Bataclan-Urteil in Frankreich: Den Opfern fehlt eine Erklärung

Der Mammutprozess um die islamistischen Anschläge im November 2015 in Paris lässt viele Fragen offen. Für die Opfer ist das ein enttäuschendes Ende.

Kerzen an einem Baum

Kerzen für die Opfer nach dem Anschlag in Paris im November 2015 Foto: Malte Christians/dpa

Nach einem Mammutprozess zu den Attentaten vom 13. November 2015 ist am Mittwochabend das Urteil gegen insgesamt 20 Angeklagte verkündet worden. Bei der Anschlagsserie richteten islamistische Terroristen im Pariser Konzertsaal Le Bataclan ein Blutbad an. Zeitgleich schossen andere Dschihadisten auf Menschen, die auf den Terrassen von Bars und Cafés saßen, und drei Selbstmordattentäter sprengten sich vor dem Sportstadion von Saint-Denis während des Fussballspiels Frankreich-Deutschland in die Luft.

131 Menschen wurden dabei getötet, Hunderte verletzt. Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen von fünf Jahren bis lebenslänglich beantragt. 19 der 20 Angeklagten wurden in allen Punkten für schuldig erklärt. Der einzige Überlebende der Terrorkommandos vom 13. November, Salah Abdeslam, wurde zu lebenslänglich ohne mögliche Haftentlassung, verurteilt. Bisher verbüssen in Frankreich nur 4 Menschen eine solche Höchststrafe.

Weitere Komplizen der Anschläge wurden ebenfalls zu lebenslanger Haft von 15 bis 20 Jahren verurteilt. Von den sechs Angeklagten, die in Abwesenheit der Mittäterschaft beschuldigt waren, sind fünf vermutlich nicht mehr am Leben.

In diesem außerordentlichen Prozess war die Verhandlung für die überlebenden Opfer und die Angehörigen letztendlich wichtiger als das Urteil, das nun am Ende eines neunmonatigen Gerichtsmarathons verhängt wurde, wobei auch die Öffentlichkeit wissen wollte, wie es zu diesem Verbrechen kommen konnte, wer die eigentlichen Organisatoren, wer die Ausführenden und ihre Handlanger waren.

Aus „Menschlichkeit“ die Mission verweigert

Vor allem das Strafmaß stand vor der Urteilsverkündung im Zentrum der Debatte. Salah Abdeslam hatte als einziger unter dubiosen Umständen die Sprengstoffaschläge vor dem Stade de France, die mörderischen Attacken in den Cafés und das Massaker im Konzertsaal Le Bataclan überlebt. Hatte sein Sprengstoffgürtel versagt, hat er selbst am Ende darauf verzichtet, ihn zu zünden? Seine Anhörung vor Gericht hat in dieser sehr wichtigen Frage keine definitive Klarheit gebracht.

Er selbst lieferte dazu mehrere Versionen, von denen jede den von rund 300 An­wäl­t*in­nen vertretenen zivilen Ne­ben­klä­ge­r*in­nen nur sehr bedingt glaubwürdig erschien. Anfangs gab er sich provokativ als „ Soldat des Islamischen Staates “ aus und antwortete nur einsilbig. Zuletzt aber brachte er – vermutlich auf Drängen seiner beiden Verteidiger – doch einige Worte der Reue und des Mitleids für die Opfer heraus und erklärte, er habe aus „ Menschlichkeit “ seine Mission als Dschihadist nicht bis zum Schluss durchgezogen.

Doch wer ist dieser Salah Abdeslam wirklich? Ein überzeugter Dschihadist, ein auf Abwege geratener kleiner Ganove, ein Mitläufer ohne Format? Vermutlich ist ihm das selbst nicht völlig klar. Wenig Aufschluss zu seiner Persönlichkeit lieferte auch seine letzte Aussage vor dem Verhandlungsende: „Ich habe gewiss Fehler gemacht, aber ich bin kein Mörder.“

Die Opfer der Attentate und die Angehörigen der Toten, die sich lange Monate bis zum Prozessende und den Schuldspruch gedulden mussten, werden niemals eine sinnvolle Erklärung für die Attentate erfahren. Und der Prozess wird den terroristischen Wahn, der sich jeder Rationalität entzieht, kaum ein Ende machen. „Nie wieder!“ bleibt ein frommer Wunsch.

Doch die Justiz hat – so weit dies überhaupt möglich war – ihre Mission erfüllt. Sie hat versucht, die Rolle jedes Einzelnen unter den Angeklagten aufzuklären und mit der emotionslosen Nüchternheit des Rechts zu ahnden. Eine Sühne kann es angesichts des monströsen Verbrechens nicht geben.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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