Beliebter Absteiger Hertha BSC: Nur nach Hause …
Hertha stürzt ab und feiert zugleich einen Zuschauerrekord. Der Klub ist so populär wie noch nie. Denn Misserfolg ist identitätsstiftend für den Verein.
G lückwunsch, Hertha! Der Verein ist so attraktiv wie noch nie! Die Zahlen belegen es Blau auf Weiß. Noch nie kamen innerhalb einer Saison so viele Zuschauer ins Olympiastadion. Dass die Vermeldung dieses Rekords just auf den Tag fiel, als Hertha sich tränenreich aus der Ersten Bundesliga verabschiedete, mag unbedarfte Beobachter verwundern. Doch dieser Verein lebt wie nur sehr wenige vom Widerspruch.
Aktuell gibt sich die Klubführung nach dem verbrannten Investorenmillionen von Lars Windhorst geläutert, entwirft schöne lokale Visionen vom Berliner Weg mit eigenen Talenten, während zeitgleich die Deutsche Fußball Liga prüft, ob die große Abhängigkeit vom neuen Investor, einem Global Player mit Renditeerwartung, überhaupt noch mit der 50+1-Regel zu vereinbaren ist.
Unklar ist, ob der Absturz der Hertha vielleicht noch weiter nach unten reicht. Und so sind am Wochenende bereits düstere Nachrufe auf die Hertha verfasst worden.
Die Lage ist prekär, doch Hertha ist mehr denn je bei sich. In diesem Verein waren Misserfolge sowieso immer identitätsstiftender als Erfolge. Es ist eine Art Stockholm-Syndrom, wie man es auch auf Schalke oder in Stuttgart derzeit beobachten kann. Je größer die Zumutungen von Vereinsseite ausfallen, desto größer ist der Zusammenhalt und der Trotz der Fans. Durchstandene Martyrien erhöhen das Selbstwertgefühl in der Kurve. Das kann eine ungemeine Wucht entfalten. Und bei Hertha gibt es nun die volle Dröhnung.
Kunst des Entertainments
Aber vermutlich wird das nächste Martyrium völlig anders ausfallen, als viele es sich jetzt ausmalen. Denn zur Tradition von Hertha gehört die Unberechenbarkeit. Irgendein Fantast mit Geld und Champions-League-Visionen oder ein neuer Skandal mit irgendwelchen Geheimdiensten kann in Kürze alle Pläne der neuen Bescheidenheit wieder auf den Kopf stellen. Schon für diese hohe Kunst des Entertainments muss man diesen Verein lieben („HaHoHe Euer Jürgen“).
Bleibt nur die Frage, was das eigentlich für eine Hertha-Saison war, als der bis Samstag gültige Zuschauerrekord aufgestellt wurde. Die Fast-Meistersaison unter Trainer Lucien Favre mit Marko Pantelic, Arne Friedrich und Pal Dardai, als der Verein allerlei Bemühungen anstellte, um mit dem sportlichen Erfolgsschwung auch das junge, hippe, feierfreudige Milieu in der Stadt mitzunehmen?
Weit gefehlt. Es war die letzte Abstiegssaison 2011/12, als die Hertha in letzter Verzweiflung den damals 73-jährigen Trainer Otto Rehhagel verpflichtete und in der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf scheiterte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“