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Begleitschutz auf Querdenken-DemosPressing für die Presse­freiheit

Immer wieder werden Jour­na­lis­t*in­nen in Sachsen angegriffen. Die Initiative „Between the Lines“ bietet seit sechs Monaten Begleitschutz an.

Leipzig am 6. November 2021 Foto: Sebastian Willnow/dpa

Der Journalist Daniel Drepper schrieb kürzlich auf Twitter: „Es ist ziemlich unfassbar, dass Redaktionen in diesem Land mittlerweile wieder durch Polizeiketten geschützt werden müssen.“ Und unter dem Hashtag #AusgebranntePresse sammelten sich Erfahrungsberichte von Journalist*innen, die über die Gewalt berichten, die sie selbst in den vergangen Monaten vor allem auf Demonstrationen von Co­rona­leug­ner*in­nen erfahren mussten.

„Wir haben gemerkt, dass das was mit Leuten macht, die Beschimpfungen, die Angriffe. Es macht was, man stumpft ab, nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Das macht was damit, ob Leute gerne ihren Beruf ausüben. Es rechnen alle damit, blutend am Boden zu liegen.“ Diese Sätze sagt Klemens Köhler ruhig, aber bestimmt. Wir sprechen via Zoom, ich nicke, ich weiß, was er meint: dass weder Polizei noch Auf­trag­ge­be­r*in­nen in der Lage sind, Re­por­te­r*in­nen zu schützen und dass es nicht nur am Willen, sondern an Infrastruktur fehlt.

Klemens Köhler und Johannes Scholz, die beide in Dresden leben, haben es sich zur Aufgabe gemacht, Jour­na­lis­t*in­nen bei ihrer Arbeit zu beschützen. Beide haben Erfahrungen als Aktivisten, Köhler war selbst journalistisch tätig.

Between the Lines hat keinen homogenen politischen Background. Die Initiative setzt sich aus Menschen zusammen, die schon viel mit extrem Rechten zu tun hatten. Man könne bei dieser Enthemmung und Eskalation wie sie Jour­na­lis­t*in­nen entgegenschlägt nicht einfach wegschauen. Gemeinsam sei allen schlicht der Wunsch, Ungerechtigkeiten zu begegnen. Letztendlich sei es eine Form der Zivilcourage, sich An­grei­fe­r*in­nen in den Weg zu stellen. Between the Lines existiert seit 2021 und bietet freien Jour­na­lis­t*in­nen seit sechs Monaten auf Demons­trationen Begleitschutz an. Ehrenamtlich, ohne Entgelt, anfangs nur zu zweit, mittlerweile hat die Initiative Mit­strei­te­r*in­nen in ganz Sachsen.

„Wir haben relativ schnell Menschen gefunden, die sich wirksam für Grundrechte wie die Pressefreiheit einsetzen und ihre ohnehin stattfindenden ­Demonstrationsbesuche sinnvoller gestalten wollten“, sagt Köhler. Anfangs boten sie den Begleitschutz nur direkt betroffenen Jour­na­lis­t*in­nen an, die bereits Gewalt auf Demonstrationen erfahren haben. Nun zeigen sie umfassender Präsenz, bieten ihre Leistungen auch öffentlich an. Das Angebot stieß schnell auf Nachfrage. Heute ist ihre Gruppe zehn bis 15 Menschen stark und verteilt sich auf mobile Teams in ganz Sachsen.

Between the Lines begleitet Jour­na­lis­t*in­nen nicht, um ihnen in kämpferischer Manier den Weg freizuschubsen. Jour­na­lis­t*in­nen sollen den Kopf frei haben. „Meistens stehen wir einfach nur da“, sagt Klemens Köhler. „Grundsätzlich ist es unser Ziel, Abstand zwischen die Schutzperson und den Angreifer zu bringen. Wir sorgen dafür, dass sich Jour­na­lis­t*in­nen sicher aus gewaltvollen Situation zurückziehen können und Verletzungen vermeiden, bis die Polizei tätig wird. Wir vertreten eine defensive Grundhaltung“, so Köhler.

