r:in­nen geben sich griffige Namen, entwerfen Logos und richten Mail-Verteiler ein. Auf Deutschlandfunk Nova erklärt ein Mieter, wie die Hobrecht59 ihr Nachbarschaftsmaskottchen fand; die LeineOderbleibt informiert Interessierte auf ihrer eigenen Homepage. Und die Urban67 beginnt ihren selbstproduzierten Nachbarschaftsfilm mit einem Drohnenflug über ihr Haus.

Die Kämpfe um die Kommunalisierung werden wie Kampagnen geführt. Das wirft Fragen auf: Sind Logos und Social-Media-Accounts wirklich der einzige Weg, damit Bezirke ihr Vorkaufsrecht nutzen? Was machen Nachbarschaften ohne diese Ressourcen? Und was bleibt von den Kämpfen übrig, wenn alles entschieden ist?

Schon 65 Milieuschutzgebiete

Klar ist: Vom Vorkaufsrecht profitieren können nur Mie­te­r:in­nen in den 65 Berliner Milieuschutzgebieten. Deren Ziel ist es, die soziale Zusammensetzung zu schützen. Das Vorkaufsrecht ist dabei bloß das Ende einer Kalkulation. Im Jahr 2019 ging die so: 2.427 Euro kostet der Quadratmeter für städtische Wohnungsbaugesellschaften, wenn sie neuen Wohnraum für verdrängte Mie­te­r:in­nen schaffen. Wird ein Haus durchs Vorkaufsrecht erworben, sind es nur 2.403 Euro.

Erfährt der Bezirk von einem Eigentümerinnenwechsel, hat er zwei Monate Zeit, um einen alternativen Käufer zu finden – häufig sind das landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, aber auch Genossenschaften und Stiftungen kommen infrage. Im Jahr 2020 stemmten die Letzteren beiden sogar die Hälfte der Vorkaufsfälle.

Erklärtes Ziel der Bezirke ist allerdings die Abwendungsvereinbarung, die kostet gar keine Steuergelder. Wie bei den Maxgärten geschehen, sichert der Käufer darin etwa zu, auf Eigentumsumwandlungen zu verzichten. 2020 ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr von 61 auf 143 gestiegen, während die Vorkaufsfälle von 27 auf 18 gesunken sind. Weil die Abwendungsvereinbarung aber höchstens 20 Jahre gilt und Mie­te­r:in­nen den Immobilienunternehmen misstrauen, ist sie für viele keine beliebte Option.

Ich hatte das Gefühl, das ist die Chance, kommunal oder Teil einer Genossenschaft zu werden. Das wäre mein absoluter Traum“, sagt June Kiesl. Sie wohnt seit sechs Jahren in den Maxgärten, ihren echten Namen möchte sie ebenfalls nicht verraten. Im sonnenlichtgefluteten Innenhof blicken sie und Verena Ley auf viele Satellitenschüsseln, fast jede scheint in eine andere Himmelsrichtung zu zeigen. Die Nachbarschaft sei noch durchmischt und mit über 700 Leuten ziemlich groß, sagt Kiesl. Miteinander etwas zu tun gehabt habe man vorher nicht.

Das änderte sich Mitte April, als Kiesl und Ley die Mitteilung über den Verkauf aus dem Briefkasten holten. Am selben Tag hatte Karlsruhe den Mietendeckel gekippt – ein Doppelschlag, wie Ley sagt. Nachmittags gingen beide von Wohnungstür zu Wohnungstür. Ihnen war klar: Die Maxgärten müssen aktiv werden. Auf die erste Versammlung stimmten sich die Mie­te­r:in­nen dann auf den Balkonen ein: Gemeinsam schlugen sie Töpfe und Geschirr scheppernd zusammen. Lärm machen als nachbarschaftskonstituierendes Moment. „Die Gruppendynamik war der Wahnsinn“, sagt Ley.

Schnell waren vier AGs gegründet: Vernetzung mit der Politik, Pressearbeit, Aktionen planen und Käuferinnen suchen. „Wir haben den Genossenschaften geschrieben, coronakonforme Besichtigungen angeboten“, sagt Kiesl. Ein Nachbar habe währenddessen das Logo entworfen, das die minimalistischen Umrisse der Maxgärten zeigt. „Wir hatten keine andere Chance, als alles zu tun, was möglich ist“, so Ley.

Welcher Weg führt zum Ziel?

Nur welche dieser Maßnahmen ist nun der erfolgversprechendste Weg? Anruf bei Sandrine Woinzeck, Mitgründerin von Häuser bewegen. Das Projekt ging 2018 aus dem Kampf der AmMa65, einem Häuserkomplex an der Ecke Amsterdamer Straße/Malplaquetstraße, hervor und berät unter anderem in Sachen Vorkaufsrecht – auch die Maxgärten. „Ich rate allen Mieter:innen, ein Exposé der Wohnungen zu erstellen“, sagt Woinzeck. Diese würden von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften dringend benötigt, um über einen Kauf entscheiden zu können. Der entscheidende Vorteil: Hat die Nachbarschaft erst einmal eine Übersicht der Mietzahlungen und Wohnungsausstattungen zusammengestellt, kann sie selbst Käufer suchen.

