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Berliner Einmannverlag mit NischeVom Lesen überzeugt

Sebastian Guggolz macht, was sich nicht rechnet: Bücher von vergessenen Autoren, in Miniauflagen. Er fühle sich „erfüllt“, sagt der Verleger.

Sebastian Guggolz mag es, „wenn es knarrt in den Büchern“ Foto: Stefanie Loos

Als sich Sebastian Guggolz an einem strahlend schönen, aber kühlen Herbstmorgen an einen kleinen Tisch ins Schaufenster seines Ladenbüros in Schöneberg setzt, macht sich ein Grinsen in seinem Gesicht breit, das während des gesamten Gesprächs dort bleiben wird. Die Nachricht ist auch noch ganz frisch: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sein Verlag einer von den 63 Verlagen deutschlandweit ist, die 15.000 Euro von Kulturstaatsministerin Monika Grütters geschenkt bekommen werden.

„Zum ersten Mal wird der Deutsche Verlagspreis verliehen, und ich bin gleich dabei“, freut sich Guggolz. Drei dieser 63 Verlage, von denen immerhin 24 ihren Sitz in Berlin haben, werden sogar 60.000 Euro erhalten – aber welche, das wird erst am 18. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben. Ob er dabei ist? „Ach nein“, Sebastian Guggolz schlägt bescheiden die Augen nieder. „Dafür bin ich noch zu jung“, sagt er. „Das hätten andere, die schon viel länger dabei sind, mehr verdient.“

Seit gerade mal sechs Jahren gibt es den Ein-Mann-Verlag Guggolz in Berlin. Bislang sind nur 24 Bücher erschienen. Alle Titel stammen von Autorinnen und Autoren aus Nord- und Osteuropa, die schon lang tot sind. Viele davon wurden irgendwann einmal ins Deutsche übertragen, sie gehören eigentlich zum Kanon, haben Preise gewonnen, einer sogar den Nobelpreis – und dann, völlig zu unrecht, sind sie in Vergessenheit geraten.

Sie haben quasi nur darauf gewartet, wieder ausgegraben und schlau verkauft zu werden. Das macht den Guggolz Verlag zu einem der aufregendsten dieser Stadt.

Bücher zu einem moderaten Preis

Man sieht es schon im Laden des Verlags in der Gustav-Müller-Straße, wie dieser Verleger tickt. „Die Bücher sollen so schön wie möglich sein“, sagt Guggolz mit Blick auf das kleine Regal am anderen Ende des Büros, in dem ausschließlich seine Bücher stehen. Die erscheinen immer im selben Format, ohne Schutzumschlag, dafür mit dieser Haptik, die an Packpapier erinnert, mit gedeckten Schmuckfarben in Siebdrucktechnik, Fadenbindung und Lesebändchen sowieso – und das Ganze für den moderaten Preis von 20 bis 24 Euro. „Eigentlich müssten diese Bücher das Doppelte kosten“, sagt der 1982 geborene Guggolz und lacht glucksend. Sein Geschäftsmodell ist schlau berechnet, er muss ja nicht mehr bei der Feilscherei um Autorenhonorare mithalten, hat also mit seinen bereits toten Autorinnen und Autoren eine spannende Lücke aufgestöbert, die für ihn geht. Und trotzdem muss er Nebenjobs machen, die ihm die Miete zahlen. Er scheint damit derart zufrieden, dass es schon stutzig macht.

Diese Selbstgewissheit kommt daher, dass die Titel von Guggolz von einem roten Faden zusammengehalten werden, sehr viel reißfester, als ihm anfänglich selbst klar war. Seine Autorinnen und Autoren haben meist keinen bürgerlichen Hintergrund – und schreiben auch nicht übers Bürgerliche. Viele sind in oft kinderreichen Bauernfamilien groß geworden, kennen also noch das so genannte einfache, ländliche Leben mit allem, was daran idyllisch und was elend war. Ein Leben, das sie aber durch ihren Lebensweg oder die Umbrüche der Zeit verloren haben.

Das mitzuerzählen ist Guggolz wichtig, dafür sucht oder bestellt er auch für jedes seiner Bücher ein aussagekräftiges Nachwort.

Sebastian Guggolz liebt es, „wenn es knarrt in den Büchern“ – wenn die Geschichten brechen, aber unbedingt auch die Sprache. Das ist ihm wichtig. Oft findet er liebliche oder anders verwaschene Übersetzungen und er sucht dann nach einer neuen, die den harten Kern des Buches transportiert. Die Übersetzer stehen auch immer auf dem Titel.

