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Bedingungsloses GrundeinkommenGeld ohne Gegenleistung

Geld, ohne etwas dafür zu tun. Eine Initiative plant einen staatlichen Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen mit 10.000 Menschen.

Welche Städte am Experiment teilnehmen, entscheiden die Bür­ge­r*in­nen selbst Foto: Jochen Eckel/imago

Berlin taz | Geld auf dem Konto, ohne etwas dafür tun zu müssen: Viele Deutsche fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Initiative „Expedition Grundeinkommen“ will herausfinden, wie sich das Grundeinkommen auf die Gesundheit, die wirtschaftliche Lage, das Konsumverhalten und das soziale Engagement der Bevölkerung auswirken würde, und hat am Dienstag eine bundesweite Kampagne gestartet. Das Ziel ist, einen staatlich finanzierten Modellversuch zum Grundeinkommen mit 10.000 Teil­neh­me­r*in­nen ab 2023 durchzusetzen.

Erwachsene sollen drei Jahre lang jeden Monat mindestens 1.200 Euro bekommen, Minderjährige mindestens 600 Euro. Das Grundeinkommen soll allerdings mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Es verringert sich also mit der Höhe des eigenen Einkommens. Um Aussagen über die Effekte treffen zu können, soll auch eine Vergleichsgruppe untersucht werden, die kein Grundeinkommen erhält.

An dem Modellversuch können sich deutschlandweit Städte und Gemeinden beteiligen. Pro 1.000 Ein­woh­ne­r*in­nen erhält eine Person das monatliche Grundeinkommen. Die Kosten pro Teil­neh­me­r*in belaufen sich auf insgesamt 30.000 Euro. Diese sollen die Kommunen übernehmen. Leipzig zum Beispiel müsste mit seinen mehr als 600.000 Ein­woh­ne­r*in­nen demnach knapp 18 Millionen Euro zahlen.

Welche Orte an dem Experiment teilnehmen, entscheiden die Bür­ge­r*in­nen selbst. Bis zum 21. März kann sich je­de*r auf der Internetseite der Initiative für die Beteiligung seiner oder ihrer Stadt aussprechen. Stimmen mehr als ein Prozent der Ein­woh­ne­r*in­nen dafür, organisiert die Initiative eine Unterschriftensammlung vor Ort.

Bür­ge­r*in­nen entscheiden selbst

Je nach Gemeindegröße und Bundesland müssen zwischen 3 und 10 Prozent der Stimmberechtigten unterschreiben, damit sich der Gemeinde- oder Stadtrat mit dem Anliegen befasst. Lehnt dieser eine Teilnahme ab, kommt es zu einem Volksentscheid. „Wenn der Modellversuch tatsächlich kommt, ist auf demokratischem Weg die erste politische Entscheidung zum Grundeinkommen gefällt worden“, sagt Laura Brämswig, Gründerin der „Expedition Grundeinkommen“.

Geplant sind Befragungen der Teil­neh­me­r*in­nen vor Beginn der ersten Geldzahlung, während des Experimentes und zwei Jahre nach der letzten Geldzahlung. Darüber hinaus sollen sie an einer monatlichen Online-Umfrage zu ihrer finanziellen Situation teilnehmen.

Die Forschung soll das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) übernehmen. Marcel Fratzscher, der Präsident des DIW, sagt: „Der von der Expedition Grundeinkommen vorgeschlagene Modellversuch würde Wissenschaft und Politik richtungsweisende Informationen darüber geben, wie die Umgestaltung der Sozialsysteme in Deutschland in Zukunft gelingen kann.“

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12 Kommentare

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  • Außerdem ist vielleicht noch interessant: Derzeit läuft eine Europäische Bürgerinitiative für Bedingungslose Grundeinkommen in Europa. Weitere Infos und die Möglichkeit zu unterschreiben gibt es hier: www.ebi-grundeinkommen.de/

  • Meine Einschätzung zum BGE: Große Skepsis. Denn ich habe die Befürchtung, dass damit gerade Langzeitarbeitslose ins Nirvana abgeschoben werden sollen. Warum? Wenn es das BGE gäbe, würden manche sagen, supi, dann brauchen wir das Arbeitsamt nicht mehr. Dann wird es aus Kostengründen abgeschafft. Aber dann gäbe es für Langzeitarbeitslose keine Weiterbildungen mehr. Diese kosten teilweise einen 5stelligen Geldbetrag, sagen wir 10.000 für eine Weiterbildung von einem Jahr. Das würde dann einen Riesen pro Monat machen. Wenn der weiterbildungswillige Arbeitslose dann aber lediglich 1.200 BGE bekommt und keinerlei Rücklagen hat, dann kann er die Qualifizierung nicht machen, es sei denn er nimmt einen Privatkredit auf. Diesen bekommt er aber nicht, weil er kein regelmäßiges Einkommen hat. Fazit: Die BGE Debatte halte ich für gefährlich.

    Gegenvorschlag: Umverteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit. Sprich: Die 30 Stunden Arbeitswoche als Regelarbeitszeit. Folge: Es müssten mehr Planstellen geschaffen werden= Arbeitslose bekämen wieder Arbeitsverträge.

    Nebenbei: Leistungsloses Einkommen ist nicht gut!!!

    • @Magga:

      (B)GE bedeutet nicht dass der Staat sich in sozialen Angelegenheiten auf die faule Haut legen kann oder darf. Unterstützende Maßnahmen werden an manchen Ecken ebend noch immer notwendig sein.