Hausverkäufe in Milieuschutzgebieten

Das Vorkaufsrecht kann von den Bezirken in den insgesamt 65 Berliner Milieuschutzgebieten ausgeübt werden. Anstelle des Immobilienunternehmens kaufen landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften oder Stiftungen das Haus. Allerdings wird ihr Erwerb aufgrund der hohen Preise immer unwirtschaftlicher. Der Senat kann zehn Prozent des Kaufpreises bezuschussen. In dieser Legislaturperiode wurden die Gelder noch einmal aufgefüllt: Seit 2020 stehen 70 Millionen Euro bereit.

Die Abwendungsvereinbarung ist meist das eigentliche Ziel der Bezirke, das durch die Option des Vorkaufs erwirkt werden soll. Das Immobilienunternehmen sichert dabei etwa zu, auf einen Abriss, Luxussanierungen oder Eigentumsumwandlungen zu verzichten. Dies gilt allerdings nie länger als 20 Jahre.

Häuser bewegen ist ein 2018 gegründetes Projekt der Mie­te­r:in­nen des Weddinger Hauses AmMa65. Diese beraten Nachbarschaften während der Vorkaufsrechtphase, aber auch schon zuvor: Will eine kleine Eigentümerin ihr Haus verkaufen, vermittelt Häuser bewegen an gemeinwohlorientierte Käufer. Die Zukunft des Projekts ist aufgrund fehlender Finanzierung durch einen Bezirk offen. (jha)

Bei den landeseigenen Wohnugsbaugesellschaften und Genossenschaften nachgefragt, merkt man schnell: Das lohnt sich. Denn während nahezu alle Bezirke angeben, nur die ihnen zugewiesenen Wohnungsbaugesellschaften anzufragen, erklären die Gewobag sowie Stadt und Land, dass Käufe außerhalb ihrer Bezirke durchaus denkbar wären.

Noch seltener fragen Bezirke bei Genossenschaften an. Melden sich Mie­te­r:in­nen schließlich selbst, fehle es vor allem an Zeit und Informationen, so eine Sprecherin des Zusammenschlusses der Wohnungsbaugenossenschaften Berlin. Da kommt es schon mal vor, dass ein beschlossener Kauf knapp an der Zweimonatsfrist scheitert. Oder der Erwerb von vornherein zu riskant scheint, weil Infos zum Gebäudezustand fehlen. Wer eine Chance haben will, sollte darum vor allem eines sein: schnell.

Wer gar nicht kämpfen könne, habe dennoch nicht gleich verloren, sagt Sandrine Woinzeck. „Das Vorkaufsrecht ist gerechter, als es scheint. Es wurden schon Häuser gekauft, ohne dass jemand gekämpft hat“, so Woinzeck. Und dann gebe es Fälle, wo sich eine einzige Person für die ganze Nachbarschaft eingesetzt habe und Erfolg hatte.

Das Lärmmachen, Logosgestalten und Filmeproduzieren ist also nicht das Entscheidendste – auch wenn es Aufmerksamkeit verschafft und Druck auf den Bezirk ausüben kann. Vor allem aber wachsen die Mie­te­r:in­nen so zu etwas zusammen, das sie wehrhaft macht: eine Nachbarinnenschaft, die sich unterstützt und gemeinsam vorgeht, sollten üble Schreiben ins Haus flattern.

„Dein Leben als Mie­te­r:in ist nach der Vorkaufsrechtsphase ein anderes. Wenn du dich organisierst und kämpfst, dann bist du nie ein Verlierer“, so Woinzeck von Häuser bewegen. Zwar ging ihre Weddinger AmMa65 ebenfalls an die Mähren AG, doch diese verkaufte das Haus nach nur einem Jahr an die kommunale Stadt und Land. Mit ihrem Projekt Häuser bewegen beraten sie nun seit über drei Jahren etwa zwei Häuser pro Monat. Und nachdem ein schwedisches Immobilienunternehmen im vergangenen Jahr über 130 Häuser kaufte, schlossen sich diese bezirksübergreifend zur Initiative Stop Heimstaden zusammen.

Auch Verena Ley von den Maxgärten ist sich sicher: Der Marathon ums Vorkaufsrecht sei zwar vorbei, nach kurzer Verschnaufpause soll es aber weitergehen. Ein Hoffest sei schon geplant, sagt sie, auch mit anderen Häusern der Mähren AG habe man sich vernetzt. Die Mie­te­r:in­nen sind sich einig: Sie wollen widerständig bleiben, gemeinsam. Das ist kein Ende, das ist ein Anfang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen