Beim Deutsch-Französischen Medienpreis: Habermas warnt vor Zerfall der EU
Kleinmut und normative Unterforderung: Jürgen Habermas kritisierte in seiner Preisrede zum Deutsch-Französischen Medienpreis die Politik.
Kleinmut ist eine Krankheit. Vielleicht eine deutsche. Friedrich Schiller, Friedrich Engels und gar Konrad Adenauer, sie alle warnten vor dem deutschen Kleinmut, ob in europäischen Fragen oder bloß im Hinblick auf die deutsche Sozialdemokratie, wie der spottende Engels.
Auch Jürgen Habermas geißelte den kleinmütigen Opportunismus kurzfristiger Machterhaltung der politischen Eliten, als er am Mittwochabend in Berlin den Großen deutsch-französischen Medienpreis entgegennahm.
Anzunehmen, dass die bayrische Komödie ihn dazu inspirierte, aber auch die Sozialdemokratie bekam ihr Fett weg: Sie unterfordere den Wähler normativ. Dort, wo inzwischen „nicht nur ein verbindendes, vom Nationalbewusstsein unterscheidbares Bewusstsein europäischer Solidarität“ sich herausgebildet habe, sondern auch „eine unerwartet hohe Bereitschaft zur Unterstützung europäischer Politiken, die eine Umverteilung über nationale Grenzen einschließen würde“.
Kleinmut hier und der Mut zur gestaltenden Politik dort: Es ist bekannt, dass Habermas Macron für einen Visionär hält, die viel beschworene offene Diskussion, französische Leidenschaft und Intellektualität der Politik, die auch Laudator Heiko Maas ins Schwärmen brachte, darf man allerdings für einen deutschen Mythos halten. Große Gesten machen noch keinen Diskurs.
Die schlechte Antwort
Habermas' Ton ist schärfer geworden. Vielleicht wird man erst in einigen Jahren die Bedeutung seiner Rede erkennen: Europa ist im Zerfall begriffen. Der Rückzug hinter nationale Grenzen könne nicht die Antwort sein auf einen überwältigenden, von unregulierten Finanzmärkten angetriebenen Kapitalismus.
Am Ende fügt Habermas merklich aufgeregt seinem Skript einen Satz hinzu: Das gelte erst recht für die Asylpolitik, wenn die nationalen Bevölkerungen nicht in die Zeit als Kolonialmächte zurückkehren wollten.
Stellen Sie sich vor, der viel gepriesene Spiritus rector der BRD warnt sein Publikum vor dem Rückfall ins 19. Jahrhundert und alle bleiben auf ihren Stühlen sitzen bis der nächste Servicearbeiter den nächsten Sekt bringt. Dann, könnte man meinen, ist der Adressat der falsche. Habermas Anrufung gilt den „tonangebenden Eliten“. Ein Bewussteinsprozess soll von ihnen ausgehen. Eine Anpassung.
Intendanten, Politikerinnen, Journalistinnen und Professoren. Sie applaudieren und sitzen. Man weiß nicht so genau, ob aus Selbstzufriedenheit oder weil sie verstanden haben, dass Öffentlichkeit so nicht mehr funktioniert. Was bleibt ist die Ordnung der Inszenierung. Vielleicht ist Konsens eben doch das Ende der Politik.
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