Bauernproteste wegen billiger Butter: Milchbauernverband gegen Demos bei Lidl
Der Handel sei nicht schuld am Preisverfall, so der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. Die EU solle Bauern belohnen, die die Produktion senken.
Ausgerechnet der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) kritisiert die aktuellen Proteste von Bauern gegen die niedrigen Butterpreise bei Lidl und anderen Supermarktketten. „Die Proteste beim Lebensmitteleinzelhandel verschieben den Fokus auf Schuldfragen“, teilte die nach dem Deutschen Bauernverband zweitgrößte Interessenvertretung der Branche mit. Stattdessen sollte die EU unter Druck gesetzt werden, den Bauern eine Entschädigung zu zahlen für jeden Liter Milch, den sie weniger produzieren, damit sich die Preise stabilisieren. Der BDM werde „NICHT zu Protesten vor Lidl & Co. aufrufen“.
Seit Tagen demonstrieren Bauern in mehreren Bundesländern mit Traktoren, nachdem Lidl Anfang Dezember den Preis für ein 250-Gramm-Stück Butter seiner Eigenmarke auf 99 Cent gesenkt hatte. Daraufhin reduzierten auch andere Supermärkte die Preise. Bisheriger Höhepunkt der Proteste war eine Demonstration am Montag vor der Lidl-Zentrale im baden-württembergischen Bad Wimpfen mit laut Polizei 140 Fahrzeugen. Ähnliche Aktionen hatten Mitgliedsorganisationen des Bauernverbandes und von „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ (LSV) initiiert. Sie werfen den Supermärkten vor, die Preise so stark zu drücken, dass viele Bauern nicht mehr kostendeckend produzieren können.
Der BDM jedoch schreibt: „Die zentrale Ursache der Krise sind die Mehrmengen am Markt, die den Milchpreis massiv unter Druck setzen. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nutzt die niedrigen Preise im Kampf um Wettbewerbsanteile, aber er verursacht die Marktkrise nicht.“ In dem Verband sind etwa ein Drittel der Milchviehhalter Mitglied. Der Preisverfall habe sich schon weit früher an den Börsen abgezeichnet. Experten verweisen auch darauf, dass gerade die Discounter niedrigere Einkaufspreise an die Verbraucher weitergeben müssten, um keine Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Auch Lidl rechtfertigte seine Preissenkungen mit einem „Mengenstau“.
Aber selbst wenn der Lebensmitteleinzelhandel die Butter- oder Milchpreise entgegen der realen Marktentwicklung freiwillig erhöhen würde, beseitigte das „die Marktkrise“ nicht, ergänzte der BDM. Denn nur rund ein Drittel der Milch in Form von etwa Butter, Käse oder Joghurt gehe in die Supermärkte – „der Rest fließt in den Drittlandsexport und die Verarbeitungsindustrie/Großverbraucher“.
Thomas Antony, LSV Deutschland
Lieferverzicht gegen Entschädigung
Der Bauernverband habe in der Vergangenheit immer wieder „die Schuld allein auf den LEH geschoben und damit die Verantwortung von Molkereien und Politik abgelenkt“, monierte der BDM. Deshalb würden Medien „auf falsche Verantwortliche“ fokussieren, der Druck auf die Politik sinke.
Die müsse den vom EU-Agrarrecht ermöglichten Lieferverzicht gegen Entschädigung aktivieren. Dann würden sich die Preise stabilisieren, weil das Angebot sinkt. „Dieses Instrument ist rechtlich verankert, technisch vorbereitet und sofort startklar – es muss lediglich politisch aktiviert werden“, argumentiert der Verband. Es habe schon in der Milchkrise 2016 bewiesen, dass es den Markt entlasten könne.
Die Entschädigung kann laut BDM aus dem EU-Krisenfonds für die Landwirtschaft finanziert werden. Er wird aus den Agrarsubventionen gespeist, würde also die Steuerzahler nicht zusätzlich belasten. Die existierenden Importzölle würden verhindern, dass Einfuhren aus Nicht-EU-Staaten das Programm unterlaufen.
Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband, der dem Bauernverband angehört, erklärte, ein Lieferverzicht würde „erst nach Monaten“ wirken. „Die Forderung ist Quatsch. Es sind überhaupt keine Übermengen da“, sagte LSV-Vorstandsmitglied Thomas Antony der taz zum vorgeschlagenen Lieferverzicht. „Das ist nur von Lidl gemacht worden und sonst gar nichts.“ Die Milchmenge sei zwar im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen, aber sie sei noch nicht so hoch wie vor 2 Jahren.
BDM-Sprecher Hans Foldenauer dementierte das: Die Bauern hätten der Zentralen Milchmarkt-Berichterstattung zufolge im November über 7 Prozent mehr Rohmilch geliefert als im gleichen Monat vor ein und zwei Jahren. Tatsächlich zeigen auch Daten der EU-Kommission, dass die Rohmilchmenge in Deutschland zum Beispiel schon im September 5 Prozent größer war als im Vorjahresmonat.
Die Gründe für den Produktionsanstieg sind vielfältig: Wegen der Blauzungenkrankheit haben sich Kalbungen bei Kühen verschoben – und damit verbunden die Milchproduktion. Wie die Experten der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft außerdem erläutern, gibt es in diesem Jahr viel und gutes Futter für die Tiere. Zuletzt gute Preise und weniger Schlachtungen von Kühen tragen zusätzlich dazu bei, dass mehr Milch auf dem Markt ist. (mit dpa)
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