      Das Ziel eigentlich jeder (B)GE Initiative ist es unter anderem auch, die Gesamtarbetszeit zu reduzieren, so daß Menschen mehr Zeit haben sich ehrenamtlich, sozial, familiär zu engagieren. Der Clou ist ja gerade, dass bei einer bestehenden Grundsicherung, Menschen nicht gezwungen werden, für einen Hungerlohn in Vollzeit einen harten Job zu halten. Die Wirtschaft, oder auch private "Arbeitgeber" müssten dann mehr bieten!



      Ich nehme an das Kinder, in ihrer Auffassung, dann auch nicht gut sind die beziehen nämlich auch leistungsloses Einkommen. Nur das sie es nicht selbst verwalten.

  • Das bedingungslose Grundeinkommen existiert - in formidabler Höhe - seit Beginn der Coronazeit völlig risikolos in vielen Straßenverkehrsämtern, Grundbuchämtern, Bürgerämtern und Behörden aller Art.

    Persönliches Highlight - nach drei Tagen vergeblicher Anrufsversuche inklusive angebotener aber nicht erfolgter Rückrufbitte per SMS: Am 4. Tag um 10:15 Uhr endlich eine reale Person am anderen Ende. Ich nenne mein Anliegen mit Aktenzeichen.

    Antwort: Ich bin im Homeoffice, da muss ich erst meinen Rechner hochfahren, das dauert immer. Rufen Sie morgen um die gleich Zeit wieder an.

  • Wie will man denn bei 3 Jahren Modell Versuch die Realität abbilden?

    Bei 3 Jahren schmeisst doch niemand seinen Job hin und schiebt eine ruhige Kugel. Wenn das Geld bis zum Lebensende gezahlt wird sieht die Lage doch ganz anders aus...

    • @lord lord:

      Doch bei anderen initiativen haben das schon Leute gemacht und ein Sabbath Jahr eingelegt. Manche haben eigentlich nichts anderes gemacht, ausser sich und ihren kindern mal etwas mehr zu gönnen. Andere haben ihre Arbeitszeiten erfolgreich angepasst. Der Umgang damit ist vielfältig.

  • Es gründet sich ein kleiner Verein und beansprucht einen Etat von 300 Mio € plus die Kompetenz dieses Projekt wissenschaftlich zu führen bzw. ein Institut wie DIW anzusteuern...



    Warum fehlt mir der Glaube? Allerdings ist der Ansatz smart...

    • @alterego:

      Dann zieh mal gestrichene Sozialleistungen, eingesparte Verwaltung, höhere Steuereinahmen und mehr sich im Umlauf befindliches Kapital (+Wirtschaft+Steuern) ab und du wirst errechnen können, das der Etat viel kleiner ist.

  • Das Grundeinkommen wird nicht weniger wenn es mit der Einkommensteuer "verrechnet" wird. Nur die monatliche Auszahlung sollte sich mindern, weil der Differenzbetrag ja über die niedrigere Steuer ausgeglichen wird. Sonst würde ja Arbeit nochmal zusätzlich bestraft werden. Wäre ja aber nicht das erste Mal. Ich frage mich nur wie so ein Test aussehen soll. Für einen echten Test müssten die Teilnehmer doch von allen anderen Sozial und Transferleistungen ausgeschlossen werden. Nur dann ergäbe sich doch ein realistisches Bild. Das es Menschen besser geht wenn sie im Monat 1200€ geschenkt bekommen sollte klar sein. Dafür braucht es nicht wirklich eine Studie. Der große Vorteil des Grundeinkommens wäre ja endlich die alten Zöpfe des Sozialstaats abzuschneiden und alle Leistungen außer dem Grundeinkommen ersatzlos abzuschaffen. Mir ist nicht klar wie das simuliert werden soll.

    • @Šarru-kīnu:

      Nicht so sehr in festgefahrenen bahnen denken! Wenn jem. ein GE bekommt fallen die üblichen Sozialleistungen weg. Was nicht heisst, dass Sozialleistungen über dem GE hinaus wegfallen dürfen. Wenn jem. ganz ohne Geld in der stationären Pflege hängt reicht das nicht aus. Ansonsten kannst du dich ja auf den verschiedenen Seiten zum Thema (B)GE informieren.

  • Die Pandemie hätte eine Chance sein können, ein BGE zu versuchen. Anstatt Hilfsgelder für von Schließungen betroffene Betriebe und Selbstständige mit erheblicher Bürokratie auszuzahlen (und damit nicht hinterherzukommen), hätte man wie beim Kindergeld zunächst an alle Bürger*innen während des Lockdowns 2000 Euro monatlich einfach überweisen können (und wie beim Kindergeld diese nach der jährlichen Einkommensteuererklärung Nichtbedürftigen wieder entziehen können, also eine nachträgliche Bedürftigkeitsprüfung). So hätte man auch Arbeitsverträge in der Gastronomie und im Einzelhandel für temporär ruhend erklären können, gewerbliche Mieten vorübergehend aussetzen können... alles wäre abgefedert gewesen.



    Zur Zwischenfinanzierung hätte man auf die EZB setzen können, die seit 2015 ohnehin (ohne den gewünschten inflationären Effekt) Billionen an neuem Geld über Anleihekäufe in den Markt pumpt (quantitative Lockerung, quantitative easing). Oft über direkte Käufe neuer Staatsanleihen von z.B. Italien, was im Grunde schon längst direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank ist, offiziell ein Unding, aber anscheinend unverzichtbar.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich glaube nicht, dass die Bevölkeungsmehrheit für so was ist.