Angreifer festzuhalten und der Polizei zu übergeben, das leistet der Verein nicht. Anfangs habe die Serviceleistung nicht so sehr darin bestanden, physische Angriffe abzuwehren, sondern Belastungssituationen für Journalisten abzufedern, sodass diese nicht noch für ihre eigene Sicherheit sorgen müssen. Dies habe sich nun aber geändert.

Sachsen ist das Bundesland mit den meisten Angriffen

War Kampfsporterfahrung der Begleitpersonen zu Beginn keine Voraussetzung, hat man sich bei Between the Lines nun dazu entschlossen, dass kein Team mehr ohne eine kampfsport­erfahrene Person eine Begleitung durchführt. Die physische ­Abwehr ­gehört nun zu jedem Einsatz, so Klemens Köhler.

Wer aus der Gruppe welche Einsätze begleitet, wird für jeden Anlass individuell entschieden. Wer neu ist, wird vorbereitet und mindestens einmal auf eine Begleitung mitgenommen.

Jour­na­lis­t*in­nen werden im Zweierteam begleitet. Mindestens einer der Be­glei­te­r*in­nen muss das Gefahrenpotenzial der Demonstration bereits erlebt haben. Gemeinsame Einsatzziele sprechen die Begleitpersonen mit den Jour­na­lis­t*in­nen vorher ab. Man orientiere sich dabei an den Bedürfnissen derer, die vom Demonstrationsgeschehen berichten. Köhler appelliert hier auch an die Eigenverantwortung: „Natürlich müssen auch Medienschaffende wissen, wo ihre Grenzen liegen. Wir können da im Grunde nur beraten und letztlich auch anhand unseres eigenen Sicherheitsempfindens Maß nehmen.“

Der Fokus der Arbeit von Between the Lines liegt auf Sachsen. „Gerade auch die Kleinstadtberichterstattung, die ja in Sachsen besonders heikel ist, versuchen wir zu schützen“, so Köhler. „Sicher haben es die Kol­le­g*in­nen in den kleineren Städten häufig schwerer, weil sie in der Region bekannt sind und dann auch sehr rasch persönlich zumindest verbal angegriffen und bedroht werden. Gerade Lo­kal­jour­na­lis­t*in­nen sind hier oft auf sich gestellt“, sagt Jörg Aberger, Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstands der Fachgruppe Medien/Deutsche Journalistinnen im Landesbezirk Sachsen von Verdi.

Den Schutzbedarf, von Jour­na­lis­t*in­nen in solchen Situationen sieht auch er: „Tatsächlich ist die Arbeit für Jour­na­lis­t*in­nen in Sachsen gefährlicher geworden.“ 2020 bilanzierte das Leipziger Europäische Zentrum für Presse­ und Medienfreiheit (ECPMF), das Angriffen auf die Presse nachgeht, Sachsen sei das Kernland pressefeindlicher Angriffe.

Über den gesamten Erfassungszeitraum, also seit 2015, ist Sachsen das Bundesland mit den meisten Angriffen. Insgesamt 69 von 182 Fällen wurden dort erfasst. Was 2015 mit Pegida begann, setzt sich nun in einer Vielzahl von Co­rona­leug­ner*in­nen-Demos fort. In Sachsen gab es 2020 und 2021 die meisten Angriffe auf Jour­na­lis­t*in­nen. 71 Prozent der Angriffe auf Jour­na­lis­t*in­nen gingen laut ECPMF von Demonstrationen im Zusammenhang mit der Coronapandemie aus.

Narrativ „Lügenpresse“

„Mit Pegida wurde eher gesprochen, die Bewegung wurde nicht ausgegrenzt. Dadurch entstanden ein Anspruchsdenken und die Wahrnehmung, im Recht zu sein. Dies wirkt sich auf die Atmosphäre der Demos in Sachsen aus“, so Johannes Scholz über die Hintergründe der Gewalt gegenüber Jour­na­list*in­nen. Das Narrativ einer vermeintlichen Lügenpresse habe das Gefahrenpotenzial für Jour­na­lis­t*in­nen noch einmal verstärkt.

