Berater über Spaniens Energieexporte: „Das ist kolonial“

Über 200 Bürgerinitiativen wehren sich dagegen, dass Spanien zum Energieversorger Europas wird. Denn das nütze nur den Konzernen, sagt Akivist Luis Bolonio.

Ein Grundstück mit Haus umgeben von Solananlagen

Wohnen umgeben von Solaranlagen Foto: Hans Blossey/imago

taz: Spanien will Energieversorger im großen Maßstab für den Rest Europas werden. Deshalb soll jetzt neben besseren Stromtrassen die Anbindung per Pipeline an Frankreich ausgebaut werden. Diese neue Rohrleitung soll zuerst Gas, aber bald schon grünen Wasserstoff befördern. Sie stehen dem kritisch gegenüber, warum?

Luis Bolonio: Keiner hat die Spanier gefragt, ob sie Energieproduzent und -lieferant für Mittel- und Nordeuropa werden wollen. Im Energieplan aus dem Jahr 2020 steht nichts davon, dass die Anlagen für Erneuerbare Energie in Spanien dazu dienen, andere Territorien zu versorgen. Es ist von Nachhaltigkeit und Eigenbedarf die Rede. Die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez muss einen neuen Plan vorlegen, in den solche Großprojekte eingebunden werden. Und die Bevölkerung muss beteiligt werden.

Aber wenn wir Europa ökologisch umbauen wollen, dann muss die Energie irgendwo herkommen. Aliente – ein Bündnis von mehr als 200 Bürgerinitiativen – ist gegen Großprojekte. Es liegt nahe, ihnen vorzuwerfen, dass sie Feinde eines grünen Umbaus seien.

Wir sind nicht pauschal gegen Großprojekte. Wir wollen einen echten Energiewandel, grün und gerecht zugleich. Wir wollen, dass die Europäischen Richtlinien umgesetzt werden. Dort ist die Rede von Energieeffizienz und Eigenverbrauch, nicht vom Energieexport.

Aber die europäische Wirtschaft ist ohne Makroprojekte nicht denkbar. Nehmen wir Deutschland. Dort ist der Energieverbrauch so groß, dass Pläne entstanden, in der Sahara Strom zu erzeugen und den dann nach Europa zu bringen. Das erwies sich als nicht machbar. Aber Spanien könnt die Lösung sein. Riesige leere Flächen, viele Sonne, Wind: geradezu ideale Bedingungen für die Produktion Erneuerbarer Energie im großen Stile.

Das ist das, was Europa will, ohne die Bevölkerung in Spanien in diese Entscheidung einzubinden. In Deutschland gibt es sehr viel Widerstand gegen Windkraftprojekte in Regionen, die sich als Opfer dieser Entwicklung sehen. Wenn sie es in Deutschland nicht wollen, warum sollen wir das dann hier hinnehmen? Der Ausbau der Großprojekte für den Verbrauch irgendwo anders inner- und außerhalb Spaniens ist ein koloniales Projekt.

Kolonial?

Ja, da werden ganze Landstriche besetzt, um irgendwo anders Reichtum zu schaffen. Das wird die Entwicklung auf dem Land in Spanien noch weiter verlangsamen. Die Landflucht verstärken. Es muss den Betroffenen erklärt werden, was der Plan ist, wer davon profitiert und was ihre Region davon hat. Neben den Auswirkungen auf die Umwelt stellen sich auch soziale Fragen – und ganz konkret die Frage nach den Gewinnen bei der Produktion Erneuerbarer Energien. Bleibt Geld vor Ort? Hat die betroffene Bevölkerung was davon? Doch darum geht es nie.

Was wäre die Alternative zu Großprojekten und Energiexport?

Zuerst einmal: die Energie effizienter zu nutzen, so wie das die EU-Richtlinien vorsehen. Es gibt Studien, die belegen, dass wir in Europa rund zwei Drittel der Energie einsparen könnten, ohne Wohlstand zu verlieren. Und zweitens: die Kapazitäten zur Energieerzeugung in der unmittelbaren Nähe zu den Verbrauchern errichten. Nicht zuletzt, weil dies wesentlich effizienter ist, als Energie über Tausende von Kilometern zu transportieren. Dabei geht viel Strom verloren. Wir verzichten darauf, effizient zu sein, um die wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger zu bedienen.

Wir können doch nicht die Industrie in Mittel- und Nordeuropa mit Solarpanels auf den umliegenden Dächern versorgen!

Genau deshalb muss ein realistischer Plan her, etwas, was bis heute nicht gemacht wurde. So wurde uns etwa von Seiten der Regierung immer entgegengehalten, dass die Kapazität auf den Dächern in Spanien maximal 7 Gigawatt ausmacht. Jetzt hat dieselbe Regierung einen Plan für den Eigenverbrauch aufgelegt und spricht plötzlich von 170 Gigawatt. Bis 2030 sollen davon 14 Gigawatt installiert werden. Über Großprojekte weitere 39 Gigawatt. Dass das mit Dächern nicht geht – da müssen wir wohl umdenken.

Aber das reicht auch nicht.

ist Umweltberater und engagiert sich unter anderem bei Aliente, einer „Allianz Energie und Gebiet“, in der sich mehr als 200 spanische Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben.

Deshalb haben wir bei Aliente eine Studie erstellt, um zu sehen, wie groß das Potenzial an degradierten Gebieten ist – wie etwa stillgelegte Bergwerke, Müllhalden, Streifen neben den Landstraßen. Diese Ländereien bieten Platz für wesentlich mehr Kapazität als wir brauchen, ohne neue Ländereien zu schädigen. Doch der Ausbau geschieht ohne richtige Planung. Deshalb handelt unserer Ansicht nach die Regierung verantwortungslos. Wir können alles machen, was wir brauchen, aber wir können es anders machen als bisher. Es muss dabei um das Allgemeinwohl gehen und nicht um die Interessen der multinationalen Unternehmen und Energieversorger.

Sie reden von den Europäischen Richtlinien. Aber der Plan, Spanien zum Energieproduzenten zu machen, hat den Rückhalt von Brüssel. Ministerpräsident Pedro Sánchez hofft auf Zuschüsse aus den EU-Fonds Next Generation.

Klar, es geht schließlich um Deutschland und die deutsche Industrie. Natürlich unterstützt Brüssel das und vergisst dabei die eigenen Richtlinien.

Bleibt das Problem, dass es Gebiete, ja ganze Länder gibt, in denen der Verbrauch so hoch ist, dass es nicht ohne Energieimport geht, also ohne das, was sie Kolonialismus nennen.

Okay, dann müssen Beziehungen auf solidarischer Ebene entstehen. Es müssen gerechte Beziehungen sein. Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite Ländereien und die Lebensgrundlage der ortsansässigen Bevölkerung zerstört werden, um irgendwo anders die Industrie am Laufen zu halten. Und die Gewinne kommen nur einigen wenigen Unternehmen zu gute. Bisher sieht das so aus, dass ein Investor ein Projekt errichtet und den Strom direkt an ein Unternehmen in Spanien, in Deutschland oder sonstwo verkauft. Die Bevölkerung vor Ort hat nichts davon. Das ist kein Energiewandel sondern Plünderung. Wenn wir das nicht ändern, wird es zu sozialen Problemen und zu Widerstand führen, der den Ausbau der Erneuerbaren bedroht. Wir wollen demokratische Beziehungen anstatt dass sich eine Territorium über ein anderes erhebt, weil es mehr wirtschaftliche Macht hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.