piwik no script img

Bauernproteste in IndienBetonbarrikaden gegen Traktoren

Land­wir­t:in­nen ziehen aus Protest in Richtung Hauptstadt Delhi, die Gespräche mit der Regierung waren gescheitert. Die Polizei setzt Tränengas ein.

Marsch auf Delhi: Protest von Bauern am 14. Februar Foto: Rajesh Sachar/ap

Mumbai taz | Drohnen überfliegen die Versammelten. Sie werfen Tränengas auf demonstrierende indische Land­wir­t:in­nen. Tausende Bäuerinnen und Bauern ziehen seit Dienstag mit Traktoren in Richtung der Hauptstadt Delhi. Gespräche in Nordindien zwischen Bauerngewerk­schaften und der Regierung scheiterten kurz davor, Verbände riefen da­raufhin zum „Marsch nach Delhi“ auf. Kilometerlang stauen sich nun ihre Kolonnen an den Grenzübergängen. Einige versuchen, ihr Ziel per Zug zu erreichen, doch fast alle Protestierenden stoßen auf Hindernisse.

Die Bauern fordern einen gesetzlich verankerten Mindestpreis für rund 20 landwirtschaftliche Erzeugnisse

Die Regierung hat schwere Straßenbarrikaden aus Beton und Stacheldraht errichtet. Polizei und Paramilitärs sind im Großeinsatz, um die Hauptstadtgrenzen zu sichern. Dabei scheuen sie vor Gewalt nicht zurück, Schlagstöcke und Wasserwerfer kommen zum Einsatz. Das Chaos wirkt sich bis nach Delhi aus, wo es zu massiven Verkehrsstaus kommt. Pendler steckten fest. Zu heftigen Zusammenstößen kommt es zudem 200 Kilometer von Delhi entfernt an der Grenze Shambhu, die die Bundesstaaten Punjab und Haryana miteinander verbindet. Beide zählen wegen ihrer ausgedehnten Landwirtschaft zu den sogenannten „Brotkorbstaaten“ Indiens.

Die Hauptforderungen der Bauern sind ein gesetzlich verankerter Mindestpreis für rund 20 landwirtschaftliche Erzeugnisse – zum Beispiel für Linsen und Zuckerrohr. Derzeit gilt der Mindestpreis vor allem für Reis und Weizen, der aber nur 7 Prozent der Landwirte Indiens zugutekommt. Ein neuer Mindestpreis soll Planungssicherheit bieten, außerdem sollen Polizeiverfahren gegen die Teilnehmenden der großen Bauernproteste von 2020 und 2021 eingestellt werden.

Damals gelang es nach Monaten, umstrittene Agrargesetze zu verhindern. Allerdings blieben die Probleme in der indischen Landwirtschaft. Sie umfasst fast ein Fünftel der Wirtschaftsleistung, rund zwei Drittel der indischen Bevölkerung lebt davon. Die Land­wir­t:in­nen kämpfen gegen klima­bedingte Ernteausfälle, Inflation, Preisschwankungen und schlecht ausgebaute Lager.

Modi schon im Wahlkampfmodus

Landwirtschaftsminister Arjun Munda (BJP) versicherte, die Regierung sei zu weiteren Gesprächen bereit. „Wir haben versucht, eine Lösung zu finden“, sagte Gewerkschaftsführer Sarwan Singh Pandher. Da die Regierung aber noch immer kein Angebot im Interesse der Landwirte gemacht habe, werde der Protest weitergehen. Pandher verurteilte am Mittwoch das harte Vorgehen gegen die Bäuerinnen und Bauern.

In den vergangenen Wochen tauchten in den sozialen Medien Videos auf, in denen verzweifelte Bauern ihre Ernte vernichten, da sie auf dem Markt zu wenig Geld erhalten. Nachfrage und Preise schwanken in Indien immer wieder und führen regelmäßig zu kleinen Protesten. Die aktuellen Aufmärsche haben nun das Potenzial, eine Sprengkraft zu entfalten, die Premierminister Narendra Modi (BJP) in Bedrängnis bringen könnte.

Der 73-jährige Hardliner strebt im Sommer eine dritte Amtszeit an. Seine hindunationalistische Volkspartei ist bereits im Wahlkampfmodus, derzeit verkündet Modi zahlreiche Infrastrukturprojekte und eröffnet Stätten. Neben einem Großtempel in Nordindien war Modi am Mittwoch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um dort den ersten Hindu-Tempel Abu Dhabis einzuweihen. Von dieser Geste werden sich zumindest die aufgebrachten Landwirt:in­nen nicht besänftigen lassen. Sie sind schon dabei, aus Protest ihre Zelte am Rande der Hauptstadt aufzuschlagen – genau wie 2020.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Land­wir­t:in­nen ziehen aus Protest in Richtung Hauptstadt Delhi, die Gespräche mit der Regierung waren gescheitert. Die Polizei setzt Tränengas ein."

    Ein Modell auch für Deutschland, in unserer Demokratie gegen Bürgerprotest vorzugehen?



    Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben... (Ironie aus)

    Ein weiterer Aspekt gerade in Indien, ist die Belastung der Bauern durch Pestizide, weil viele Analphabeten sind, die Manuals der Pestizide nicht lesen können und dann durch falsche Handhabung sich selbst, ihre Familie (und auch den Endkunden) gefährden.

  • Wie schaut es bei unszulande mit den Mindestpreisen aus? IMHO halten bei Milch und Butter Mindestpreisvereinbarungen zwischen Bauern und Einzelhandel nie lange - warum? Wie bewährt sich "fairer Handel"? Gibt es Mindestpreise im hiesigen Indienhandel? Wenn trotz Ukrainekrieg und hier und da vereinzelt Embargos gegen Russland die indische Überproduktion keine Abnehmer findet, ist der Markt schlecht organisiert.

    Die Welt hat nicht nur in der EU so manche Überproduktion, und trotzdem stehen Gebiete wie Gaza am Rande der Hungersnot. Lebensmittel müssen auch ankommen wo Not ist, dann ist am Ende auch weniger Überproduktion übrig. Die Staaten sollten "Sondervermögen Charity" dafür bereitstellen.

    Last not least könnte die Wissenschaft Rezepte liefern, häufig vorkommenden Überschuss an bestimmten Nahrungsagrarprodukten in Werkstoffe zu verwandeln, etwa für Gartenzäune oder so.