Bebauung von Friedhöfen: Grüne Infrastruktur in Gefahr
Ein Biotop auf einem ehemaligen Friedhof in Berlin-Neukölln soll Eigentumswohnungsbau weichen. Angesichts der Klimakrise sorgt das für Protest.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Als Friedhof wird der Emmauskirchof im Süden Neuköllns schon seit Jahren nicht mehr genutzt – die letzten Beisetzungen erfolgten in den 1980er Jahren. Dafür konnte sich die Natur in den letzten Jahrzehnten auf dem Gelände weitgehend ungehindert ausbreiten. Zu den dickstämmigen Laubbäumen, die einst für den Friedhof gepflanzt wurden, gesellt sich nun ein junger Wald aus Fichten und Douglasien. Dazwischen dichtes Unterholz, dass kaum ein Durchkommen zulässt.
„Der Bewuchs auf allen Ebenen macht den Emmauswald ökologisch besonders wertvoll“, erklärt Anwohnerin Selma, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bei einem Spaziergang über das Gelände. Totholz bleibt hier einfach liegen – ein Paradies für Insekten, Pilze und Mikroorganismen.
Doch bei Wohnraum für Insekten, Pilzen und Vögeln soll es nicht bleiben. Sieben fünfstöckige Gebäuderiegel will das private Wohnungsbauunternehmen Buwog hier errichten, mitsamt Tiefgaragen und befestigter Durchwegung. Insgesamt plant die Vonovia-Tochter 441 Eigentumswohnungen auf dem 3,9 Hektar großen Gelände. Für eine solch umfangreiche Bebauung müsste ein Großteil der Bäume und Vegetation gerodet werden, fürchtet Selma, die sich in der Anwohner:innenintiative „Emmauswald bleibt“ gegen die Pläne einsetzt. „Trotz Klima- und Biodiversitätkrise werden die letzten ökologisch wertvollen Flächen des Bezirks vernichtet.“
Schon viel zu viel versiegelt
Ginge der „Emmauswald“, wie die Initiative das Biotop nennt, verloren, würden nicht nur Tiere und Pflanzen darunter leiden, sondern auch die Menschen. „Es wurde in der Gegend schon wahnsinnig viel versiegelt“, sagt Selma und deutet auf die weiß blitzenden Fassaden der Neubauten, die am Rande des Friedhofsgeländes bereits fertiggestellt worden sind. Dabei stünden in den Neubaugebieten noch viele Wohnungen leer, sagt Selma. Nicht verwunderlich bei Quadratmeterpreisen von bis zu 24 Euro kalt pro Monat, die auf der Plattform Immobilienscout für die Wohnungen verlangt werden.
Berlins Bevölkerung wächst, laut aktueller Prognose des Bundes könnte sie in 30 Jahren das erste Mal seit 1944 die 4-Millionen-Marke überschreiten. Um den steigenden Bedarf an Wohnraum zu decken, setzt der Senat vor allem auf Neubau. 20.000 Wohnungen wollte die frühere von Franziska Giffey geführte rot-grün-rote Koalition jährlich bauen – ein Ziel, das auch die kommende Koalition von CDU und SPD weiterverfolgen will.
Da es besonders in den Innenstadtlagen kaum noch unbebaute Grundstücke gibt, rücken immer öfter Flächen in den Fokus, die bislang anderweitig genutzt werden: Supermärkte, Parkplätze oder eben ehemalige Friedhöfe. Doch in dem hochkomplexen System Stadt reicht es nicht aus, einfach nur Wohnungen zu bauen. Es bedarf auch allerhand Infrastrukturen, die das Leben in der Stadt erst möglich machen: Neben Straßen, Strom, Schul- und Kitaplätze gehören auch Grünflächen dazu.
Pläne von gestern
Diese grüne Infrastruktur ist ein wichtiger Bestandteil, mit den Folgen der Klimakrise in den Städten umzugehen. Während Hitzewellen kühlen sie durch Verdunstung und spenden Schatten; bei Starkregen speichern sie Wasser. „Im Sommer merke ich schon von meiner Wohnung aus, wie der Wald kühlt“, berichtet Selma begeistert.
Trotz ihrer steigenden Bedeutung sind Grünflächen bislang nur unzureichend geschützt. Zwar will Berlin die Neuversiegelung bis zum Jahr 2030 auf Netto-Null senken – was allerdings bedeutet, dass lediglich eine entsprechende Ausgleichsfläche geschaffen werden muss, wenn ein Grundstück asphaltiert oder bebaut wird. Ökosysteme wie im Emmauswald benötigen aber Jahrzehnte, um sich zu etablieren, oder bis neugepflanzte Bäume eine vergleichbare Menge Kohlenstoff speichern. Zeit, die angesichts der Klimakrise nicht bleibt.
Ein Mittel, was den Bezirken bleibt, ist, keine Bebauungspläne für wertvolle Biotope wie den Emmauswald aufzustellen. „So etwas würde man heute nicht mehr so planen“, sagt der zuständige Baustadtrat des Bezirks Neukölln Joachim Biedermann (Grüne) gegenüber der taz. Allerdings seien die Planungen schon seit 2011 im Gange. Die letzte Hoffnung für den Emmauswald liegt deshalb auf der Bezirksverordnetenversammlung, die in den kommenden Wochen über den Bebauungsplan entscheidet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen