Berlin will Bund-Länder-Gipfel zu Moria: „Nein“ ist keine Antwort

Berlins Innensenator will mit Bundesratsinitative und Krisengipfel den Druck auf den Bund erhöhen, mehr Menschen aus Moria aufzunehmen.

Provisorisches Camp Mytilini

Provisorisches Camp in Mytilini für die obdachlos gewordenen Flüchtlinge aus Moria Foto: picture alliance/Petros Giannakouris/AP/dpa

BERLIN taz | Auf allen Ebenen versuchen BerlinerInnen und BrandenburgerInnen, dem „Nein“ von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zur Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen aus Griechenland etwas entgegen zu setzen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) schlug am Wochenende per Tagesspiegel einen Krisengipfel von Bund, Ländern und Kommunen vor.

Gefragt sei ein abgestimmtes und schnelles Vorgehen, um das Leiden der Menschen in den griechischen Lagern zu beenden. „Der Bundesinnenminister muss sich mit den hilfsbereiten Ländern, Städten und Kommunen endlich an einen Tisch setzen.“ Geisel reist an diesem Montag nach Athen, um mit Vertretern der griechischen Behörden, des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und Hilfsorganisationen Einzelheiten auszuloten für die Aufnahme von Flüchtlingen über ein Landesprogramm.

Mit der aktuellen Situation auf der Insel Lesbos, wo nach Bränden im Flüchtlingslager Moria mehr als 13.000 Menschen obdachlos geworden sind, hat Geisels Reise zwar nichts zu tun, sie war schon länger geplant. Dennoch könnte sie den öffentlichen Druck auf die Politik erhöhen, endlich etwas für die Geflüchteten zu tun, hofft Georg Classen vom Flüchtlingsrat.

„Geisel sollte fordern, dass in den griechischen Flüchtlingslagern wenigstens die Menschenrechte eingehalten werden“, sagte Classen am Sonntag der taz. Nach Medienberichten vom Wochenende geht die Polizei auf Lesbos teils mit Tränengas gegen Menschen vor, die gegen ihre erneute Internierung in einem Zeltlager demonstrieren oder in die Inselhauptstadt gehen wollen. „Man darf die Leute nicht in geschlossenen Lagern internieren, schon gar nicht in Corona-Zeiten“, so Classen. „Sie müssen umgehend evakuiert werden, runter von der Insel, am besten nach Deutschland.“

Die Landesregierungen von Berlin und Thüringen haben schon vor Monaten Landesaufnahmeprogramme für Geflüchtete von den griechischen Inseln beschlossen. Berlin würde darüber gerne 300 Menschen, vorwiegend Kinder und alleinreisende Eltern, aufnehmen. Die laut Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes notwendige Zustimmung des Bundesinnenministers verweigert Seehofer jedoch seit Monaten.

Ein „Nein“ sei nicht hinnehmbar

Der Senat wolle dieses „Nein“ nicht hinnehmen, so Geisel. Kommende Woche wolle man erneut einen Antrag in den Bundesrat einbringen, um den entsprechenden Passus zu ändern und das „Einvernehmen“ des Bundesinnenministers zu ersetzen durch „ins Benehmen setzen“. Seehofer selbst hatte nach der Zerstörung von Moria am Freitag angekündigt, Deutschland könne zusammen mit Frankreich 100 bis 150 Geflüchtete aufnehmen – was Geisel als „beschämend“ kommentierte.

Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) und der Berliner Flüchtlingsrat lobten am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung die klaren Worte Geisels und seine Ankündigung, das „Nein“ von Seehofer zum Landesaufnahmeprogramm nicht akzeptieren zu wollen. Eine zeitnahe Klärung in dieser Sache – sei es durch Gesetzesänderung, sei es durch eine Klage gegen den Bund, die Berlin ebenfalls schon angekündigt hatte – sei so jedoch nicht zu erreichen. In der aktuellen Notlage „ist schnelles und entschlossenes Handeln des Senats und der anderen willigen Bundesländer gefragt. Es müssen alle rechtlichen Möglichkeiten geprüft und sämtliche Spielräume genutzt werden.“

In einem am Freitag veröffentlichten Diskussionspapier zeigen RAV und Flüchtlingsrat verschiedene Möglichkeiten auf, um auf Landesebene aktiv zu werden ohne auf das Einvernehmen Seehofers angewiesen zu sein. Dazu gehöre etwa die Zustimmung der Ausländerbehörde zum Familiennachzug in allen Fällen von AsylbewerberInnen aus Griechenland, ohne dass das Kriterium der Lebensunterhaltssicherung oder die humanitäre Aufnahme in Einzelfällen nach dem Aufenthaltsgesetz gegeben sein muss.

15.000 Euro Spendengelder

Auch viele BerlinerInnen und BrandenburgerInnen wollen den Folgen der EU-Abschottungspolitik offenbar nicht länger tatenlos zusehen. Bei der Organisation „Wir packen's an“ aus Bad Freienwalde, die Hilfsgüter per Lastwagen in griechische Flüchtlingslager bringt, sind binnen weniger Tage rund 15.000 Euro an Spenden eingegangen, wie auf Facebook zu sehen ist.

Die Organisation MS Mobile Seebrücke Berlin kündigte am Wochenende per Facebook „Tage der Empörung“ an, mit Kundgebungen an täglich wechselnden Orten wie dem ARD Hauptstadtstudio (Montag) oder der EU-Vertretung (Dienstag). Bei einer ersten Demo nach dem Brand hatten am vergangenen Mittwoch Abend gut 10.000 Menschen in Berlin die sofortige Evakuierung der Lager gefordert.

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