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Berichterstattung über Frauenfußball-EMZeigen und schweigen

Bei dieser Frauen-EM gäbe es viel zu besprechen. Doch was tun die übertragenden Sender wie die ARD? Verzichten meist auf Vor- und Nachbesprechungen.

Eher die Seltenheit: Frauenfußball-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im ARD-Interview Foto: Eibner/imago

A us guten Gründen ist die Dauer eines Fußballspiels begrenzt. Mit 90 Minuten muss man immer rechnen. Wenn es eng zugeht und wichtig wird, endet so eine Partie auch mal erst nach gut zwei Stunden. Die Quasselzeit über ein Fußballspiel kennt jedoch keine Grenzen. Über das Männer-Wunder von Bern 1954 reden sich heute noch deutsche Fans den Mund fusselig.

Das Wembley-Tor 1966 wird nie vollständig verarbeitet sein. Aber im Männer-Bundesliga-Alltag könnte ebenso jederzeit die Diskussion wieder aufbrechen, ob Felix Zwayer wegen dieses einen Pfiffs vergangenen Dezember überhaupt noch Dortmunder Spiele leiten sollte. Derlei schwerwiegende Fragen werden nicht nur in irgendwelchen Sport-Spelunken verhandelt, sondern stellvertretend für alle in meist männlich besetzten TV-Expertenrunden.

Über die Europameisterschaft der Frauen gäbe es nach dem ersten Auftritt aller Teams gewiss jede Menge zu besprechen. Können die Deutschen mit ihrem extrem hohen Pressing und athletischen Spiel auch die ballsicheren Spanierinnen verunsichern? Sind die Französinnen wirklich so stark oder haben ihnen die Italienerinnen zu einfach Räume für ihre Kombinationen geöffnet? Welche Geschichten gibt es über die dreifache Torschützin Onema Grace Geyoro zu erzählen, die vielleicht zu einem der Turnierstars aufsteigen könnte? Und wie haben sich die Amateurspielerinnen aus Nordirland auf ihr erstes EM-Turnier vorbereitet, bei denen ihnen gegen Norwegen gleich ein Treffer gelang?

Den deutschen Fragen wird bei den Übertragungen der DFB-Spiele in begrenztem Rahmen nachgegangen. Für alles andere ist keine Redezeit vorgesehen. Ohne Vor-, Pausen- oder Nachbetrachtungen präsentiert etwa die ARD dieses Turnier im Internet via Livestream. Und der kostenpflichtige Streamingdienst Dazn, der sich zuletzt über die Präsentation der Women’s Champions League eine gewisse Expertise angeeignet haben sollte, brüstet sich zwar damit, alle EM-Spiele anbieten zu können, bietet aber selbst nichts weiter dazu an. In der Halbzeit wird für Sendungen geworben, bei denen über Männerfußball gequatscht wird.

Zeigen und schweigen – mit dieser Strategie schaden die deutschen TV-Sender ihrem eigenen Produkt. Während sich in England längst eine Diskussionskultur über das Spiel der Fußballerinnen etabliert hat, scheint hier alles im Anfangsstadium festgefroren zu sein. „5 Gründe, warum Sie Frauenfußball schauen sollten“ titelte kürzlich eine Berliner Boulevardzeitung.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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7 Kommentare

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  • Ich finde es sehr schade, dass nach den Spielen nicht noch etwas Nachlauf mit Aufbereitung stattfindet.



    Haltloses Geschwafel, vermeintlicher ExpertInnen muss sich ja niemand ansehen, dass aber so gar nichts angeboten wird, zeigt für mich schon auch die Wertigkeit.

  • Nur so nebenbei: Es findet gerade kein Frauenfußball statt - auch wenn die Äußerungen eines Herrn Bierhoff in der Sportschau, die Dachzeile hier in der taz oder die Überschriften der Videotextseiten im ZDF das behaupten. Nein, es handelt sich tatsächlich um Fußball!

  • „5 Gründe, warum Sie Frauenfußball schauen sollten“ titelte kürzlich eine Berliner Boulevardzeitung.



    Einer davon ist, dass das unsägliche selbstverliebte Dauergelabere der männlichen Experten die Sendezeit nicht durchseucht.



    Sorry, Herr Knopp, das Gute am Frauenfussball schlechtzureden, ist kontraproduktiv.

  • Mir ist aufgefallen, dass bei dieser Europameisterschaft es kaum Diversität gibt. Es sieht aus wie eine weiße EM.

  • Ganz im Gegenteil. Es ist wohltuend, sich nur auf das Spiel zu konzentrieren und die Randberichterstattung auf das Notwendigste zu begrenzen. Da könnte man sich im Männerfussball eine Scheibe von abschneiden. Boulevard-Talk mit Themen, die nur am Rande mit Fussball zu tun haben und Spielanalysen am Rande der Inkompetenz durch zweifelhafte "Experten" und nicht bessere Kommentatoren und Sportjournalisten nerven nur und vergeuden Sendezeit.

    • @OutbackerAS:

      Volle Zustimmung.



      Und ich gehe noch weiter: Die Kommentierung der allermeisten*1* Sportarten ist erstens sowieso überflüssig und zweitens meistens absolut nervtötend (siehe z.B. Béla Réthy, Claudia Neumann) da die meisten Kommentator:innen es für "angesagt" halten, erstens ständig das zu erzählen, was ohnehin jeder sieht und zweitens den Spielverlauf ununterbrochen in widerlich schulmeisterlicher Art zu bewerten.



      Ich schaue mir Sportereignisse meistens auf einer illegalen Site an - wenn man Glück hat, sind sie völlig unkommentiert (wie zuletzt bei den Wimbledon-Übertragungen (sogar bis in die Finals!); und wenn man das mal erlebt hat, will man's nicht mehr missen!



      *1* Die einzige Sportart, die ich mir gelegentlich ansehe und bei der ich eine Kommentierung begrüße, ist Eiskunstlauf, denn obgleich ich mir schon mehrfach Erklärvideos zu den diversen Sprüngen angesehen habe, schaffe ich es nicht zuverlässig, diese im Wettkampf zu identifizieren - geschweige denn zu erkennen, ob sie unter- bzw. überdreht sind - deshalb ist mir ein zurückhaltender und empathischer Kommentator (wie z.B. der Stammkommentator der ARD) für derartige Veranstaltungen sehr willkommen.

  • Nuja. Ich freue mich daran, dass nun alle Spiele gezeigt werden, mit Kommentar. Das Gequassel interessiert mich beim Herrenfußball auch nicht. Dass es bei den Damen eingespart wurde, fiel mir noch gar nicht auf. Aber schade ist es natürlich trotzdem.