Banalität des Rassismus: Dem sauberen Herrn Holt sein Clan
In Osnabrück wurden kürzlich mehrere Familienmitglieder wegen Betrugs verurteilt. Eine Frage bleibt mir: Warum gilt das nicht als „Clankriminalität“?
A ndere Provinzen haben ja auch schöne Städte. Osnabrück zum Beispiel ist offenbar immer für eine Telenovela gut. Nicht nur, weil der Wulff da herkommt. Ich habe es sehr bedauert, dass ich dem Auftritt von Ex-Minister Jens Spahn vor dem Landgericht nicht beiwohnen konnte. Der musste dort aussagen, weil der Millionenbetrüger Hendrik Holt behauptete, ihn fast geschmiert zu haben.
Holt, das war der, der internationale Energiekonzerne mit erfundenen Windparkprojekten um Millionen betrogen hat. Eine grandiose Hochstapler-Geschichte, aber eine Frage geht mir dabei nicht aus dem Kopf: Warum, fragt eine Kollegin von der NOZ in dem wirklich großartigen Podcast „Windmacher“ vollkommen zu Recht, gilt das eigentlich nicht als „Clankriminalität“?
Immerhin wurden neben Hendrik Holt auch seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder verurteilt. An der Größe der Familie hängt das jedenfalls nicht, falls Sie das denken. In die niedersächsische Clankriminalitätsstatistik sind jedenfalls auch Fälle von „falschen Polizisten“ eingeflossen, bei denen es ausreichte, dass der Typ im Callcenter in der Türkei der Cousin jenes Vogels war, der hier in Deutschland den Abholer spielte.
Auch die sogenannten „Tumultlagen“, bei denen ganze Rudel auf der Straße aufeinander oder auf Polizeibeamte losgehen, sind kein notwendiges Kriterium. In der Clanstatistik finden sich alle möglichen Arten von Vergehen vom banden- und gewerbsmäßigen Betrug über Drogenhandel bis zu Einbruchsserien, mit oder ohne Tumult.
Als „ethnisch abgeschottete Subkultur“ könnte man so eine emsländische Unternehmerfamilie rein soziologisch betrachtet ja sehr wohl verstehen. Und wenn man die Hochzeitsbilder anschaut, die von Holt und seiner Liebsten noch während des Prozesses entstanden, sieht man: Jawohl, die bleiben beim Heiraten lieber unter sich.
Hang zu Villen und Luxuskarossen
„Patriacharlisch-hierarchisch organisiert“ und „übersteigerter Ehrbegriff“ sind so Versatzstücke, die in den gängigen Clankriminalitätsdefinitionen auch gern auftauchen. Auch das trifft hier zu: Prozessbeobachter gehen davon aus, dass die Insolvenz des familieneigenen Bauunternehmens zumindest einer der Auslöser für Holts großangelegte Betrügereien war. Er wollte wohl irgendwie die Familienehre wieder herstellen, der narzisstischen Kränkung Herr werden.
Sowohl seine Mutter als auch seine Schwester und sein jüngerer Bruder haben in ihren Aussagen angedeutet, dass Hendrik Holt der große Macher und Bestimmer war. Seinen kleinen Bruder soll er einmal sogar geschlagen haben. Die Mutter und die Schwester behaupteten, sie seien ja nur kleine Bürokräfte im Hintergrund gewesen, haben seine Anweisungen umgesetzt – gleichzeitig aber das ergaunerte Geld mit beiden Händen für Designerklamotten, Handtaschen, Schmuck und Luxustrips ausgegeben. Überhaupt dieser Hang zu Villen und Luxuskarossen, kommt einem das nicht bekannt vor?
Von einer „eigenen Werteordnung“ und der „Ablehnung des deutschen Staates und seiner Rechtsordnung“ ist bei Clans auch oft die Rede. Aber wie ist denn das nun bei so notorischen Betrügern, die ohne mit der Wimper zu zucken mit gefälschten Doktortiteln und Diplomatenpässen hantieren, die Unterschriften deutscher Amtsträger fälschen, das ergaunerte Vermögen umgehend ins Ausland schaffen, behaupten, deutsche Minister und Parlamentarier in der Tasche zu haben? Sieht so Respekt vor der deutschen Rechtsordnung aus?
Am Ende läuft es wohl doch eher auf ein zentrales Kriterium hinaus: Die Frage, ob die Fahnder bei der TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) einen Übersetzer brauchen oder eben nicht. Und wie lange sie brauchen, um den Namen zu buchstabieren. So banal kann Rassismus sein.
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