Baumkampf in Friedrichshain: Der zwangsgeräumte Kirschbaum
Ein privat gepflanzter Kirschbaum musste jetzt von der Weberwiese in Friedrichshain verschwinden. Begründung: Der Ort ist denkmalgeschützt.
D ie Erde auf der kleinen Grünfläche in dem Hinterhof des markanten Stalin-Baus in der Marchlewskistraße 25 in Friedrichshain ist noch nicht getrocknet. Der Schlamm umgibt einen Kirschbaum. Wobei es vielleicht übertrieben wäre, überhaupt von einem Baum zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um einen einsamen, langen Stock, der hier aus der matschigen Erde ragt. Noch so zerbrechlich, dass er an einem Holzpfahl befestigt wurde, um nicht beschädigt zu werden.
Der Kirschbaum ist erst vor wenigen Stunden von der Weberwiese, einer 200 Meter entfernten, bei Anwohner:innen beliebten Grünfläche, umgepflanzt worden. Der Grund: Die Kirsche sei wild gepflanzt worden und das Ensemble der Stalin-Bauten, das die Weberwiese umringt, stehe unter Denkmalschutz, sagt das Grünflächenamt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Bäume in Parks pflanzen für den Klimaschutz – alles schön und gut, doch beim Denkmalschutz hört der Spaß anscheinend auf.
Der Vorgänger des Kirschbaums, eine alte Silberpappel, stand über 40 Jahre auf ebenjenem Platz an der Weberwiese. Die Pappel wurde 2020 für krank erklärt und galt als Bedrohung für Grünflächenbesucher*innen: Schließlich könnten krankheitsbedingt Äste von dem Baum fallen. Trotz lauter Proteste von Anwohner*innen, den Baum zu erhalten, ließ der Bezirk die Pappel im Februar 2020 fällen. Anwohner*innen vermuteten schon damals, dass die Begründung vom Bezirksamt nur vorgeschoben war.
Botschaft an Gartenfreund*innen
Sie glauben, der Baum habe die Sicht auf die Fassade der Marchlewskistraße 25 versperrt. In der Tat pflanzte der Bezirk anstelle der Pappel keinen neuen Baum. Auf der leerstehenden Fläche passierte nichts, bis dann im Spätsommer 2023 plötzlich ein neuer Setzling aus der Erde ragte. Ein Anwohner soll den Kirschbaum gepflanzt haben und dieser wuchs und gedieh, bis das Straßen- und Grünflächenamt auf den Übeltäter aufmerksam wurde.
Das reagierte auch prompt mit einer einlaminierten Botschaft, befestigt an der Kirsche. Da die Weberwiese unter Denkmalschutz stehe, müsse der Baum umgesetzt werden. Der oder die unbekannte „Gartenfreund*in“ habe bis zum 24. März Zeit, sich nach einer neuen Bleibe für den Baum umzusehen, ansonsten würde das Amt sich der Pflanze annehmen und sie in den Hinterhof umsiedeln.
Jetzt hat die Kirsche ihr neues Zuhause gefunden. Für sie bleibt nur zu hoffen, dass der Grünstreifen vor einem Begegnungszentrum und einer Schule, auf dem sie heranwächst, in 50 Jahren nicht ebenfalls zu einem Denkmal erklärt wird. Aber vielleicht hat sich bis dahin in den Verwaltungen die Einsicht durchgesetzt, dass nicht nur Denkmäler, sondern auch Bäume einen Wert haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken