Berliner Grüne: Ein wirkliches Urgestein
Wolfgang Wieland war ein prägender Landes- und Bundespolitiker der Grünen. Nun ist er mit 75 Jahren gestorben.

Um richtig einschätzen zu können, wer da jetzt nicht mehr ist, hilft der Blick des politischen Gegners. Umso mehr, wenn der von der CDU kommt und zu Zeiten agierte, als Politiker beider Parteien noch längst nicht regelmäßig Kaffee zusammen tranken oder miteinander regierten. „Das war kein Feind im eigentlichen Sinne, das war ein anerkannter Kollege“, sagte der taz am Mittwoch Klaus-Rüdiger Landowsky, als Fraktionschef der eigentliche starke Mann der CDU bis zum Bankenskandal 2001.
Die Wortgefechte der beiden gehörten zum Besten, was das Abgeordnetenhaus seit Jahrzehnten zu bieten hat und waren meilenweit vom puren Reden-Ablesen vieler Abgeordneter damals wie heute entfernt. „Marx ist tot, Lenin ist tot – und Sie sehen auch schon ganz blass aus, Herr Wieland!“, hielt ihm Landowsky etwa mal entgegen. Was Wieland oft genug rhetorisch glänzend konterte.
Wieland mochte das nicht so gedruckt lesen, aber dass er sich 2004 nach 16 Jahren aus dem Abgeordnetenhaus verabschiedete, hatte auch etwas damit zu tun, dass er solche Rededuelle und damit auch Landowsky vermisste. „Ich habe mich, als ich nicht mehr Fraktionsvorsitzender war, mehr gelangweilt, als ich es mir vorstellen konnte“, sagte er der taz, bevor er sich als Spitzenkandidat bei der Brandenburger Landtagswahl versuchte.
Innenpolitiker und NSU-Aufklärer im Bundestag
Dort scheiterte er zwar bei dem Versuch, die Grünen in Potsdam ins Parlament zu bringen. Er selbst aber wurde auf einer anderen Ebene erneut Abgeordneter und bis 2013 eine gewichtige Stimme als Innenpolitiker und NSU-Aufklärer im Bundestag. Dort begegnete er auch der späteren Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) wieder, die ihn schon aus dem Abgeordnetenhaus kannte. „Ich habe viel von ihm gelernt“, erinnerte sie sich gegenüber der taz an den Mann, der regelmäßig bei ihrer Geburtstagsfeier war. Warum? „Weil er seine Meinung, auch wenn sie von meiner abwich, so gut begründen konnte.“ Wieland sei weder missionarisch noch ideologisch aufgetreten – „Er überzeugte, weil er intellektuell so gut war.“
In seiner Partei machte man sich das zunutze, wenn die Argumente ausgetauscht, die Fronten komplett verhärtet waren und Annäherung kaum möglich schien. Wieland wurde als Moderator und Mediator gerufen und trug etwa viel dazu bei, dass sich die Grünen-Fraktion nach der Wahl-Enttäuschung von 2011 nicht spaltete.
Der Grünen-Landesvorstand beschreibt Wieland in einer Pressemitteilung kaum anders als die CDU-Politikerin Grütters: „Berlin verliert einen der Menschen, die in der Lage waren, Orientierung zu geben. Einen Staatsmann, an dem sich viele ausgerichtet haben, und nach dessen Reden am liebsten auch die anderen Fraktionen geklatscht hätten, weil er einfach überzeugt hat.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden