Berlin: Politikirrsinn nach Köln: Rein ins Ghetto, raus aus dem Ghetto
Auch Berliner Politiker beteiligen sich nun am munteren Vorschlagskarussell nach den Ereignissen von Köln. Geht‘s noch?
Die Debatte um Köln und die Folgen hat die Berliner Landespolitik erreicht. In den Chor der Politiker, die sich mit absurden Vorschlägen für Gesetzesverschärfungen gegenseitig zu überbieten versuchen, hat sich auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) eingereiht. Er schloss sich am Montag der Forderung seines Parteichefs Sigmar Gabriel an, eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge einzuführen. Andernfalls, hatte Gabriel erklärt, ballten sich die Schwierigkeiten in Großstädten „und wir kriegen richtige Ghettoprobleme“.
Laut Vize-Senatssprecher Bernhard Schodrowski ist sich der Senat einig, diese neue Form der Residenzpflicht zu fordern. Die Idee soll zwar Thema der Senatsklausur am Mittwochnachmittag sein, aber nicht mehr strittig. „Es ist Konsens, dass wir eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge fordern“, sagte Schodrowski am Dienstag nach der Senatssitzung, „die CDU hat‘s gefordert, der Regierende Bürgermeister hat‘s bestätigt.“ Auf der Senatsklausur soll es auch um Vorschläge der Christdemokraten gehen, die nach Köln mehr Videoüberwachung und die generelle Veröffentlichung von ethnischer Herkunft und Nationalität von Tatverdächtigen fordern.
SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat wehrte sich gegen den Eindruck, sie persönlich wende sich damit von ihrer bislang kritischen Haltung gegenüber einer Residenzpflicht ab: Diese betreffe Flüchtlinge im Asylverfahren und allein die Reisefreiheit. Beim aktuellen Vorstoß gehe es um jene, die erfolgreich das Verfahren durchlaufen haben. „Ich finde es richtig, dass die großen Städte sich Gedanken machen, dass es zu einem Ansturm auf sie kommt.“ Ein vorgeschriebener Aufenthaltsbereich könne auch von Vorteil für Regionen mit sinkender Einwohnerzahl sein.
Dass die hiesige SPD Gabriels Vorschlag aufgreift, muss BerlinerInnen besonders bizarr erscheinen. Denn es ist die Landesregierung selbst, die derzeit neue Ghettos schafft. Wer will im ehemaligen Flughafen Tempelhof bis zu 7.000 Flüchtlinge unterbringen? Wer plant denn dort eine Schule, Werkstätten und ein Jobcenter (siehe Grafik) – weil er genau weiß, dass dies keine kurzfristige Notunterkunft ist, sondern Menschen wohl über Jahre in den Hangars werden leben müssen? Wer will denn zur langfristigen Unterbringung „Mobile Unterkünfte für Flüchtlinge“ (MUFs) mit je 500 Plätzen bauen?
Außer mit dem Thema Flüchtlinge will sich der Senat in seiner Klausurtagung am Mittwochnachmittag auch mit dem generellen Einwohnerwachstum in Berlin beschäftigen. Bei dem Treffen im Roten Rathaus, bei dem es nach Angaben eines Sprechers um "Wegmarken der Regierungspolitik in diesem Jahr" geht, soll Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) über eine neue Bevölkerungsprognose berichten. Bereits Anfang 2015 hatte der Regierungschef Michael Müller (SPD) in einer Klausurtagung Grundsatzbeschlüsse zu Themen wie Früheinschulung und Wohnungsbau auf den Weg gebracht. (sta)
Kleiner Tipp: Wer keine Ghettos will, muss günstige Wohnungen für alle bauen – und zwar verteilt in der ganzen Stadt. Und günstig heißt nicht die bei „sozialem“ Neubau üblichen 6,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, damit die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gewinn machen. Günstig heißt, dass das Jobcenter die Miete übernimmt – für Deutsche wie für Flüchtlinge.
A propos Deutsche: CDU-Fraktionschef Florian Graf will, dass die Polizei künftig grundsätzlich Nationalität und Herkunft von Tatverdächtigen bekannt gibt. Unklar blieb, ob die Nationalität auch bei deutschen Tatverdächtigen genannt werden soll. Und wenn wir schon dabei sind: Warum nicht auch die Nationalität der Opfer von Straftaten nennen? So könnte man vielleicht dem – auch in Köln wieder zu beobachtenden – Vorurteil begegnen, es seien immer „Deutsche“, die Straftaten von „Ausländern“ zum Opfer fielen.
An dieser Stelle noch kurz eine Leseempfehlung an die SenatorInnen für die Klausur: Schauen Sie doch mal in die Polizeiliche Kriminalstatistik 2014, wo es ab Seite 104 um „Tatverdächtige nach Staatsangehörigkeit“ geht. Dort heißt es, „dass die Staatsangehörigkeit für sich alleine betrachtet kein kriminogener Faktor ist. Die Ursachen für Kriminalität sind vielfältig ...“
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