Bedrohung durch Rechtsextreme: Als ich auf einer Liste stand
Die Behörden haben bei Ermittlungen Listen mit rund 35.000 Namen gefunden. Eine Nachricht, die unsere Autorin an eigene Erfahrungen erinnert.
Der Anruf kam mitten in der Nacht. „Wir kommen dich jetzt holen“, sagte ein Unbekannter. Aggressive Stimme, knappe, klare Worte. Ich zitterte vor Angst und dachte: Jetzt machen sie Ernst. Bereits am Morgen hatte ein Anrufer gedroht, „wir wissen, wo du wohnst. Wir kriegen dich, du linke Ratte.“
Das ist Jahre her, damals stand ich auf einer Liste von Neonazis, die Namen, Adressen und Telefonnummern von Linken sammelten und diese bedrohten. Eine davon war ich.
Jetzt gibt es wieder solche Listen. 35.000 Namen sollen auf Listen rechter und gewaltbereiter Gruppen verzeichnet worden sein, die von den Behörden beschlagnahmt wurden. Die aktuellen Daten stammen aus Ermittlungen gegen die rechte Terrorzelle NSU, einen terrorverdächtigen Soldaten und rechte Prepper, die sich auf vermeintliche Katastrophen und einen neuen Weltkrieg mit dem Horten von Lebensmitteln, Schutzkleidung und Funkgeräten vorbereiten.
35.000 Personen auf Nazi-Listen. Ich erschrak, als ich die Nachricht hörte, hatte ein Déjà-vu und viele Fragen: Feindeslisten, schon wieder. Wer wohl jetzt da darauf steht? Wissen die Betroffenen davon? Kümmert sich die Polizei? Vor allem: Müssen jetzt andere das durchmachen, was ich vor einigen Jahren erlebt habe? In Sekundenschnelle spulten sich in meinem Kopf die Ereignisse von damals ab.
„Terroristisches Potenzial“
1999 stand ich das erste Mal auf einer steckbriefartigen Liste von Neonazis, danach immer wieder. Als der erste Drohbrief der „Anti-Antifa-Kurpfalz“ und eine Warnung der „Antifa Treptow“ kamen, warf ich beides achtlos in den Papierkorb. Auf einer Feindesliste der Rechten? Ich? Blödsinn. Als damals freie Journalistin waren Nazis und Rechtsterrorismus nie mein Berichtsgebiet, ich schrieb über unverdächtige Themen: Familie, Frauen, Gesundheit, Soziales.
Wenige Tage später berichtete die taz über die Nazi-Liste, darauf 40 Namen, unter ihnen Berliner PDS-Bezirksbürgermeister*innen, Leserbriefschreiber*innen, ein taz-Autor. Und ich, die ich seinerzeit noch nicht für die taz schrieb. Mit wurde mulmig. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte Marion Seelig, damals innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, im taz-Text. Die Politikerin sprach von „terroristischem Potenzial in der rechtsextremen Szene“.
Später las ich, dass die Anti-Antifa-Kurpfalz für ein Rohrbombenattentat auf einen Berliner PDS-Politiker verantwortlich gemacht wurde. Der Mann entging dem Angriff nur knapp.
Das sollte ich ernst nehmen, sagte ich mir und erstattete bei der Berliner Polizei Anzeige gegen unbekannt. Vom Staat erhoffte ich Schutz und Hilfe. Doch der Polizist in der Wache fragte: „Wurden Sie tätlich angegriffen?“ „Nein.“ „Dann können wir nichts machen. Da müssen Sie schon mit dem Kopf unterm Arm wiederkommen.“
Nächtliche Klingelattacken
Bis heute habe ich keine Ahnung, wie und warum ich ins Visier der Rechten und auf verschiedene Neonazi-Listen geraten bin. Aber den Terror dieser Gruppen habe ich immer wieder deutlich zu spüren bekommen. Drohanrufe, mich zu holen und dann „so einiges“ mit mir zu machen, obszöne Beschimpfungen, nächtliche Klingelattacken an meiner Wohnungstür, meist mitten in der Nacht und häufig als Sturmklingeln.
Die Flurwände des Hauses, aus dem ich kurz zuvor ausgezogen war, beschmierten im November 2001 Unbekannte mit „SA voran“, Hakenkreuzen und SS-Runen. Die Hausverwaltung ließ die Schmierereien übermalen, zwei Wochen später waren sie wieder da: neues Hakenkreuz und – meterhoch – „Simone, pass auf“. Das Doppel-s in Nazi-Runen. Dazu der Satz: „Wir kriegen dich“.
Jetzt schaltete sich das Landeskriminalamt ein und lud mich zur „polizeilichen Vernehmung“ vor. Darüber war ich froh, das LKA wird helfen, glaubte ich: Angriffe von rechts werden nicht geduldet, Betroffene geschützt. Kleiner Raum, geschlossenes Fenster, vier Beamte mir gegenüber. Sie rauchten wie ein Zellulosewerk und stellten mir unzählige Fragen, so was wie: „Haben Sie einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?“ „Könnte das jemand aus Ihrem Umfeld gewesen sein?“ „Haben Sie mal einen Liebhaber abgewiesen?“
Ich antworte brav, wunderte mich aber heftig über die Art zu fragen. „Ich bin das Opfer, nicht die Täterin“, sagte ich. Und fragte, was mein Liebesleben mit den Nazi-Schmierereien zu tun habe. „Wir müssen allem nachgehen“, sagte einer der Beamten: „Es könnte ein Trittbrettfahrer sein.“
„Öffentlichkeit ist der beste Schutz“
„Wie helfen Sie mir?“, fragte ich. Ich hatte ein kleines Kind, ich hatte Mühe, meine Angst vor meiner Tochter zu verbergen. Wenn es nachts klingelte, beruhigte ich sie, dass sie das nur geträumt habe. Und diesmal, dachte ich, muss die Polizei etwas tun, diesmal sind die Angriffe so bedrohlich, dass sich selbst das LKA damit befasst.
Doch die Beamten gaben mir Tipps wie: Benutzen Sie täglich wechselnde Wege. Gehen Sie zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Haus. Ändern Sie Ihre Telefonnummern. Verwirren Sie die Angreifer. Hatte ich richtig gehört? Ich sollte mein Leben ändern, weil mich Rechte bedrohen? Wozu gibt es die Polizei? Den Staatsschutz? Kriminalämter?
Irritiert verließ ich das Präsidium und bat einen Kollegen einer Berliner Tageszeitung um Rat. Der Journalist schrieb seit Jahren über die rechte Szene, er kannte Namen und Abläufe, schon lange hatte er Polizeischutz. Er wusste sicher, was ich tun könnte. Er sagte: „Öffentlichkeit ist der beste Schutz.“ Und schrieb einen kleinen Text mit großer Wirkung: Fortan hatte ich Polizeischutz. Worin der genau bestand, weiß ich allerdings bis heute nicht.
Der Kollege sagte: „Wenn es in der Zeitung steht, muss die Polizei reagieren.“ In seinem Text stand dann, „der Fall Simone S.“ sei nach Einschätzung der Behörden „möglicherweise der erste, in dem sich ein Zusammenhang zwischen Anti-Antifa-Listen und handfester Bedrohung herstellen lasse“.
Soweit jetzt bekannt ist, hat die Polizei nur wenige der 35.000 Personen auf Nazi-Listen darüber informiert, dass ihr Name dort genannt ist.
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