Berlin spart an der Kultur: Es geht nicht nur um Bücher
Die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) muss schmerzlich an Personal, Service und Veranstaltungen sparen. Das bedroht ihre Zukunft als „Dritter Ort“.

D ie beiden Standorte der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) – die Berliner Stadtbibliothek in Mitte und die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) in Kreuzberg – gehören laut eigenem Bekunden zu den am besten besuchten öffentlichen Kultur- und Bildungseinrichtungen Berlins.
Die Zahlen sprechen für sich: Die ZLB hatte vor der Pandemie rund 1,5 Millionen Besuche und etwa 3,3 Millionen physische Ausleihen zu verzeichnen. Diese Werte brachen in den Corona-Jahren erheblich ein, sind aber 2024 wieder auf knapp 1,3 Millionen Besuche angestiegen. Beide Standorte sind an den Lese- und Arbeitsplätzen wieder voll ausgelastet, heißt es. Das lässt sich sehen, wenn man eins der Häuser betritt. Derzeit stehen rund 600 Arbeitsplätze und 250 Notebooks zur Verfügung.
Wie alle anderen rund 80 öffentlichen Bibliotheken in Berlin ist die ZLB nicht einfach nur ein Ort, um verschiedene Medien – Bücher, Magazine, Schallplatten, Games und selbst Kunstwerke – analog wie digital vor Ort zu nutzen oder auszuleihen. Bibliotheken sind für das Gemeinwohl so wertvolle „Dritte Orte“.
Mit diesem Begriff umschreibt die Soziologie Orte der Gemeinschaft, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten – oder aber als Ersatz dienen, wenn nahe Verwandte oder Job fehlen. In den öffentlich zugänglichen Bibliotheken sind Austausch, Begegnung und Teilhabe möglich. Hier ist man unter Leuten, selbst wenn man mit niemandem sprechen will, hier lässt sich verweilen, ohne Geld ausgeben zu müssen. Und ja, Bibliotheken sind Wärmestuben – für Körper, Geist und Seele. Sie sind unschätzbar für die Zivilgesellschaft, ein hohes Gut.
Die ZLB schlägt Alarm
Jetzt gefährdet die Kürzungspolitik des schwarz-roten Senats diese Dritten Orte. Die ZLB schlägt Alarm: Die Einrichtung muss dieses Jahr nach aktuellem Informationsstand insgesamt 2,2 Millionen Euro einsparen, wie Generaldirektor Volker Heller am Dienstag verkündete. Das Spardiktat gelte auch für die kommenden Jahre. „Das zwingt uns“, so Heller, „erhebliche strukturelle Einschnitte vorzunehmen.“ Die Einsparungen seien in großen Teilen nur durch Kürzungen beim Personal umzusetzen, Heller kündigte den Abbau von rund 30 Stellen an.
Das wird teils drastische Folgen für die angebotenen Leistungen haben. Die Servicezeiten, in denen Fachpersonal beratend vor Ort ist, werden spürbar ausgedünnt, man wird hier und da länger warten müssen, es wird weniger Zeitungen und Zeitschriften geben. Einzelne Angebote wie die beliebte Freiluftbibliothek im Sommer auf der Wiese vor der Amerika Gedenkbibliothek fallen ganz weg.
Schwer wiegt auch, dass die ZLB nicht mehr wie bislang ausbilden will und dass Veranstaltungsreihen in der Kinder- und Jugendbibliothek dem Sparzwang zum Opfer fallen. Der Stiftungsrat der Bibliothek hat dazu ein entsprechendes mehrjähriges Sparkonzept beschlossen – notgedrungen.
Doch es geht noch schlimmer: Sollte die ZLB von weiteren, darüber hinausgehenden Einsparungen getroffen werden, sagte Generaldirektor Volker Heller am Dienstag, müsse die Stiftung erwägen, einen der beiden Standorte, nämlich die Berliner Stadtbibliothek, für das Publikum zu schließen.
Immer weiter sparen
Leider kein unrealistisches Szenario. Denn am Mittwoch hat Kultursenator Joe Chialo in einem Videocall verschiedenen Kulturschaffenden der Stadt reinen Wein eingeschenkt. Nach den drastischen Haushaltskürzungen von 135 Millionen Euro in diesem Jahr geht es – wie von der ZLB und anderen befürchtet – genauso weiter. Im kommenden Doppelhaushalt werden nochmals Millionen Euro aus dem Kulturhaushalt gestrichen. Allein für 2026 stehen zusätzlich zum bisherigen Sparvolumen weitere 100 Millionen im Raum.
„Zurück in die Vergangenheit“ kommentierte das Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Mit den Kürzungen stelle der Senat einmal mehr unter Beweis, was sein ständig wiederholtes Versprechen, „Bibliotheken als Dritte Orte stadtweit stärken“ zu wollen, wert sei, so Schmidt: „nichts“. Die Realität sehe doch so aus: „Möglichkeiten beschneiden, Gelder streichen“ – frei nach dem Motto „seht zu, wie ihr klarkommt“.
Schmidt erinnert auch daran, dass 2024 das „vollmundig versprochene Bibliotheksgesetz“ kommen sollte. Im selben Jahr redete der Kultursenator davon, „dass er alles in Bewegung setzen wolle, um einen Umzug der ZLB in das längst leere Kaufhaus Lafayette zu ermöglichen. So viel heiße Luft auf Kosten der Bürger*innen dieser Stadt, der sozialen Infrastruktur in den Bezirken, künftiger Generationen. Wer soll da noch glauben, dass diese Koalition eine soziale Stadt zu buchstabieren weiß?“
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