Probleme sehen Köhler und Scholz auch im­ Vorgehen der Polizei. „Oft werden rechte Demos in letzter Zeit polizeilich viel schwächer begleitet. Jour­na­lis­t*in­nen werden in dieser Gemengelage oft als die leichter zu kontrollierende Gruppe wahrgenommen. Das führt eben dazu, dass Beamte oftmals dazu übergehen, Jour­na­lis­t*in­nen in ihrer Arbeit eher zu behindern als zu beschützen.“

Jörg Aberger von Verdi sagt: „Natürlich muss die Polizei Medienschaffenden ihre ungestörte Arbeit ermöglichen und sie gegen Angriffe schützen.“ Fraglich sei aus seiner Sicht, wie das umfassend geschehen kann. „Es kann sicher nicht jeder und jedem ein Polizist oder eine Polizistin zum individuellen Schutz zur Seite gestellt werden. Zudem bin ich auch schon mit dem Vorwurf konfrontiert worden, wir würden sozusagen ‚embedded journalism‘, betreiben, wenn wir uns auf eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei stützen.“

taz am wochenende

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Der Vorwurf des durch die Exekutive institutionell geschützten und damit unkritischen Journalismus lässt aufhorchen, ist es doch gerade die Aufgabe der Polizei, Pres­se­ver­tre­te­r*in­nen zu schützen. Die Akzeptanz der Polizei gegenüber den ehrenamtlichen Pres­se­be­glei­te­r*in­nen sei zwiegespalten, so Köhler. Man müsse sich darauf verlassen, dass Po­li­zis­t*in­nen kooperativ seien. Die Rechtslage dahingehend sei nicht eindeutig. Grundsätzlich hänge es vom Wohlwollen der einzelnen Beamten ab, ob auch Be­gleit­schüt­ze­r*in­nen seitens der Beamten durchgelassen werden. Eins bleibt die Lage in jedem Fall: schwierig.

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12 Kommentare

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  • "wieder durch Polizeiketten geschützt"



    Wann war das denn zum letzten mal systematisch nötig?

    • @DerHorst:

      Bei PEGIDA/LEGIDA-Demonstrationen.

  • Nach meiner Einschätzung sollte die Sachlage, dass es doch einen nicht trivialen Prozentsatz an Menschen in der Bevölkerung gibt, die in keiner Weise mehr zwischen Fakten, Fiktionen, Fake-News, Wissenschaft, Scharlatanerie entscheiden können, Anlass sein, über die Möglichkeit einer Krise im System insgesamt nachzudenken.

    Wenn durch Algorithmen der sozialen Netzwerke Meinungen vorhersagbar werden, verändert, zugespitzt, extremisiert werden können, können wir dann noch davon sprechen, dass die Menschen ihre Meinung frei ausdrücken, obwohl ihre Meinung manipuliert wurde? Ist das noch Meinungsfreiheit?

    Natürlich war dies Problem immer da und wird es wohl immer sein, es wurde aber nach meiner Einschätzung durch die Privatisierung des Fernsehens vor einigen Jahrzehnten eingeleitet und setzt sich in den sozialen Netzwerken fort.

    Ergebnis ist, dass nun Journalist:innen als Verbrecher:innen wahrgenommen und angegriffen werden, gleichzeitig ihre Berichterstattung gar keinen inhaltlichen Einfluss auf die betreffenden Menschen mehr nimmt, weil diese nicht erreichbar sind und ihre Telegram-Kanäle ihnen jederzeit ihre Ansichten bestätigende und weiter radikalisierende Informationen senden.

    Schauen wir in die USA, sehen wir welch irrwitzige und gefährliche Auswirkungen eintreten können, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung Desinformation für korrekt, korrekte Information für Desinformation hält und jede Lüge selbst bei klaren Gegenbeweisen durchgehalten werden kann.

    Ich habe keine Antworten, aber ich denke der Druck auf Journalist:innen bei Querdenker:innen-Demonstratiionen legt nahe, dass wir uns in einer Systemkrise befinden, die tiefergreifende Fragen und Antworten bedarf. Ich glaube nicht, dass ein "weiter so" dies Problem lösen wird, sondern befürchte eine Verschärfung, gerade wenn weitere Krisen (z.B. Klimakrise) kommen.