Umbrüche und Verlusterfahrung

Natürlich werden die Bücher, die bislang bis auf eine Ausnahme nicht im billigen Taschenbuchformat erschienen sind, schon eher von Oberstudienräten gelesen als von jungen Leuten in prekären Arbeitsverhältnissen, gibt Guggolz zu. Einmal hieß es in einem Artikel, Guggolz wende sich von der Gegenwart ab, er sei kulturkonservativ – aber das stimmt nicht. „Unsere Zeit ist genauso geprägt von Umbrüchen und Verlusterfahrungen wie der Beginn der Moderne“, sagt er. „Darum sind meine Bücher so intensiv.“

Er hat recht. Der Kampf gegen Klimawandel und Verdrängung, Rechtspopulismus und Rassismus allerorten: Während viele hier und heute laut nach Heimat rufen, wissen andere nicht mehr, wie sie ihre Sehnsucht nach Entschleunigung und Verbundenheit noch ausdrücken sollen. Die Bücher von Sebastian Guggolz sind weder nostalgisch noch verklärend. Sie sind zeitgemäß, politisch, sie sind brisant.

Die Guggolz-Karte mit den jeweiligen Orten, wo die Geschichten der Bücher spielen Foto: Stefanie Loos

Zum Beispiel das erste Buch, das Sebastian Guggolz verlegt hat: Der Roman „Frommes Elend“ des vergessenen finnischen Nobelpreisträgers Frans Eemil Sillanpaä (1888–1964) erzählt die Geschichte eines alkoholkranken Bauern, seiner Magd und deren Sohn. Nach einer Hungersnot verliert die Familie den Hof, der ihr seit seit 400 Jahren gehört. Der Sohn wird erst Waldarbeiter, dann Knecht und Kleinpächter, schließlich gerät er in die Wirren des finnischen Bürgerkriegs. Eine Figur ohne jede Chance, ein Buch über brutale Armut.

Andere Beispiele: Ein aktuelles Buch, für das Sebastian Guggolz derzeit in den Feuilletons gefeiert wird, ist „Das Eis-Schloss“ des norwegischen Autors Tarjei Vesaas (1897–1970), der sich weigerte, den Hof des Vaters zu übernehmen, stattdessen Europa bereiste und sich dann wieder in seiner Heimatgemeinde niederließ. Sein Roman handelt in klirrend kurzen, konzentrierten Sätzen von zwei elfjährigen Mädchen, die sich näher kommen und dann verlieren, in einem kleinen Dorf, wo keinem etwas entgeht und doch viel übersehen wird, wo jeder jeden auffangen mag und trotzdem Menschen verschwinden.

Oder dieses Buch: „Ein Flüchtling kreuzt seinen Weg“ von Aksel Sandemose (1899–1965), einem gebürtigen Dänen, der seine Heimat früh verließ, Seemann wurde, Holzfäller in Neufundland, Schriftsteller in Kopenhagen – um bei Veröffentlichung des Romans 1933 in Norwegen zu leben, dem Land seiner Mutter. Auch hier geht es um kleine Gemeinschaften, die aber dermaßen eng sind, dass man nur wütend gegen sie anschreien kann. Diesen Roman bezeichnet Sebastian Guggolz mit glühender Begeisterung als eines seiner „Lebensbücher“.

Gesellschaftliche Relevanz

Guggolz, der Überzeugungstäter. Ein Verleger, der an die Schönheit seiner Bücher glaubt. Und noch mehr an ihre gesellschaftliche Relevanz.

Und gleichzeitig: Guggolz, der Mann mit dem Bodenkontakt und einer sympathischen Bescheidenheit. Gleich nach dem Satz mit dem Lebensbuch erzählt er, dass es ihn sehr erstaunen würde, wenn er von diesem Titel mehr als 2.000 Exemplare verkauft. Bislang haben das nur zwei seiner Bücher geschafft, die anderen blieben bei 800 bis 1.500 Exemplaren. Und so rechnet sich das: Zwischen 5 und 7 Prozent des Ladenpreises fallen für die Rechte jener Autoren an, die noch keine 70 Jahre tot sind, das sind bei Guggolz um die 1.000 Euro. Dann schießt das nationale Kulturinstitut oder ein Ministerium des Herkunftslandes für die Übersetzungen etwas zu, zwischen 40 und 90 Prozent meistens, und Übersetzungen sind teuer, wenn man sie wie Guggolz mit etwa 25 Euro pro Seite anständig bezahlt. Nach Abzug der 40 Prozent für den Buchhändler, etwa 20 Prozent für die aufwendige Herstellung, Geld für die Auslieferung und die Vertreter, Miete, Internet, Telefon und Portokosten bleiben an Schluss für Sebastian Guggolz „einstellige Eurobeträge“ pro Buch, wie er sagt.

Kann man also in Zeiten von Digitalisierung und schwindenden Leserzahlen wirklich nur noch so einen Kleinverlag führen, quasi als Hobby in einer kleinen Nische, und mit viel Enthusiasmus und Wertschätzung statt Lohn?

