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Bedeutung der Paralympischen SpieleAnhängsel von Olympia

Die Paralympics in Paris befreien ihre Teilnehmer aus der Unsichtbarkeit und wirken doch beschränkend. Der Gedanke der Inklusion hat seine Grenzen.

Kleine Fenster der Aufmerksamkeit: Goldmedaillen-Gewinner Markus Rehm (Mitte) posiert mit seinen Konkurrenten vor den Kameras Foto: Jens Büttner/dpa

S ie haben sich bemüht. Das ist wohl die Bilanz der Paralympischen Spiele 2024 in Paris. Doch nicht den Athleten und Athletinnen gilt dieses nicht wirklich positive Urteil, die haben ja Großes, teils Sensationelles geleistet. Es gilt anderen. Die 15 Minuten Ruhm, die laut Andy Warhol jedem Menschen zustehen, haben sich bei den paralympischen Sportlern und Sportlern als bestenfalls 1:30 Minuten erwiesen, die durchschnittliche Länge eines „Tagesschau“-Beitrags.

Meist tauchen sie wesentlich kürzer auf, manchmal, zugegeben, auch länger und ausführlicher. Fernsehen, Radio, Online- und auch Printmedien (die taz nicht ausgenommen) bemühen sich tatsächlich, den Sport von Menschen mit Behinderung zu präsentieren.

Doch die Instrumente, mit denen der Markt die Leistung von Menschen bemisst, sagt doch alles: kaum Einschaltquote, keine Werbeverträge, keine Sponsorenangebote. Es ist eine kapitalistische Werttaxierung, und Parasport ist dort die Nische der Nischen, die Unterabteilung von Sportarten, die selbst nur alle vier Jahre mal kurze Aufmerksamkeit erheischen.

Bei Betrachtung der Paralympics, wie sie medial vermittelt werden (live, im Stadion oder in der Halle ist das anders), fällt auf: Der Bewunderung für die dort gezeigten Leistungen fehlt oft das Emotionale, das Spontane, das, was man gerne den „olympischen Moment“ nennt.

An den Rand gedrängt

Das ist schade, aber eigentlich ist es noch ärgerlicher. Denn dieses fehlende Prickeln offenbart einmal mehr, dass der Parasport in einen gesellschaftlichen Randbereich gedrängt ist. Er ist Anhängsel von Olympia, steht unter dem Patronat des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das zugleich sehr darauf achtet, dass die Weltklassesportler und -sportlerinnen, die es ja bei den Paralympics gibt, nicht bei den großen Olympischen Spielen auftauchen. Sportlich ist das nicht zu begründen, man schaue sich nur etwa den unterschenkelamputierten Weitspringer Markus Rehm an, der mit einem Rekord von 8,72 Metern zur absoluten Welt­elite seines Sports gehört; in Paris wurde er mit 8,13 Metern erneut ­Goldmedaillengewinner.

Eine ketzerische Frage: Gilt das Ziel der Inklusion, von der doch alle so gerne reden, eigentlich nur so lange, wie gewährleistet ist, dass Menschen mit Behinderung mit ihren Prothesen und sonstigen Hilfsmitteln schlechter abschneiden als diejenigen Athleten und Athletinnen, die immer noch so oft als „normal“ bezeichnet werden?

Die Frage drängt sich auf, denn die Grunddiagnose der Disability Studies lautet, dass Menschen nicht behindert sind, sondern behindert werden. Wenn dieser Befund richtig ist, wogegen ja nichts spricht, wäre zu fragen, ob nicht eine Funktion der Trennung von Olympics und Paralympics ist, behindernde Barrieren bewusst aufrechtzuhalten, obwohl die technische Entwicklung eine Behinderung nahezu aufheben könnte.

An den Parasportlern und -sportlerinnen liegt das kein bisschen. Und ihrem Verband, dem International Paralympic Committee (IPC), könnte man lediglich kritisch attestieren, dass es eine zu große Nähe zum mächtigen IOC gesucht hat. Aber wie sollte das IPC an olympische Großsponsoren kommen, wenn es sich nicht mit dem IOC arrangiert? Es gibt ja Behindertensport, der bei den Paralympics nicht vertreten ist, etwa den der Gehörlosen, aber wann wurde eigentlich mal deren ­großes Sportfest, die „Deaflympics“, in großem Stil übertragen?

Parasport ist durch die Spiele in Paris wieder sichtbarer geworden. Das ist gut. Zugleich aber wurde das Terrain markiert, in dem Menschen mit Behinderung belassen werden. Das ist nicht gut. Aber herrje, wir haben uns doch bemüht.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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6 Kommentare

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  • Im Grunde dreht sich alles um das Verhältnis zwischen Mensch (als Wissenschafts- und Techniktier) und der Natur.



    Wir bearbeiten die gesamte Bandbreite zwischen naturbelassen, zurück zur Natur, Naturschutz, Kampf gegen Naturgewalten etc. bis hin zur Aufhebung jeglicher natürlicher Barrieren (die die Natur zwar bewusstlos, aber doch aus gutem Grund gesetzt hat).



    "...obwohl die technische Entwicklung eine Behinderung nahezu aufheben könnte". Für die Bearbeitung der (oder eben Kampf für die) natürlichen Grenzen gibt es keine letztgültigen ethischen Maßstäbe (Es sei denn, wir, die Menschen, machen uns selbst zum Maß aller Dinge). Und in dieser Fallhöhe bewegt sich die Diskussion.

  • Mir tun die leid, die sich nun wünschen auch Teil der kapitalistischen Wettbewerbsspirale zu werden. Der Frauenfussball macht es vor, zukunftsweisend ist das nicht.

  • Niemand hätte etwas gegen eine Teilnahme an Olympischen Spielen, wenn die Teilnehmer ohne etwaige Prothesen antreten. Diese sind halt leistungsfördernd.

    Auch die Forderung nach einem Aufstand gegen den IOC ist utopisch, den dann entzieht das IOC dem IPC ruckzuck die begehrten Ringe.

  • Schon seit Jahren frage ich mich, wer es festlegt und zuläßt, dass nicht alle qualifizierten Sportler bei Olympia gleichzeitig und gleichberechtigt mitmachen können.



    Spätestens seit der UN-Behindertenrechtskonvention kann es keinen Grund mehr geben, bestimmte Menschengruppen so massiv zu separieren. Selbst das Argument, für sie, die behinderten Menschen, sei es ja so vielleicht angenehmer, sollte allen solange im Hals stecken bleiben, bis es ausprobiert wurde, bis es eine Olympiade „aller“ Menschen für alle Menschen gibt.



    Es sprechen nur Bequemlichkeit und Kosten für eine Aufteilung in „echt“ und „para“, beschämend.

    • @Kay Brockmann:

      Selbstverständlich dürfen alle bei den Olympischen Spielen mitmachen.

      Solange sie nicht möglicherweise unfaire Vorteile etwa durch Prothesen haben.

  • Wenn Rehm mit seinem Bein und nicht seiner Prothese anspringen würde, könnte ich die Forderung nach einer Teilnahmeberechtigung bei den Olympischen Spielen nachvollziehen.

    Aber so bleibt es unklar, ob er dort einen unfairen Vorteil hätte. Und damit ist die Entscheidung nachvollziehbar, dass er (und andere vergleichbare Athleten) nicht bei Wettkämpfen gegen Menschen ohne Behinderung antreten dürfen. Diese dürfen ja auch keine technischen Hilfsmittel verwenden, um bessere Leistungen zu erbringen.