    • @PolitDiscussion:

      JA.

  • Unglaublich traurig, dass so etwas nötig ist. Unglaublich schön, dass es Menschen gibt die so etwas tun! Meinen höchsten Respekt für die Freiwilligen!

  • ach ja, und die Politik schaut zu, bis zur nächsten Wahl.

  • "... dass es nicht nur am Willen, sondern an Infrastruktur fehlt."



    Wie im Gesundheitswesen?

    Scheint wohl alles heruntergewirtschaftet, zum Wohle des Gewinns und nicht des Einkommens, der Grundversorgung, der Gesellschaft, der Natur, der Erde, unserer Zukunft.

    Für was auch - wichtig dabei ist nur die Rendite - sei es bei der Beteiligung an der GmbH oder bei den Aktien. Wenn das nicht mehr funktioniert wird das Geld direkt vom Finanzamt abgesaugt?!

  • es gibt auch gegendemos gegen impfgegner die von der polizei eingekesselt werden



    www.dnn.de/Dresden...dizinstudenten-ein

    • @prius:

      Und welche Relevanz hat das für das Thema? Haben das demonstrierende Krankenhauspersonal oder die Studierenden irgendwelche Journalistinnen angegriffen? Ich kann leider nicht hinter die Bezahlschranke der Quelle gucken.

    • @prius:

      Ja es gibt auch unangemeldete Demos von Impfgegnergegnern. Nur das diese kein Katz-und Mausspiel per "Spaziergang" mit der Polizei spielen, sondern sich kompakt versammeln und so eine Feststellung der Namen einfacher ermöglichen.

    • @prius:

      Die Bestimmungen zur Pandemie-Eindämmung gelten für alle. Dementsprechend sind der Polizei hier (ausnahmsweise) keine Vorwürfe zu machen. Das Lamento ist einfach Unsinn, die Aktion war grenzwertig dämlich, auch wenn ich prinzipiell ganz auf Seiten der Studenten bin. Aber ich habe keinen Bock auf eine neue Gutmenschen-Debatte.

      • @StefanG:

        Wenn Abstand eingehalten wird, rigoros Masken effektiv (keine Kinnwindel) getragen werden und die jeweilige Gruppenstärke nicht die Auflagen übersteigt, ist eine Grenzwertigkeit nicht erkennbar und eine Grenzüberschreitung schon gar nicht.

        22 Personen haben eine Anzeige bekommen. Diese haben laut der Quelle rund um das Klinikum verteilt demonstriert.

        Was soll daran verwerflich sein? Das waren ein paar wenige Menschen, die sich spontan versammelt haben. Vermutlich meist komplett durchgeimpft. Rannten nicht in Massen durch die Gegend, wodurch eine Gefahr für Unbeteiligte quasi ausgeschlossen ist.

        Die Aktion war wichtig und richtig, weil es dem Scheinargument diverser Maßnahmengegnerinnen "Ich arbeite auf der Intensivstation und wir sind alle gegen die Impfpflicht. Wenn die kommt kündigen wir alle.. bla bla bla" entgegensteht. Wenn man den Kommentarspalten glauben schenken mag, gibt es in Deutschland quasi 100.000 Intensivpflegerinnen und alle sind gegen eine Impfpflicht. Ausserdem kommuniziert es den Maßnahmengegnerinnen auf direktem Wege, dass sie nicht die Unterstützung jener Gruppe haben, die sich jeden Tag den Hintern abrackert, um immer und immer wieder Impfverweigerern das leichtfertig aufs Spiel gesetzte Leben bzw. die Gesundheit zu retten.

        Der Polizei kann an dieser Stelle eine Menge vorgeworfen werden. Nämlich, dass sie statt sich der echten Gefahr entgegenzustellen, etwas anderem zugewandt hat. Ne Maus hat im Porzellanladen nicht zu interessieren, wenn ein Elefant darin wütet.