„Ich weiß es nicht“, sagt Guggolz mit einem verschmitzten Schulterzucken. Was er aber sicher weiß: Er ist sogar froh darüber, dass er seinen Erfolg nicht von den Bilanzen abhängig machen muss. Als er den Verlag gründete, erzählt er, musste er die 50.000 Euro fürs Startkapital bei Verwandten und der Hausbank des Vaters borgen. Und als ihm nach zwei Jahren die Puste ausging, 2016 war das, da machte Guggolz bei einem Fernsehquiz bei Johannes B. Kerner mit, nebst illustrer B-Prominenz er, der belesene Mann von der Straße. Guggolz schlug sich mit Bravour: Er wusste zwar nicht, dass der Pazifik größer ist als der Atlantik, aber sonst fast alles. Er blieb stets aufgeräumt und höflich. Mit den 250.000 Euro, die er gewann, bezahlte er seine Schulden – und die nächsten Übersetzungen.

Ohne den Kanon der Weltliteratur

Wie kommt es, dass sich Sebastian Guggolz so sicher ist in dem, was er tut? Dass er immer wirkt, als würde irgendwas in ihm leuchten, auch wenn er von Peinlichkeiten und Misserfolgen spricht? Wie kann sich einer so sehr auf die eigene Intuition verlassen und sich dabei so wenig um seine Zielgruppen scheren?

Der Marktplatz für Bücher

Die Messe: Neben vielen weiteren Berliner Verlagen ist auch der Guggolz Verlag auf der Frankfurter Buchmesse zu finden, und zwar in Halle 4.1, F77. Mit einem Stand vor Ort vertreten bei der größten und wichtigsten Buchmesse Deutschlands ist traditionell ebenfalls die taz (Halle 4.1, D28).

Am Start: Die Buchmesse beginnt am 16. Oktober und dauert bis 20. Oktober. Der „weltweite Mittelpunkt der Medien- und Publishing-Branche mit innovativen Technologien und Weltliteratur zum Anfassen“ will man an diesen fünf Tagen sein. Diesjähriges Gastland ist Norwegen. Während der Buchmesse wird neben dem Deutschen Buchpreis, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und weiteren Branchenauszeichnungen auch – erstmals – der Deutsche Verlagspreis verliehen.

Sebastian Guggolz berichtet, wie er mit vielen Geschwistern in einem Bauernhaus groß geworden ist, die Eltern Lehrer und Erzieherin, aber anders als andere antiautoritär und auch ohne den Kanon der Weltliteratur im Schrank. „Ich weiß, was Langeweile ist“, sagt er heute, „und ich weiß, wie wichtig es ist, sich die Welt selbst zu erobern.“

2006, Sebastian Guggolz war Mitte Zwanzig und wollte gerade promovieren, kam er erst als Praktikant, dann als Volontär und schließlich als Lektor zu Matthes & Seitz, einem heute viel beachteten Verlag. Eine seiner ersten großen Arbeiten bei dem damals noch kleineren Verlag waren die Gulag-Erzählungen des russischen Schriftstellers Warlam Schalamow – Weltliteratur für einen, der gerade eben so kein Teenager mehr war.

„Wir konnten damals das Tollste machen“, sagt Guggolz. Aber dann wollte Andreas Rötzer, der Verleger von Matthes & Seitz, größer werden, es kamen mehr Mitarbeiter hinzu und hin und wieder auch provokante Titel, die Guggolz nicht mochte. Er entschied sich für den eigenen Verlag.

Eine Art Posterboy

Inzwischen wird Guggolz wahrgenommen. Er ist sogar ein Posterboy der etwas anderen Art der deutschen Literaturszene geworden. Nicht nur, dass er vor wenigen Tagen eben diesen Deutschen Verlagspreis bekommen hat. Davor gab es für ihn bereits den mit 26.000 dotierten Preis für Kleinverlage der Kurt-Wolff-Stiftung und auch den undotierten, aber dennoch begehrten Preis der Übersetzerbarke vom Verband deutscher Übersetzer.

Sicher käme Sebastian Guggolz inzwischen irgendwo in einem anderen Haus unter, wenn er mit dem Verlag nicht mehr weiter wüsste.

Umso leichter fällt ihm die Entscheidung, mit seinem Verlag gar nicht wachsen zu wollen. Wer ganz allein für sich Bücher für einen harten Kern macht, der braucht sich weder Sorgen um Mitstreiter noch um schrumpfende Leserschaften zu machen.

Und Sebastian Guggolz braucht keine freien Wochenenden. Auch die fünf Stunden Schlaf, zu denen er wegen seines Lesepensums höchstens kommt, reichen ihm. Trotzdem fühle er sich nie in die Zange genommen, er fühle sich, sagt Guggolz, „erfüllt, so kitschig das klingt“.

Und sollte er doch einmal dazu kommen, sich je nach Wetter einfach in die Sonne oder die Wanne zu legen: Er würde es sicher nicht ohne ein gutes Buch tun.

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