Berlin-Neukölln vor Silvester: Spektakel ohne Protagonisten
Alle Augen waren zum Jahreswechsel auf Neukölln gerichtet, jenem Berliner Bezirk, in dem es schon mal knallt. Ein Rundgang im Risikogebiet.
S ilvester in Neukölln, 22.30 Uhr: Der Richardplatz ist gespenstisch leer. Zwei schwarze Polizeiwannen parken an den Rändern des Platzes, man sieht sie kaum. Vor einem Spätkauf tanzen zwei ältere Herren zu Tupac Shakur. Das Licht des Kiosk-Schilds blinkt rot-blau. Ein Mann mit Presse-Patch und einem großen Rucksack hastet über den Platz.
23 Uhr, Sonnenallee: Ein Kameramann filmt Polizisten, die den Zugang zur Straße bewachen. Die Kreuzung zur Pannierstraße ist in gleißend helles Scheinwerferlicht getaucht. Man sieht Yassin Musharbash, einen Investigativjournalisten der Zeit, wie er zügigen Schrittes in Richtung Karl-Marx-Straße läuft. Vor Risa-Chicken spricht ein Fernsehreporter in die Kamera. Ein Fotograf blickt sich suchend vor Al-Andalos um.
23.30 Uhr, noch immer Sonnenallee: Yassin Musharbash läuft noch zügigeren Schrittes in Richtung Hermannplatz. Ein Kamerateam ist in die komplett andere Richtung unterwegs. Aber da kam doch gerade Musharbash her? Vor einem Falafelladen sitzen 15 Jugendliche mit Palästinensertüchern.
Neukölln ist in den Stunden vor dem Jahreswechsel ein Medienspektakel ohne Protagonisten. Wegen der vorjährigen Ausschreitungen zu Neujahr und nach dem 7. Oktober ist das Viertel doppeltes Risikogebiet. Von der Reuterstraße bis zur Janastraße ist auf der Sonnenallee eine „Böllerverbotszone“ mit Hamburger Gittern eingerichtet. Helle Scheinwerfer sind an jeder Kreuzung positioniert. In den Wannen sitzen Hundertschaften. Nur ereignen tut sich nichts.
Auf X haut Julian Reichelt in die Tasten: „Unsere Reporter am Berliner Alexanderplatz berichten: 99 Prozent Nicht-Deutsche“. Die Berliner Polizei schreibt: „10 Personen sollen vor einem Späti in Neukölln stehen.“ Was mag sich in dieser Stadt nur ereignet haben?
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